Israel vor der Wahl: „Bibi“ im Annexionsmodus
Benjamin Netanjahu stößt mit seinem Plan, Teile der Westbank zu annektieren, international auf Kritik. Doch was für ihn zählt, sind Wählerstimmen.
Saeb Erekat, Generalsekretär der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) und Chefunterhändler bei früheren Friedensverhandlungen, verurteilte den „illegalen Schritt“, der „jede Chance auf einen Frieden begraben würde“. Ähnlich reagierte die Arabische Liga, in der 22 Staaten organisiert sind. Diese „gefährliche Entwicklung“ würde „jede Basis für einen Frieden torpedieren“, hieß es in einer Mitteilung der Liga.
Die EU verurteilte die Ankündigung Netanjahus. Wie bei zahlreichen Ministerräten bekräftigt worden sei, werde die Europäische Union keine Änderungen der vor 1967 bestehenden Grenzen anerkennen, die nicht zwischen beiden Seiten vereinbart worden seien, sagte ein Sprecher der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini in Brüssel. Die israelische Siedlungspolitik und –tätigkeit sei nach dem Völkerrecht illegal und untergrabe die Bemühungen um eine Zwei-Staaten-Lösung und die Aussichten auf einen dauerhaften Frieden.
Die Bundesregierung betonte, diese Aussagen seien im Wahlkampf gefallen – ob diese Ankündigung umgesetzt werde, sei nicht klar. Regierungssprecher Steffen Seibert appellierte an die israelische Regierung, auf Maßnahmen zu verzichten, die eine Einigung mit den Palästinensern auf der Basis einer Zwei-Staaten-Lösung behindern könnten.
Die Annexion von Teilen der C-Zone im besetzten Westjordanland, die seit 52 Jahren noch immer komplett unter israelischer Kontrolle steht und relativ dünn von Palästinensern besiedelt ist, war anfangs nur Programm der Siedlerpartei. Jamina (Nach rechts), so heißt die neue rechte Liste, der Netanjahu mit seinen Annexionsplänen Mandate abgraben will.
Rechtspolitikerin Ajelet Schaked, ehemals Justizministerin, kommentierte Netanjahus Pläne mit Skepsis. Abgesehen davon, dass er, „was grundsätzlich zu begrüßen ist“, die Politik der Rechtspartei auf seine Fahnen schreibe, habe man „schon viele Versprechungen von ihm gehört“. Würde Netanjahu ernsthaft eine Annexion wollen, hätte er das längst haben können. Netanjahu hatte schon vor der Wahl im April eine Annexion von Teilen der C-Zone angekündigt, scheiterte dann jedoch an der Mission, eine Regierungskoalition zu bilden.
Ein Viertel des Westjordanlands
Laut der israelischen Menschenrechtsorganisation Betselem umfasst das Jordantal rund ein Viertel des Westjordanlandes mit 65.000 palästinensischen und 11.000 israelischen Bewohnern. Das Gebiet ist mit der Jesu-Taufstätte attraktiv für christliche Pilger und birgt vor allem an der Küste des Toten Meeres touristisches Potenzial.
Die politischen Kräfteverhältnisse haben sich seit der Wahl vor sechs Monaten nur leicht verschoben. Netanjahu und seine stärksten Gegenspieler Benny Gantz und Jair Lapid, Co-Chefs der Partei Blau-Weiß, geben sich erneut ein Kopf-an-Kopf-Rennen, wobei das rechte Lager insgesamt etwas stärker ist als die Mitte-links-Parteien.
„Netanjahu will keine Gebiete annektieren, sondern Wählerstimmen“, kommentierte Lapid den „erfolglosen Wahltrick“, ohne sich indes inhaltlich zu distanzieren. Über die Notwendigkeit, aus Sicherheitsgründen das Jordantal unter israelischer Souveränität zu behalten, besteht in Israel Konsens. Auch Blau-Weiß lehnt die Räumung der Siedlungen und den Rückzug der Armee aus dem Jordantal ab.
In der kurzfristig und dramatisch angekündigten Pressekonferenz am Dienstag stellte Netanjahu die Annexion in Verbindung mit dem im Weißen Haus formulierten „Jahrhundertfrieden“ für den Nahen Osten. Gleich nach der Wahl in Israel, spätestens aber im November, will US-Präsident Donald Trump Einzelheiten des Plans verkünden. Der US-Friedensplan biete eine „historische Gelegenheit“ für die Annexion der besetzten Gebiete, sagte Netanjahu. Langfristig will er sämtliche Siedlungen im Westjordanland unter israelische Souveränität stellen. „Aus Respekt für Präsident Trump und aufgrund meines großen Vertrauens in unsere Freundschaft“ werde er damit jedoch bis zur Veröffentlichung des US-Plans warten. (mit Agenturen)
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Macrons Krisengipfel
Und Trump lacht sich eins
Frieden in der Ukraine
Europa ist falsch aufgestellt
Die Neuen in der Linkspartei
Jung, links und entschlossen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
USA und Russland besetzen ihre Botschaften wieder regulär
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Maßnahmenkatalog vor der Bundestagswahl
Grünen-Spitze will „Bildungswende“