piwik no script img

Ismail soll Ismail bleiben

Rot-Grün hat durchgesetzt, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Deshalb sind im Wahlkampf auch alle Versuche eines rechten Populismus in Bezug auf integrationspolitische Debatten gescheitert

von MARK TERKESSIDIS

Noch vor einigen Wochen wirkte der Populismus wie das Menetekel eines allgemeinen Rechtsrucks am europäischen Firmament. In Österreich war die FPÖ an der Regierung beteiligt. In Dänemark konnten die Protagonisten der Dänischen Volkspartei und der Fortschrittspartei mit schrillen Tönen gegen Einwanderer selbst die Sozialdemokraten dazu bewegen, sich an der Stimmungsmache gegen „ausländische Schmarotzer“ zu beteiligen. In Frankreich zog Jean-Marie Le Pen in die Stichwahl um das Präsidentenamt. Und in den angeblich so toleranten Niederlanden punktete der schwule Dandy Pim Fortuyn mit rassistischen Sprüchen. Spätestens nach diesem Wochenende muss man sagen, dass das Menetekel möglicherweise so schnell auf- wie wieder abzog.

Schon vor 14 Tagen sah sich der Haider Jörg gezwungen, eine erfolglose populistische Kampagne gegen seine eigene Partei zu starten – zu sehr hatte die Beteiligung an der Regierungsverantwortung die FPÖ zur Anpassung an die „Mitte“ gedrängt. Vor einer Woche konnte die liberale Volkspartei in Schweden, die mit schärferen integrationspolitischen Forderungen vor allem in Bezug auf die Sprachbeherrschung der Migranten angetreten war, ihren Stimmenanteil zwar auf etwa 13 Prozent verbessern – Wahlsieger jedoch wurden die längst totgesagten Sozialdemokraten. Und schließlich spielte der Populismus – zumal in puncto „Ausländer“ – im deutschen Wahlkampf fast keine Rolle. Das war nicht unbedingt zu erwarten. Schon die Nominierung von Edmund Stoiber ließ Befürchtungen aufkommen, dass es nun Sprüche hageln würde wie: Die doppelte Staatsbürgerschaft wird größere Sicherheitsprobleme mit sich bringen als der Terrorismus der 70er-Jahre. Als die Union dann eine Woche vor der Wahl angesichts schlechter Umfragewerte eine Pressekonferenz zum Thema Zuwanderung ankündigte, da glaubte nun wirklich jeder, dass die Stunde der Populisten gekommen sei.

Doch weit gefehlt. Zwar signalisierte Bayerns Innenminister Beckstein zunächst knallharte Totalverweigerung: „Deutschland soll ein modernes, multikulturelles Einwanderungsland werden – und genau das wollen wir nicht.“ Zwar spielte er Zuwanderung gegen Arbeitslosigkeit aus; sprach vage von der hohen Zahl ausländischer Sozialhilfeempfänger, über deren Aufenthaltsbeendigung man nachdenken müsse, oder von den ungebildeten „Ausländern“, die unsere Pisa-Ergebnisse runtergezogen hätten. Im Großen und Ganzen blieben die Aussagen aber erstaunlich moderat.

Worum hätte es auch gehen sollen? Otto Schily hatte längst den Takt vorgegeben. Zurücknehmen wollte man das Zuwanderungsgesetz nicht mehr, nur in einigen Punkten verändern. Doch die Details waren kaum noch zu vermitteln. Unwahrscheinlich, dass Otto Normalwähler echtes Interesse zeigt an Fragen wie: Soll man einen „Ausländer“ ausweisen, wenn Tatsachen die Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung belegen (Schily), oder wenn diese Tatsachen nur die begründete Annahme dieser Zugehörigkeit stützen (Beckstein)?

Schließlich hatte Schily die Union auch noch überholt, was das Thema Integration betraf. In Interviews hatte er davon gesprochen, dass Assimilation die beste Form der Integration sei. So deckte Rot-Grün alle Bedeutungen des ohnehin schwammigen Begriffs zwischen „Multikulti“ (grün) und „Assimilation“ (Schily) ab. Was also sollte die Union, die sich ja auch Integration auf die Fahnen geschrieben hatte, noch fordern? Nein, „multikulturell“ solle das Land nicht sein, erläuterte der saarländische Ministerpräsident Peter Müller in der Pressekonferenz, weil das ja zusammenhangloses Nebeneinander bedeute. Assimilation à la Schily wolle man aber auch nicht, fügte Beckstein hinzu – „der Ismail soll sich nicht in Max umbenennen“ und seine kulturelle Identität ruhig einbringen.

Im Grunde musste die Union gegen ihre eigene Zufriedenheit mit dem Zuwanderungsgesetz anargumentieren – schließlich hatte der Innenminister genügend Konzessionen an die Konservativen gemacht. Und so versuchten sich CSU und CDU völlig ratlos an einem Spagat zwischen der Wirtschaft, die Einwanderung fordert, und der von ihr jahrzehntelang betreuten Klientel am rechten Rand, die markige Worte gegen „Ausländer“ hören will. Am Ende erwies sich der Stoiberismus als Papiertiger – erfreulicherweise.

Ohnehin findet der überwiegende Teil der so genannten Mitte allzu offenen Rassismus in der öffentlichen Rhetorik ziemlich unfein. Das bekam auch der Populist Jürgen Möllemann zu spüren. Die Mitte will jemanden wie Otto Schily: einen eleganten bürgerlichen Typen, der gleichzeitig knallharte Sicherheitsmaßnahmen gegen „Ausländer“ durchsetzt und mit seiner Tochter auf Lesereise geht, um aus Tahar Ben Jellouns Buch „Papa, was ist ein Fremder?“ zu lesen.

Eines zumindest hat Rot-Grün durchgesetzt: Deutschland ist ein Einwanderungsland. Das hat die Mitte akzeptiert. Und je mehr die politischen Parteien in Deutschland um diese Mitte rangeln, desto weniger offene rassistische Rhetorik ist möglich. Das bedeutet aber auch, dass der rechte Rand von der Union nicht länger in den politischen Konsens integriert werden kann. Daher könnte der wahre Populismus der Bundesrepublik noch bevorstehen. Schließlich bekamen die Niederlande einen Pim Fortuyn, nachdem sie die wahrscheinlich umfangreichsten Bemühungen in Richtung Gleichstellung von Migranten in Europa unternommen hatten.

Je mehr allerdings die institutionellen Änderungen die Tatsache untermauern, dass Deutschland eine Einwanderungsgesellschaft ist, und je mehr die „Mitte“ diese Tatsache akzeptiert, desto weniger Angst muss man vor solchem Populismus haben. Denn Populismus ist in erster Linie Rhetorik. Spätestens dann, wenn die Regierungsbeteiligung ansteht, zeigt sich, dass die rechten Großmäuler kaum eines ihrer Versprechen einhalten können – am Ende muss man die Leute eben noch um ihren Rassismus bescheißen. Denn auch nach rechts sind die politischen Spielräume eng geworden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen