Islamisten in Nigeria: „Die Anschläge hören nicht auf“
Der Terror der islamistischen Untergrundbewegung Boko Haram nimmt kein Ende. Gespräche sind schwer vorstellbar, sagt Sicherheitsexperte Istifanus Zabadi.
taz: Herr Zabadi, immer wieder wird Boko Haram als Nigerias größtes Sicherheitsrisiko bezeichnet, Hunderte von Menschen sind bei ihren Anschlägen gestorben. Wer ist diese Gruppe eigentlich, und welche Ziele verfolgt sie?
Istifanus Zabadi: Es ist eine salafistische Gruppe, die sich zum Dschihad bekennt. Sie will ihre eigene Auslegung des islamischen Glaubens verbreiten und Nigeria zu einem islamischen Staat machen. Dazu nutzt sie den Dschihad. Verbindungen hat sie zu al-Qaida und zu den somalischen al-Shabaab. Wenn man auf der Straße danach fragt, sagen Nigerianer natürlich: Das ist unmöglich. Trotzdem hören die Anschläge nicht auf.
Bislang ist Boko Haram ein Phänomen des mehrheitlich muslimischen Nordens von Nigeria und der Hauptstadt Abuja. Wie wahrscheinlich ist es, dass sich Boko Haram beispielsweise bis ins Nigerdelta oder nach Lagos ausbreitet?
Sie würde auf Schwierigkeiten stoßen. Ihre Anhänger stammen aus dem Norden. Das ist ihr Territorium, wo sie sich auskennen. Jetzt in eine andere Region vorzustoßen wäre schwierig. Außerdem hat sich in puncto Sicherheit einiges getan. Mithilfe der Medien werden Menschen aufgefordert, zur Polizei zu gehen, wenn sie auf merkwürdige Vorkommnisse in ihrer Region oder seltsame Gesichter stoßen.
Im ölreichen Nigerdelta im Süden des Landes gibt es die Rebellengruppe MEND, die „Bewegung für die Emanzipation des Nigerdeltas“. Auch MEND hat Anschläge verübt.
Ja, theoretisch scheint es möglich, dass sich die Gruppen zusammenschließen könnten. Praktisch ist aber das Gegenteil eingetreten. Im Nigerdelta heißt es: Boko Haram soll sich aus unserem Gebiet fernhalten.
55, leitet das Zentrum für Strategieforschung an Nigerias Nationaler Verteidigungsakademie. 1992 promovierte er in London.
Im Nigerdelta ist es ruhiger geworden, seit die Regierung dort ein groß angelegtes Amnestieprogramm einführte: Rebellen, die ihre Waffen abgeben, bleiben von Strafverfolgung verschont und erhalten Wiedereingliederungshilfen in die Gesellschaft. Wäre ein solches Programm auch eine Lösung für Boko Haram?
Im Nigerdelta geht es um die Nutzung von Ressourcen und um die Forderung, diese gerechter zu verteilen. Darüber lässt sich diskutieren. Aber kann man das jetzt auch mit Boko Haram machen? Die Gruppe sagt ja nicht beispielsweise, dass sie gegen die Armut kämpft. Sie will die Einführung eines islamischen Staates. Wie geht man mit dieser Forderung um? Dennoch denke ich, dass es zu Gesprächen kommt, wenn Boko Haram tatsächlich gesprächsbereit ist.
Studenten massakriert: Bei blutigen bewaffneten Überfällen am späten Abend des nigerianischen Nationalfeiertages 1. Oktober sind in der Stadt Mubi im nigerianischen Bundesstaat Adamawa bis zu 48 Personen ums Leben gekommen. Mutmaßliche Kämpfer der islamistischen Sekte Boko Haram griffen in der Nacht zu Dienstag die Studentenwohnheime dreier Hochschulen an. In einem riefen sie Studenten beim Namen und erschossen sie, wenn sie sich zeigten; in einem anderen schossen sie erst wahllos herum und zielten dann auf die Studierenden, als diese wegrannten, berichtet die Tageszeitung Guardian.
Waffenlager entdeckt: Letzte Woche hatte die Armee in Mubi eine Boko-Haram-Bombenfabrik und mehrere Waffenlager ausgehoben. Nach einem Bericht der Tageszeitung Sun hatte die Bundesstaatsregierung vor drei Wochen eine nächtliche Ausgangssperre verhängt und in Razzien seitdem 158 Boko-Haram-Mitglieder festgenommen.
Gespräche dementiert: Bei zwei Anschlägen in der Stadt Maiduguri starben am Montag weitere drei Menschen. Am Sonntag hatte Boko Haram Regierungsangaben dementiert, wonach informelle Gespräche im Gang seien, bestätigte aber die Verhaftung ihres Sprechers Abu Qaqa. (D.J.)
Dabei ist Boko Haram kein neues Phänomen. Die Gruppe soll sich bereits vor zehn Jahren gegründet haben. Hat die Regierung die Gefahr falsch eingeschätzt?
Vor zehn Jahren sah es einfach nicht danach aus, dass diese Gruppe so mächtig werden kann. Man konnte sie als einen Zusammenschluss von jungen überschwänglichen Männern bezeichnen. Hätte vor zehn Jahren jemand gesagt, dass es einmal nigerianische Selbstmordattentäter gibt, hätte man ihn schlicht ausgelacht. Wir lieben unser Leben einfach zu sehr, um es aufs Spiel zu setzen!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier