Islamismus im Jugendtheater: Die Kids sind nicht alright
Das Verführerische des radikalen Islamismus erforschen die Bremer Jungen Akteure in „Grüne Vögel“: Freiheit ist eine Zumutung – und trotzdem alternativlos
Eine Schweigeminute für die Opfer der Pariser Anschläge sollte man auch als hormonverwirrter Jugendlicher gerade noch hinbekommen, findet die Lehrerin. Doch die eine textet ihrem neuen Freund was am Handy, der andere habe einen Ständer und könne darum nicht aufstehen, blödelt der Sitznachbar. Doch hier liegt mehr im Argen als ein bisschen Pubertät: „Allahu akbar“, ruft eine Schülerin in die verordnete Stille. Und gleich noch mal in die fassungslose im Anschluss.
Beklemmend ist diese Szene aus Nathalie Forstmanns „Grüne Vögel“ am Bremer Theater nicht, weil man es heute gewohnt ist, den muslimischen Ausruf als Terrorphrase zu verstehen. Sondern, weil man solche plumpe Protestgeste gegen die Autorität nur allzu gut kennt. Auch wenn man damals mit Terror nichts und mit dem Islam noch viel weniger zu tun hatte.
Dieses universelle Elend exerzieren die JungschauspielerInnen mustergültig durch: Sich missverstanden fühlen und eine radikale Lösung für die ganze Scheiße zu kennen – eine ganz einfache dazu, würden die Erwachsenen nicht dichtmachen. Auf der Bühne im Moks passiert das zwischen riesenhaften Panzersperren im Strobolicht. Dazu wabern rauschhafte Technobeats von Thorsten zum Felde. Dazwischen tanzt Rieke Klaßen bauchfrei mit Röckchen. Später wird sie, ganz freiwillig übrigens, ein Kopftuch umtüdeln und mit Gewalt drohen.
Wie es dazu kommt, bleibt unklar. Der Text von Autor Jan Eichberg erzählt keinen durchkonstruierten Plot, sondern liefert Fragmente für ein Forschungsprojekt um das Rätsel der Radikalisierung. Auch den Kids auf der Bühne geht es nicht um Inhalte, die etwa im Koran stünden, sondern um Haltung und Wahrhaftigkeit. Wir würden uns für „die Guten“ halten, hauen sie dem Publikum um die Ohren, aber: „Wir sind die Aufrechten.“
Von der Gesellschaft, die diese „Guten“ einst erkämpft haben, wissen die Jugendlichen vor allem eins: Sie macht Druck, gerade weil sie frei ist. Tausende Möglichkeiten habe man heute, erklärt Jungakteur Michael Dölle in einem schmerzhaft treffsicheren Monolog: „Mir stehen alle Türen offen. Ich bin hier geboren, ich bin weiß, ich komme aus einem guten Elternhaus. Gut bedeutet gebildet und bürgerlich. Ich bin intelligent, ich bin heterosexuell.“ Obwohl: „Selbst als Homo müsste man es eigentlich schaffen.“ Und wer nicht, der müsse darum selbst schuld sein.
Die Ambivalenz der Freiheit darzustellen, gelingt der Inszenierung ohne den reaktionären Fehltritt in die Denunziation. Selbst das gefürchtete Internet, wo der eine Propagandavideos guckt, alle anderen aber doch ganz harmlos die sozialen Netze vollschreiben, das gehört eben dazu. Schuld trägt es nicht. Jugendliche wissen das natürlich. Und es spricht sehr für die AnleiterInnen der Jungen Akteure, dass man ihnen dieses Wissen nicht austreibt.
In diesem Spannungsfeld bewegen sich die SchauspielerInnen mit beeindruckender Authentizität. Tanzen zu ihrer Musik, sind so weltuntergangsdramatisch verliebt wie man das mit 16 eben ist und genießen eine Sommernacht, die für einen von ihnen zum Aufbruch in den „heiligen Krieg“ wird. Das Morden aber beginnt erst nach dem Stück. Nur im Hintergrund weht die Fahne des sogenannten „Islamischen Staats“.
Die jungen SchauspielerInnen seien selbst „ähnlich sozialisiert“ wie die Syrienfahrer, erklärt das Theater. Das klingt ausweichend, trifft es aber: Es geht um ganz normale SchülerInnen und einen Moscheebesuch mit „Brüdern“, die einen akzeptieren wie man ist. Der am Ende in den Krieg zieht, heißt Thorge. Edin und Hassan bleiben hier.
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