Ein kaputter Grabstein auf dem Iserlohner Hauptfriedhof

Foto: Ritter

Islamfeindlichkeit in Deutschland:Keine Heimat für den Tod

Normalerweise kommen Nevin Celik und Aylin Bakirtan auf den Iserlohner Friedhof, um der Angehörigen zu gedenken. Seit Silvester ist das schwierig.

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4.2.2022, 17:05  Uhr

Tarik Çopuroğlu. Geboren am 17. 9. 1980. Gestorben am 9. 12. 2014. Sein großer, schwarzer Grabstein muss mit einem Holzbalken und einem Spanngurt gehalten werden. Der Halbmond aus Marmor, der auf dem Grab liegt, ist in fünf Teile zerbrochen, die notdürftig zusammengesetzt wurden. Beim kleinen Stern daneben ist eine Zacke abgebrochen. Es ist das Grab eines jungen Familienvaters, der sich für Deutschland als letzten Ruheort entschieden hatte. Für seine Heimat.

Seine Frau Nevin Celik ist erst 45 Jahre alt, ihre zehn- und 13-jährigen Töchter erzieht sie nun allein. Die beiden könnten nicht verstehen, was da mit dem Grab von ihrem Papa geschehen ist, erzählt Celik: „Sie schlafen schlecht und weinen viel. Sie fragen immer, warum das passiert ist. Ich weiß es aber auch nicht. Es ist furchtbar.“ Es ist ein großes Grab, ein Doppelgrab. „Wenn ich sterbe, möchte ich neben meinem Mann liegen. Ich habe mir also schon mein eigenes Grab gekauft. Umso schlimmer ist es, dass ich weiß, dass ich selbst im Tod nicht ganz geschützt bin“, sagt Celik.

Der Grabstein, zusammengesetzt aus zwei Bögen, steht am Kopfende der Grabstätte, zusammen wiegen die Teile etwa 40 Kilo. Celik glaubt, dass mehrere Tä­te­r:in­nen mit großer Gewalt dagegengetreten haben. Wie auch bei anderen Steinen auf den Nachbargräbern, die teilweise noch dicker sind. Das Grab ihres Mannes ist nur eines von offiziell zwölf muslimischen Gräbern, das in der Neujahrsnacht geschändet wurde. Die Angehörigen der Toten sprechen sogar von einigen mehr.

Noch immer liegen Einzelteile von Grabsteinen auf den Gräbern verteilt – manche konnten nicht einmal mehr provisorisch zusammengesetzt werden. Auf manchen Grabstellen stehen nur noch die Sockel. Erfahrungen mit Diskriminierungen habe sie bereits gesammelt, sagt Nevin Celik, sie führt sie auf ihr Aussehen zurück. „Als Frau mit langen schwarzen Haaren bekomme ich öfter mal einen Spruch ab. Auch meine Töchter werden mit,Scheiß Türken' beleidigt, wenn es mal Streit in der Schule gibt.

Aber das ist ein Problem, das es nicht nur in Iserlohn gibt.“ So etwas wie den Angriff auf den Friedhof habe sie allerdings hier noch nie erlebt. Ihr Gesicht möchte Celik in den Medien nicht zeigen. Sie hat Angst, dass die Tä­te­r:in­nen sie in der Stadt, die rund 90.000 Ein­woh­ne­r:in­nen zählt, erkennen könnten. Andere Angehörige der Toten trauen sich überhaupt nicht, offen zu sprechen, oder haben einen Monat nach der Tat schlicht nicht die Kraft dazu.

Noch immer sucht die zuständige Staatsanwaltschaft Hagen nach Hinweisen und Zeu­g:in­nen aus jener Nacht. Die Tat ist zwar offiziell als „islamfeindlich“ eingestuft worden, von einem rechten Anschlag möchte die Staatsanwaltschaft aber nicht sprechen: „Dafür gibt es bisher weder Hinweise noch Beweise“, heißt es dazu aus der Pressestelle. Hinweise gebe es laut Innenministerium in Nordrhein-Westfalen bisher nur auf einen betrunkenen Mann und auf eine Gruppe von Jugendlichen, die hier auf dem Friedhof in der Neujahrsnacht gesehen worden sei. Die Betroffenen lässt dies ratlos zurück.

Christ:innen, Muslim:innen, Jü­d:in­nen und Nichtgläubige ruhen hier gemeinsam

Seit Anfang des 19. Jahrhunderts wurden auf dem Hauptfriedhof im sauerländischen Iserlohn Tausende Menschen begraben: Christ:innen, Muslim:innen, Jü­d:in­nen und Nichtgläubige. Das Grab von Celiks Mann liegt auf dem muslimischen Teil des Friedhofs. Dieser ist durch Hecken und Büsche etwas abgetrennt von den anderen Ruhestätten. In fünf Reihen liegen hier etwa 45 Menschen. Auf der Wiese daneben gibt es ein Dutzend weitere Gräber und viel Platz für weitere Bestattungen.

Begraben werden die Toten nach muslimischem Glauben mit Blick in Richtung der heiligen Stadt Mekka, eingewickelt in Leinentücher. Letzteres ist in Deutschland allerdings nicht erlaubt. Ansonsten sind die muslimischen Gräber genauso unterschiedlich geschmückt wie alle anderen Gräber auch: Manche haben viele Blumen und Schmuck, andere weniger. Die großen oder kleinen Grabsteine haben die Form eines Herzens oder eines Buchs. Darauf stehen Sprüche auf Arabisch und Deutsch. Einige Gräber bestehen aus einem Bett aus Kies oder anderen Steinen. Ein paar Gräber sind wohl länger nicht mehr besucht worden. Ein Grabstein ist fast komplett von Unkraut überwuchert.

Grabschändungen wie die in Iserlohn haben in Deutschland eine lange Geschichte. Dabei geht es nicht um den bösen Nachbarn oder die böse Nachbarin, die Blumen stiehlt. Es geht um Hass auf bestimmte Religionen. Vor allem jüdische Friedhöfe waren oft von antisemitischen Attacken heimgesucht. Dokumentiert sind Schändungen im Mittelalter, im 18. Jahrhundert und auch während des Ersten Weltkriegs.

Ihren Höhepunkt erreichten die Grabschändungen aber im Nationalsozialismus, als jüdische Friedhöfe landesweit fast komplett zerstört oder verkauft wurden. In den 1940er und 1950er Jahren gab es dann erneut eine ganze Welle von Schändungen auf jüdischen Friedhöfen in beiden Teilen Deutschlands, bis heute kommt es vereinzelt zu Angriffen. Muslimische Friedhöfe sind in der Vergangenheit seltener betroffen gewesen, wahrscheinlich weil sie in Deutschland noch nicht so lange üblich sind. Doch auch hier mehren sich in letzter Zeit die Fälle.

Porträt Hülya Eren

Hülya Eren: „Mir ist es wichtig zu zeigen, dass es von überall her Solidarität gibt“ Foto: Ritter

Die Grabsteine von Aylin Bakirtans Eltern sind bei den Schändungen in Iserlohn nicht zerstört worden. Die Tä­te­r:in­nen sind allerdings über die Grabstellen getrampelt. Bakirtan war in der Türkei, als sie davon erfuhr. Sie kam sofort zurück und war als eine der Ersten auf dem Friedhof. Ihre Mutter wurde erst vor drei Monaten neben ihrem Vater begraben. „Es fühlt sich erniedrigend an. Da ist gerade ein Mensch beerdigt worden, und irgendwelche Menschen gehen so respektlos mit den Toten um. Das tut weh. Das tut sehr weh“, sagt die 32-Jährige.

Angehörige der Verstorbenen treffen sich nach Friedhofsschändungen

Angehörige der Verstorbenen treffen sich Ende Januar 2022 nach den Friedhofsschändungen Foto: Ritter

Während sie spricht, kommen die Worte immer schneller und lauter aus ihrem Mund. Sie hält einen Moment lang inne, guckt nachdenklich durch ihre runde Brille und setzt neu an. Zwischendurch schaut sie auf den massiven herzförmigen Grabstein ihres Vaters. Die Stele für ihre Mutter ist auch herzförmig, allerdings aus Holz. „Wenn die Zeit endet, beginnt die Ewigkeit“, steht darauf geschrieben. Davor liegt ein kleineres Herz auf dem Boden. Aufschrift: „Beste Mama der Welt“.

Rassismus könnte Grund für die Schändungen gewesen sein

Lange hatte Bakirtan keinen Kontakt zu ihrer Mutter. In den letzten Jahren ihres Lebens hat sie ihn wiedergefunden, ihre Mutter gepflegt und sehr viel Zeit mir ihr verbracht. Ihre Mama bedeutete ihr die Welt. „Sie war am Ende sehr zerbrechlich. Ich habe heute noch Angst, dass ich ihr wehtue, wenn ich auf das Grab trete. Die Vorstellung, dass fremde Menschen auf ihr herumgetreten sind, macht mich fertig. Sie kann sich doch nicht dagegen wehren. Sie ist schon tot.“

Normalerweise sitzt die junge Frau hier stundenlang mit einer Freundin auf der Parkbank und schaut auf die Grabstätte. Mindestens einmal pro Woche kommt sie her und redet mit ihren Eltern. Sie betet. Sie ist glücklich, obwohl es ein Ort der Trauer ist. Das hat sich seit Silvester geändert. Jetzt muss sie sich mit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit auseinandersetzen. Rassismus könnte Grund für die Schändungen gewesen sein. Sie selbst habe noch nie so eine Diskriminierung erlebt. Eine, die sich so stark gegen sie selbst wendet. „Es ging nicht darum, den Toten etwas anzutun. Das ging gegen uns Hinterbliebene, um bei uns Hass und Wut auszulösen. Außerdem frage ich mich: Muss ich jetzt jeden Feiertag hier sitzen und aufpassen, dass nichts passiert? So wie an Silvester?“

Eine Antwort darauf hat sie noch nicht gefunden. Seit dem Anschlag laufen häufiger Po­li­zis­t:in­nen über den Friedhof. Die Stadt versuche die Streifengänge „an Tagen mit besonderer Gefährdung wie zum Beispiel Silvester mit einem Sicherheitsdienst zu ergänzen“, erklärt Iserlohns parteiloser Bürgermeister Michael Joithe. Er zeigt sich entsetzt: „Da wir keine auffällige rechtsradikale Szene in Iserlohn haben, kamen diese Grabschändungen völlig unerwartet und waren daher besonders erschreckend. Das gute Zusammenleben der Kulturen und Religionen in unserer Waldstadt war bisher eine unserer Stärken und soll es auch in Zukunft bleiben.“ Wie lange die zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen andauern, ist noch nicht klar.

Aymann Alaiz, Mitglied des Integrationsrat der Stadt Iserlohn

Aymann Alaiz: „Die Menschen verlieren das Vertrauen in die Gesellschaft“ Foto: Ritter

Aylin Bakirtan und Nevin Celik wünschen sich Kameras für den muslimischen Teil des Friedhofs. Zumindest nachts sollten sie laufen und mögliche Tä­te­r:in­nen abschrecken. Jede Videoüberwachungsmaßnahme sei im Einzelfall auf ihre rechtliche Zulässigkeit hin zu prüfen, so der Bürgermeister. Diese Prüfung werde jetzt von der Verwaltung vorgenommen. Vor einer Woche lud der Integrationsrat der Stadt Iserlohn zu einer Sondersitzung ein. Bürgermeister, Stadträte, Verwaltungsmitarbeitende und Angehörige kamen.

Drei Stunden lang diskutierten die unterschiedlichen Parteien darüber, was jetzt geschehen kann. Das Ergebnis war für Angehörige wie Bakirtan ernüchternd. Die Stadt wird mit den Mitgliedern des Integrationsausschusses und dem Runden Tisch der Religionen eine Arbeitsgruppe einrichten. Die soll die Schutzmaßnahmen auf dem Friedhof diskutieren. Bakirtan wirkt wütend, wenn sie darüber spricht. „Es wird viel geredet und diskutiert. Es wird aber nie etwas umgesetzt. Es wird nie ein Zeichen gesetzt“, sagt sie verärgert.

Viele Bun­des­po­li­ti­ke­r:in­nen zeigten sich entsetzt

Einer, der für den Integrationsausschuss in der Arbeitsgemeinschaft sitzen wird, ist Aymann Alaiz. Der 20-Jährige trägt einen grauen Rollkragenpullover, eine dunkle Hose und einen grauen Mantel. Auch er ist wieder einmal zum Friedhof gekommen. Wie so oft in den vergangenen vier Wochen. Er ist auch enttäuscht von der Sitzung: „Vonseiten der Stadt heißt es immer, man werde Dinge prüfen. Das dauert zu lange. Das zeigt doch, dass wir Musliminnen und Muslime mit unseren Sorgen einfach nicht ernst genommen werden.“

Vor einem Jahr wurde er in den städtischen Integrationsrat gewählt. Ihm ist es wichtig, den Mus­li­m:in­nen eine Stimme zu geben und auf den Rassismus, den sie erleben, aufmerksam zu machen. Drei Tage nach Neujahr hatte er deshalb eine spontane Kundgebung auf dem Friedhof organisiert. Rund 300 Menschen kamen, darunter auch CDU-Politiker Paul Ziemiak, der hier seinen Wahlkreis hat. In den nächsten Tagen folgten weitere Landespolitiker:innen, die sich den Friedhof anschauten. In den sozialen Netzwerken haben sich viele Bun­des­po­li­ti­ke­r:in­nen entsetzt gezeigt und mit den Menschen in Iserlohn solidarisiert. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir twitterte: „Die Schändung von Gräbern in Iserlohn ist zutiefst abstoßend & nichts anderes als ein feiger antimuslimischer Anschlag.“

Laut vorläufigen Zahlen des Bundesinnenministeriums kam es in Deutschland in den ersten drei Quartalen 2021 zu 358 islamfeindliche Straftaten. (1.026 Fälle im Jahr 2020). Bei den Straftaten handelt es sich meist um Beleidigungen und Volksverhetzung, außerdem um Sachbeschädigungen etwa gegen Moscheen oder um Körperverletzungen. In Nordrhein-Westfalen sanken die Zahlen islamfeindlicher Straftaten laut Innenministerium des Landes: Wurden 2017 239 Fälle gezählt, waren es 2021 laut vorläufigen Zählungen 92. Deutschlandweit wurden seit 2017 sieben Angriffe auf Friedhöfe verzeichnet. Es wird jedoch von einer höheren Dunkelziffer ausgegangen. (cp)

Für Alaiz ist solcher Zuspruch ein starkes Zeichen und ein wichtiger erster Schritt. Trotzdem glaubt er, dass viel mehr geschehen muss. Vor allem müsse es überhaupt ein Bewusstsein in Deutschland dafür geben, dass es antimuslimischen Rassismus gibt. Dafür hält er die Attacke hier auf dem Friedhof. Während er spricht, wählt er seine Worte sehr bedacht. „Wenn wir als Inte­grationsrat nicht auf die Angriffe auf dem Friedhof aufmerksam machen, dann macht es niemand. Wahrscheinlich hätte niemand drüber gesprochen.“

Aylin Bakirtan posiert für ein Portrait auf dem Hauptfriedhof in Iserlohn

Aylin Bakirtan: „Wir müssen dafür sorgen, dass die Toten endlich in Frieden ruhen können.“ Foto: Ritter

Aufmerksamkeit gibt es im Moment viel. Wieder steht ein Kamerateam auf dem Friedhof neben ihm, interviewt die Angehörigen und filmt die Gräber. Aber wie lange sich die Menschen für antimuslimischen Rassismus interessieren werden, fragt sich Alaiz. Er und der Integrationsrat möchten sich noch besser mit den Mus­li­m:in­nen in Iserlohn zusammenschließen, damit das Thema präsent bleibt. Die verschiedenen muslimischen Gemeinden haben schon vor Jahren den Verein „Bündnis der Muslime in Iserlohn“ gegründet, den Alaiz sehr gut kennt. „Wir müssen um unsere Rechte kämpfen, über antimuslimischen Rassismus sprechen und Forderungen an die Politik stellen. Die Veränderung fängt bei uns hier in Iserlohn an, denn irgendwo muss sie anfangen“, sagt Alaiz.

Auch der Zentralrat der Muslime in Deutschland hat auf die Attacken reagiert, die es in diesem Jahr bereits gab: Neben den Grabschändungen in Iserlohn wurde auch auf eine Moschee in Halle geschossen. In Chemnitz brannten ein Auto und ein Mülleimer vor einer Moschee. Jetzt sollen in muslimischen Gemeinden bundesweit sogenannte Sicherheitsbeauftragte ausgebildet werden. Sie sollen dafür sensibilisiert werden, antimuslimische Straftaten zu erkennen, sie richtig anzuzeigen und andere Menschen nach Erfahrungen eines antimuslimsichen Rassismus zu unterstützen. Sie sollen aber auch lernen, wie Gebäude sicherer gemacht werden können.

Die Chancen, die Tä­te­r:in­nen zu finden, sind niedrig

Ob das auch in Iserlohn nötig wird? Eigentlich sei das eine Stadt, in der alle Menschen gut miteinander auskommen und selbstverständlich zusammenleben, erzählt Alaiz: „Die allermeisten sind von Frieden und Freiheit überzeugt. Obwohl ein Drittel der Menschen in Iserlohn eine Migrationsgeschichte hat, müssen wir noch viel aufklären. Das ist leider überall anders auch so.“ Seine eigenen Großeltern kamen in den 1960er Jahren als Gast­ar­bei­te­r:in­nen aus der Türkei. Angriffe wie der auf den Friedhof in Iserlohn lassen sie noch immer zweifeln, ob sie einen Ort ihre Heimat nennen können, an dem sie nicht willkommen sind. „Sie überlegen jetzt, ob sie sich hier beerdigen lassen wollen oder doch lieber in die Türkei überführt werden wollen. Auch jüngere Musliminnen und Muslime sagen mir, dass sie sich nicht wie Deutsche fühlen, weil sie anscheinend nicht erwünscht seien“, berichtet Alaiz.

Konkrete Gründe dafür gibt es einige. So wurde bereits ein Jahr zuvor ein muslimisches Grab geschändet. Eine Anzeige gab es damals jedoch nicht, auch in den Medien wurde nicht darüber berichtet. Auch in diesem Jahr haben wieder nicht alle Angehörigen Anzeige erstattet. „Die Menschen verlieren das Vertrauen in die Gesellschaft, die Polizei und andere Behörden. Sie fühlen sich nicht ernst genommen und zeigen solche Dinge dann auch nicht an“, erklärt Alaiz.

Nevin Celik zum Beispiel hat Anzeige gegen unbekannt erstattet. Die Chancen, dass die Tä­te­r:in­nen gefunden werden, sind erfahrungsgemäß nicht sehr hoch. Das bedeutet für Celik ganz konkret: Niemand muss für ihren Schaden zahlen. 8.500 Euro hat das Grab inklusive Grabstein und Marmorplatten gekostet. Das türkische Generalkonsulat aus Essen hat ihr Hilfe angeboten. Es hat versprochen, das Grab zu ersetzen: Halbmond und Stern sollen in der Türkei neu angefertigt und dann nach Iserlohn gebracht werden.

Auch Aylin Bakirtan bekommt einen richtigen Grabstein für ihre Mutter. Hülya Eren möchte ihr den schenken. Die komplett in Schwarz gekleidete Frau hatte in der Schweiz von den Grabschändungen auf dem Iserlohner Friedhof gehört und sofort Kontakt zum Integrationsausschuss der Stadt gesucht. Eren hat angeboten, allen Angehörigen einen Grabstein zu schenken, wenn sie das finanziell allein nicht stemmen können. „Ich möchte helfen“, sagt sie, „es geht um Menschlichkeit, und dafür ist kein Weg zu weit. Mir ist es hier in Iserlohn wichtig zu zeigen, dass es von überallher Solidarität gibt.“

Eren, die gebürtig aus der Türkei stammt, kennt die Betroffenen erst seit sehr kurzer Zeit, trotzdem umarmt sie Celik und Bakirtan beim Treffen auf dem Friedhof immer wieder oder flüstert ihnen etwas auf Türkisch ins Ohr. Sie hat in Luzern einen, wie sie ihn nennt, Grabsteinverein gegründet. Sie berät dort Mus­li­m:in­nen bei anstehenden Beerdigungen und verkauft passende Grabsteine. Für viele sei eine Beerdigung in Europa noch nicht lange ein Thema, berichtet Eren. Erst seit etwa zehn Jahren, so ist ihr Eindruck, würden immer mehr Menschen ihren letzten Ruheort hier und nicht in ihren Ursprungsländern suchen und finden. „Die Menschen wollen in ihrer Heimat bleiben – wo sie auch gelebt haben und wo auch immer noch die Familie lebt. Sie kennen sich aber mit den Gegebenheiten nicht aus.“ Es besteht also viel Beratungsbedarf.

Auch weitere Privatmenschen und Institutionen haben ihre Hilfe angeboten und möchten Geld spenden. Doch wohin sollen sie spenden? Aylin Bakirtan kann sich vorstellen, mit anderen Angehörigen einen Förderverein zu gründen und den Friedhof irgendwie selbst sicherer zu machen. Außerdem will sie die Arbeit der Mitglieder der neu eingerichteten Arbeitsgemeinschaft aufmerksam begleiten und versuchen, die Prozesse dort zu beschleunigen, falls es nötig werden sollte. „Wir müssen dafür sorgen, dass die Toten endlich in Frieden ruhen können.“

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