Iranischer Reformer Rafsandschani: Der Hai unter den Mullahs
Haschemi Rafsandschani gilt als graue Eminenz der iranischen Reformbewegung. Doch im gegenwärtigen Machtkampf schweigt er - noch.
Er ist vollkommen abgetaucht und wird doch als die graue Eminenz der iranischen Reformbewegung gehandelt: Ajatollah Akbar Haschemi Rafsandschani. Die Iraner nennen ihn gerne "den Hai". Und sie fragen sich, wann der machiavellische Taktiker in die Öffentlichkeit tritt. Denn obwohl sich in dem 75-Jährigen die Spaltung des religiösen Establishments manifestiert, hat er sich im gegenwärtigen Machtkampf noch nicht zu Wort gemeldet. Zuletzt gesichtet wurde er am Wahltag, als er wohl die Dinge, die da kommen würden, vorausahnend bei der Abgabe seiner Stimme zu "sauberen Wahlen" und zu einer großen Wahlbeteiligung aufrief.
Rafsandschani, eine der entscheidenden Figuren der Islamischen Revolution, hatte zuvor aus seiner Ablehnung Ahmadinedschads kein Hehl gemacht. Als dieser ihn bei einer Fernsehdebatte als korrupt beschimpft hatte, schrieb Rafsandschani einen offenen Brief an Revolutionsführer Ali Chamenei. "Ich erwarte von Chamenei, dass er das Feuer löscht, dessen Rauch bis zur Atmosphäre reicht", schrieb er darin. Und: "Wenn im Wahlkampf Beschimpfungen, Lügen und falsche Verdächtigungen gemacht werden können, wie können wir uns dann noch als Nachfolger eines heiligen Islamischen Systems ansehen?" Eine offene Kritik an Chamenei, der bereits vor der Wahl seine Unterstützung für Ahmadinedschad erklärt hatte und seither nichts daran geändert hat.
Bei seiner Predigt am vergangenen Freitag würdigte Chamenei zwar Rafsandschanis Rolle bei der Revolution, sprach aber auch von "vielen Meinungsverschiedenheiten", die es zwischen ihnen gebe: "Natürlich sind die Vorstellungen des Präsidenten Ahmadinedschad den meinen näher." Rafsandschani war bei dieser Predigt in der Universität von Teheran ebenso wenig anwesend wie alle anderen Reformer.
In dem Machtkampf, der nicht nur auf der Straße, sondern auch im Verborgenen tobt, steht die Person Rafsandschanis nicht nur gegen Ahmadinedschad, sondern auch und vor allem gegen Revolutionsführer Chamenei. Unbestätigten Berichten nach ist Rafsandschani derzeit in der Stadt Ghom, dem geistlichen Zentrum des schiitischen Islams, um im 86-köpfigen Expertenrat, dem er vorsteht, eine Mehrheit für eine Absetzung Chameneis zu finden. Der ließ als Warnung am Wochenende fünf Familienangehörige seines Widersachers verhaften, darunter Rafsandschanis Tochter Faeseh Haschemi, die letzte Woche persönlich zu den Demonstranten gesprochen hatte. Am Montag wurden sie wieder freigelassen.
Das Ganze entbehrt nicht einer gewissen Ironie, war es niemand anderes als Rafsandschani, der nach dem Tod Ajatollah Chomeinis dafür gesorgt hatte, dass Chamenei Revolutionsführer wurde. Damals überzeugte er den Expertenrat, den in der Hierarchie der schiitischen Geistlichkeit nicht ganz oben stehenden Chamenei in dieses Amt einzusetzen.
Rafsandschani und Chamenei hatten zusammen dasselbe religiöse Seminar besucht, beide zählten sie zu den Weggefährten Chomeinis. Und in den ersten Jahren der Revolution und dem iranisch-irakischen Krieg arbeiteten beide eng zusammen. Doch Rafsandschani hielt sich lieber im Hintergrund und hoffte wohl, den wenig charismatischen Chamenei kontrollieren zu können.
Selbst machte "der Hai" lieber Geschäfte, was ihm den Namen "Pistazienmillionär" einbrachte und seiner Familie zu verdächtig hohem Wohlstand verhalf. Mit einem geschätzten Vermögen von einer Milliarde Euro gilt er als reichster Mann des Landes. Seine Machtbasis hat er in der Händlerklasse der Basaris. Nicht verwunderlich also, dass er bald begann, sich für eine stärkere Marktorientierung der Republik einzusetzen. Zugleich wurde er zum Befürworter einer größeren Offenheit und größerer persönlicher Freiheiten innerhalb der islamischen Gesellschaft. Populär war der skrupellose Politiker jedoch nie. Viele Iraner halten ihn für korrupt und erinnern sich an seine Präsidenschaft in den Jahren 1989 bis 1997 als eine Zeit der verdeckten Morde im In- und Ausland.
Als Rafsandschani 2005 erneut für die Präsidentschaft kandidierte, verlor er in der Stichwahl gegen den noch recht unbekannten Revolutionsgardisten Ahmadinedschad. Viele Iraner fühlten sich bei dieser Wahl an das alte persische Sprichwort erinnert, wonach hohes Fieber dem Tod vorzuziehen sei. Am Ende war ihnen das hohe Fieber aber doch nicht Motivation genug, um wählen zu gehen.
Rafsandschani und Ahmadinedschad stehen auch für zwei Geschäftsmodelle. Der eine repräsentiert den alten Reichtum, der andere schützt die Interessen der neureichen Revolutionsgardisten, die sich in den letzten Jahren parallel zum klerikalen Establishment ein Geschäftsimperium aufgebaut haben.
Manche Iraner sehen in Rafsandschanis auffälliger Abwesenheit ein Indiz für dessen Machtverlust. Doch als Vorsitzender des Expertenrates und eines zweiten mächtigen Gremiums, des Schlichtungsrats (der in Streitfällen zwischen dem Parlament und dem als eine Art Verfassungshüter dienenden Wächterrat vermittelt) bleibt er eine Größe, mit der in der iranischen Politik zu rechnen ist.
Laut Gerüchten hat er beantragt, am kommenden Freitag die zentrale Predigt in Teheran zu halten. Damit würde der Machtkampf der Ajatollahs erstmals offen ausgetragen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku