Iran weiter auf Entspannungskurs: Charmeoffensive aus Teheran
PR-Kampagne auf iranisch: Präsident Rohani darf direkte Gespräche mit den USA führen. Schon nächste Woche wird er vor der UN-Vollversammlung reden.
BERLIN taz | Der neue iranische Präsident Hassan Rohani ist ein eifriger Twitterer. Kein Tag vergeht, an dem er seine Mitarbeiter nicht auf dem ihm zugeschriebenen Account zwitschern lässt. Vorwiegend sind es Verlautbarungen und Glückwünsche, aber immer wieder ist auch eine politische Botschaft darunter. „Die Tage, wo man eine Mauer um ein Land bauen konnte, sind vorbei. Es gibt keine Mauern mehr“, heißt es etwa in einem Tweet von dieser Woche.
Rohani spricht sich nicht zum ersten Mal für eine Öffnung und mehr Freiheit aus. Doch noch nie sind derartige Äußerungen in einer PR-Kampagne eingebettet gewesen, die derzeit in Washington und den europäischen Hauptstädten gleichermaßen Verblüffung auslöst. Gestern wurde sogar die prominente Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotudeh begnadigt und zusammen mit mehr als einem Dutzend anderer politischer Gefangener freigelassen.
Um sein Land aus der internationalen Isolation zu führen, muss Rohani allerdings vor allem den Atomkonflikt entschärfen. Erstmals hat er dafür offenbar nun das Plazet vom geistlichen Führer Ali Chamanei, der in allen Dingen das letzte Wort hat. Er habe „die volle Macht und komplette Autorität“, um ein Atomabkommen abzuschließen, sagte Rohani am Mittwochabend im US-Sender NBC. Er wiederholte auch das Mantra der iranischen Führung, dass sein Land keine Atomwaffen anstrebe.
Die prominente iranische Anwältin und Menschenrechtaktivisten Nasrin Sotudeh ist von der iranischen Justiz freigelassen worden. „Das ist ein schönes Gefühl, wieder Zuhause zu sein und die Menschen zu umarmen, die mir in all den Jahren so gefehlt haben“, sagte sie am Mittwochabend vor Journalisten in Teheran. Die 48 Jahre alte Sotudeh gehört zu einer Gruppe von mehr als 15 politischen Gefangenen, die seit Dienstag freigelassen worden seien.
Sotudeh wurde im September 2010 verhaftet und wegen angeblicher Propaganda gegen das Establishment zu elf Jahren Haft verurteilt. Im Dezember vergangenen Jahres wurde sie zusammen mit dem Filmemacher Jafar Panahi vom Europaparlament mit dem Sacharow-Preis ausgezeichnet. Damit wurde der Mut gewürdigt, "sich für die Freiheit der Meinung, der Kunst und der individuellen Rechte" einzusetzen.
Nach ihrer Freilassung sagte Sotudeh weiter, die Zeit im Gefängnis sei ein Albtraum gewesen - psychisch mehr als physisch. Das alles sei aber nun Vergangenheit, denn sie habe ihre Familie wieder. "Mein Sohn Nima kommt in die erste Klasse und ich werde den kleinen Mann höchstpersönlich in die Schule bringen", kündigte sie an. Das alleine mache all das Leid der vergangenen Jahre vergessen, so die Anwältin. (dpa/taz)
Chamenei selbst, ein Hardliner, gab sich ebenfalls betont moderat. In einer Rede vor den einflussreichen Revolutionsgarden sagte er diese Woche, er sei „nicht gegen angemessene Schritte in der Diplomatie“. Oftmals sei die „Flexibilität eines Ringers“ notwendig, der zuweilen aus taktischen Gründen nachgebe.
Nicht zuletzt deshalb dürfte Rohani nächste Woche der Star unter den Rednern vor der UN-Vollversammlung sein. Es wird sogar damit gerechnet, dass er konkrete Vorschläge zu den Atomverhandlungen vorstellt. Ob es zu einer direkten Begegnung mit US-Präsident Barack Obama kommt, ist indes noch unklar.
Briefwechsel mit Obama
Zu Rohanis Charmeoffensive gehört auch ein Briefwechsel mit Obama. Als Obama Rohani zur Wahl gratulierte, nutzte dieser die Gelegenheit zur direkten Kontaktaufnahme. Obama sei „positiv und konstruktiv“ gewesen, sagte Rohani. Ausgetauscht wurden die Schriftstücke über die Schweizer Botschaft, die die US-Interessen vertritt.
Für gute Stimmung sorgt zudem, dass Rohani darum bemüht ist, sich von der Krawalldiplomatie und den antisemitischen Ausfällen seines Vorgängers Mahmud Ahmadinedschad abzugrenzen. Per Twitter wünschte er beispieslweise vorzwei Wochen den Juden in aller Welt ein schönes neues Jahr. Und nun folgte auch noch eine sachte Ablösung vom syrischen Regime.
„Wen immer die syrischen Bürger wählen, wir sind damit einverstanden“, so Rohani. Der Einsatz von Chemiewaffen in Syrien weckt bei den Iranern schlimme Erinnerungen. Irak hatte im Golfkrieg Chemiewaffen gegen den Iran eingesetzt. Mehr als 50.000 Menschen leiden noch unter den Spätfolgen.
Die große Frage bleibt jedoch, ob die Hardliner der islamischen Republik eine echte und dauerhafte Annäherung an den Westen tatsächlich zulassen werden. Denn der Iran besteht aus zwei Machtzentren: der gewählten Regierung mit dem Präsidenten an der Spitze und dem geistlichen Führer Chamenei mit all den Institutionen, die ihm direkt unterstehen.
Wie die Machtteilung in der Praxis aussieht, hat die kurze Freigabe von sozialen Medien diese Woche gezeigt. Twitter und Facebook waren zur Freude vieler Nutzer plötzlich freigeschaltet. Wenige Stunden später wurde allerdings schon wieder der Stecker gezogen. Offiziell hieß es, die Freigabe sei ein rein technischer Fehler gewesen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt