Iran und der Nahe Osten: Leicht entflammbar
In Syrien, im Irak, im Libanon und in Saudi-Arabien: Ein in die Ecke gedrängter Iran hätte viele Orte, um die Lage in der Region zu destabilisieren.

Wenn der Iran dann allerdings das Gefühl bekommt, stranguliert zu werden, wird sich die Hauptfront ganz schnell in die Region Nahost verlagern. Möglichkeiten, die Schrauben dort anzuziehen, hat der Iran mehr als genug.
Der erste Austragungsort wird dann Syrien sein, der zweite der Irak und der dritte der Libanon. Die wichtigsten Akteure neben dem Iran: Israel und Saudi Arabien.
In Syrien deutet alles darauf hin, dass Israel, wie in den letzten Wochen sichtbar, immer enthemmter militärisch dort tätig werden wird. Auch kurz nach der Ankündigung Trumps am Dienstag war dort, laut syrischen Angaben, von israelischer Seite ein syrisches Armee-Depot aus der Luft angegriffen worden. Dabei sollen auch iranische Revolutionsgardisten ums Leben gekommen sein.
Gefahr für Israel aus Syrien
Wie der Iran auf die wachsende militärische Aktivität Israels in Syrien reagieren wird, ist unklar. Die Iraner wissen, dass jedes Vorgehen gegen Israel zur Folge hätte, dass die Europäer, die im Moment der Anti-Iran-Linie der USA und Israels skeptisch gegenüberstehen, sofort beidrehen würden, wenn sich nur andeutet, dass Israel in Gefahr sein könnte.
Ein schwer einzuschätzender Faktor sind hier die iranischen Hardliner, die zuvor durch den Iran-Atom-Deal marginalisiert worden waren. Aber auch in Israel besteht vor allem zwischen Premier Benjamin Netanjahu und einigen seiner Militärs in Sachen Iran-Atom-Deal keine Einigkeit.
Zudem befindet sich in Syrien die verwundbarste Stelle der USA: die im Nordosten des Landes neben kurdischen Milizen stationierten amerikanischen Truppen an der IS-Front. Deren Abzug hatte Trump zunächst in Aussicht gestellt, hatte das aber dann wieder zurückgenommen, als er in die Kritik geriet, die Anti-IS-Allianz damit zu schwächen. Versuche seines Sicherheitsberaters John Bolton, eine arabische Streitmacht aufzustellen, die die USA dort ersetzen könnte, vor allem in Richtung Ägypten, sind bisher wenig erfolgreich.
Eine direkte Konfrontation zwischen Truppen des syrischen Regimes und iranischen Milizen auf der einen und den US-Truppen auf der anderen Seite, wäre ein möglicher Konfrontationskurs der Iraner. Die US-Truppen müssten dann extrem vorsichtig vorgehen, um keine russischen Truppen zu treffen, die ebenfalls vor Ort sind.
Heikle Lage im Irak
Der zweite Austragungsort könnte der Irak werden. Auch dort befinden sich US-Truppen, die in den letzten Jahren de facto mit den iranisch-gesteuerten schiitischen Milizen gegen den IS zusammengearbeitet haben.
Der IS hält dort zwar kein Territorium mehr, ist aber im Untergrund immer noch aktiv. Er könnte also im „de facto Ende“ der gemeinsamen Anti-IS-Front zum lachenden Dritten werden.
Außerdem finden im Irak am Wochenende Parlamentswahlen statt. Dort hat man verzweifelt versucht, das trennende schiitisch-sunnitische Element aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Der irakische Premier Haider Al-Abadi streckt den Sunniten die Hand aus, und hofft, dass sie erstmals seit Jahren wieder zu einem ernsthaften Teil des politischen Systems in Bagdad zu werden.
Die Lehre, die man in Bagdad aus dem Kampf gegen den IS gezogen hatte: je mehr die Sunniten des Landes vom politischen System entfremdet sind, desto einfacher ist es für die Rattenfänger des IS und andere militante Islamisten, sie zu rekrutieren.
An dieser Front könnte er Iran jederzeit wieder Öl in Feuer gießen und die konfessionellen Konflikte des Iraks auf Seiten der Schiiten anheizen. Die Saudis würden dann ihresgleichen bei den Sunniten tun. Hardliner auf beiden Seiten würden sich freuen.
Hisbollahs neue Macht im Libanon
Schließlich ist da noch der Libanon. Dort hat sich die vom Iran unterstützte schiitische Hisbollah zumindest innenpolitisch bisher relativ zurückgehalten. Sie war ein Teil der Regierung der Nationalen Einheit mit dem Premier Saad Hariri.
Nun hat die Hisbollah aber erst in dieser Woche mit ihren Verbündeten die Mehrheit der Parlamentssitze gewonnen. Auch hier kann der Iran einiges anrichten – erneut in direkter Nachbarschaft zu Israel.
Und nicht zuletzt im Jemen kann der Iran via der schiitischen Houthi-Milizen immer wieder gegen die Saudis sticheln. Raketen, die vom Jemen kommend in das tiefste Innere Saudi Arabien zielen, sind zur Normalität geworden. Die Saudis befinden sich im Jemen in einem Krieg, der von keiner Seite militärisch gewinnbar ist und sie haben derzeit keinerlei Exit-Plan.
Auch an der Ölfront könnte der Iran einiges Durcheinanderbringen, mit weitreichenden Konsequenzen für den internationalen Ölmarkt. Von einem erhöhten Ölpreis infolge der Krise mit dem Iran profitieren die Saudis am meisten. Aber fast das gesamte saudische Öl befindet sich im Osten des Landes.
Unzufriedene Schiiten in Saudi-Arabien
Die Schiiten bilden zwar in Saudi Arabien eine Minderheit, aber ausgerechnet im Osten des Landes, im Ölgebiet, sind sie die Mehrheit. Da sie als Bürger zweiter Klasse behandelt werden, herrscht dort Unzufriedenheit. Immer wieder gab es dort in den letzten Jahren kleinere Aufstände. Auch hier könnte der Iran versuchen, eine größere Aufstandsbewegung anzuzetteln.
Alles wird davon abhängen, wie sehr sich der Iran in die Ecke gedrängt fühlt. Kann die USA die Europäer auf Sanktionslinie zwingen oder nicht? Und wenn das der Fall ist: Wie verhalten sich Russland und China? Gemeinsam haben diese beiden viele Möglichkeiten Iran-Sanktionen zu unterwandern und den Iran über Wasser zu halten. Waffen gibt es in Russland, Spitzentechnologien für die iranische Wirtschaft inzwischen auch aus China.
Aber in dem Moment, an dem die iranische Führung das Gefühl hat, nichts mehr zu verlieren, hat sie vielfache Möglichkeiten überall in der Region Lunte anzulegen. Welcher der Akteure, der Iran, Israel, die USA, Saudi Arabien, Europa, Russland oder China als Gewinner oder Verlierer vom Platz gehen, ist noch nicht ausgemacht. Nur ein Verlierer steht schon jetzt ganz sicher fest: die Menschen in der Region, die das alles ausbaden müssen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Gerichtsentscheidung zu Birkenstock
Streit um die Sandale