Iraker bestimmen Parlament: Wahlen ohne großen Sieger

Am Sonntag wählen der Irak ein neues Parlament. Im Vordergrund stehen für die meisten die Probleme des Alltags. Ein religiöser Diskurs der Politiker zieht nicht mehr.

Ein wichtiges Thema der Wahlen ist die Frage der fragilen Sicherheitslage. Bild: dpa

KAIRO tazWer die irakischen Wahlen gewinnt, der wird das Zweistromland erstmals wieder ohne US-Truppen im Hinterhof regieren. Genau darin liegt für die Iraker die besondere Bedeutung, wenn sie am Sonntag zum zweiten Mal seit dem Sturz Saddam Husseins und dem US-Einmarsch ein neues Parlament wählen. Denn die meisten US-Soldaten sollen nächstes Jahr, so will es der Plan des US-Präsidenten Barack Obama, das Land verlassen. Wie zügig das vorangehen wird, hängt, so sagen US-Militärs unter der Hand, auch vom Ergebnis dieser Wahl ab.

Sicher ist nur eines: es wird nicht einen großen Gewinner geben, der die irakische Politik dominieren wird. Die Stimmen werden wohl unter den großen Wahllisten aufgeteilt, dem "Bündnis der Rechtsstaatlichkeit" des amtierenden Premiers Nuri al-Maliki, der "Irakischen Nationalallianz" - einem wahltaktischen Verbund der beiden großen schiitischen Rivalen - der Sadr-Bewegung des Schiitenpredigers Muktada Sadr und dem "Obersten Irakischen Islam-Rat" - einer Allianz der Kurdenparteien und der säkularen Liste "Al-Irakyia". Das große Koalitions-Gerangel ist vorgezeichnet.

Ein wichtiges Thema der Wahlen ist die Frage der fragilen Sicherheitslage. Mehrere Anschläge in den letzten Wochen haben deutlich gemacht, dass das Zweistromland vor dem Abzug der Amerikaner 2011 sein Sicherheitsproblem nicht im Griff hat. Auch am Mittwoch wurden durch drei Selbstmordattentate in der Stadt Bakuba mindestens 31 Menschen getötet.

Dass die nationale Aussöhnung nicht allzu weit gediehen ist, zeigt auch, dass die sunnitische Minderheit sich erneut an den Rand gedrängt fühlt, nachdem 400 ihrer Kandidaten wegen ihrer einstigen Zugehörigkeit zu Saddams Baathpartei für die Wahlen disqualifiziert worden sind - von der "Obersten Kommission für Gerechtigkeit und Rechenschaft", in der einige schiitische Gegenkandidaten das Sagen haben. Debaathifizierung ist populär unter der schiitischen Wählerschaft, die Sunniten sehen sie als ein schiitisches Instrument, um den politischen Gegner zu diskreditieren.

"Wir fühlen uns unserer Rechte beraubt", sagt Hikmat Zaidan, Vizegouverneur der sunnitischen Provinz Ramadi. "Und wenn sich hier die Menschen ihrer Rechte beraubt sehen, greifen sie zu den Waffen." Bisher bleiben die Sunniten jedoch an Bord. Aufrufe zum Wahlboykott fanden bei ihnen keine Resonanz.

Für die meisten Iraker geht es aber bei dieser Wahl um Fragen des Alltags. Im Wahlkampf werden immer wieder die schlechten staatlichen Dienstleistungen bei der Strom- und Wasserversorgung, die Arbeitslosigkeit und die grassierende Korruption angeprangert. Anders als bei den letzten Parlamentswahlen 2005, lassen sich die Iraker heute nicht mehr mit religiösen Reden der Politiker abspeisen. "Sie haben begriffen, dass dahinter politische Interessen stecken, und würden heute nicht mehr gemäß irgendeiner Fatwa wählen", erklärt der irakische Politikexperte Mohammed al-Kubaissi. Selbst Parteien wie der schiitische "Oberste Irakische Islam-Rat", der auf konfessioneller Basis operiert, hat die religiösen Untertöne durch einen nationalistischen Diskurs ersetzt.

Die hohe schiitische Geistlichkeit hält sich zurück. Der wohl wichtigste, Großajatollah Ali al-Sistani, hat zwar dazu aufgerufen, zur Wahl zu gehen, aber öffentlich keiner Partei seinen Segen gegeben. Unlängst antwortete er auf die Frage, was er als wichtiger empfinde, die schiitische Einheit oder den Schutz der irakischen Demokratie? "Definitiv das Zweite." Ein anderer schiitischer Geistlicher, Ajad Dschamal Eddin, tritt als Aushängeschild einer wichtigen säkularen Partei auf. "Die schiitische Gemeinde im Irak wurde vom Iran und den schiitischen Geistlichen gekidnappt. Doch heute wollen die Menschen keine religiösen Reden mehr, sondern Dienstleistungen und Sicherheit."

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