Interview zu Kindesmissbrauch: "Pädophilie ist einfach nicht heilbar"
Sexualstraftäter zu outen verhindere keinen Rückfall, sagt der Therapeut Christoph Joseph Ahlers. Vor uneinsichtigen Tätern, wie dem 45-jährigen Uwe K. in Spandau, müsse die Öffentlichkeit aber geschützt werden.
taz: Herr Ahlers, der Fall des mutmaßlich rückfällig gewordenen Sexualstraftäters Uwe K. sorgt für Schlagzeilen. Warum kocht die Volksseele beim Thema sexueller Kindesmissbrauch immer so hoch?
Christoph Joseph Ahlers: Weil die Opfer schutzlose Kinder sind und es sich um Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung handelt. Das ist eine Kombination, die bei allen Menschen maximale Empathie auslöst. Die Reaktion ist Abscheu und Wut, zumal bekannt ist, dass durch Sexualstraftaten psychische Schäden verursacht werden können. Wichtig ist in diesem Kontext, zwischen sexuellem Kindesmissbrauch und Pädophilie zu unterscheiden. Die überwiegende Mehrzahl von sexuellem Kindesmissbrauch wird von nichtpädophilen Tätern begangen.
Christoph Joseph Ahlers, 41, ist klinischer Sexualpsychologe und niedergelassener Sexualtherapeut in Berlin. Er war von 1997 bis 2007 wissenschaftlicher und klinischer Mitarbeiter am
Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin der Charité und ist Mitinitiator des "Präventionsprojekts Dunkelfeld", eines Behandlungsangebots für Personen, die auf Kinder gerichtete sexuelle Neigungen verspüren (www.kein-taeter-werden.de).
In Berlin wird über Konsequenzen aus dem Fall des Sexualstraftäters Uwe K. gestritten. Nach dem mutmaßlichen erneuten Missbrauch eines Kindes durch den 45-Jährigen sprach der Neuköllner Gesundheitsstadtrat Falko Liecke (CDU) am Mittwoch von einer "Kapitulation des Staates". Er forderte, die Adressen potenzieller Sexualtäter zu veröffentlichen.
Uwe K. soll ein zwölfjähriges Mädchen vergewaltigt haben. Er sitzt seit Dezember wieder in Untersuchungshaft. Die Mutter des Mädchens soll trotz Warnungen von Polizei und Jugendamt den Kontakt zu dem verurteilten Sexualstraftäter nicht abgebrochen haben. K. war 2007 nach elf Jahren Haft freigekommen, obwohl er weiter als gefährlich galt. Die Polizei observierte ihn zweimal erfolglos über einen längeren Zeitraum.
Mit dem Fall beschäftigt sich heute der Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses. (ddp, taz)
Uwe K. wird in den Akten als pädophiler Täter geführt. Vor seiner Haftentlassung im Februar 2007 hatte die Staatsanwaltschaft Potsdam auf die Gefährlichkeit des Mannes hingewiesen. Wäre es ratsam gewesen, die Anwohner des Falkenhagener Feldes in Spandau vor K. zu warnen?
Zu dem konkreten Einzelfall kann ich nichts sagen, weil ich ihn nicht kenne. Aber was aus der Bekanntmachung von Sexualstraftätern folgt, ist aus den USA bekannt: Die entlassenen Männer wurden stigmatisiert. In keinem Fall ist eine kriminalpräventive Wirkung nachgewiesen worden. Dadurch wird einer Resozialisierung und Wiedereingliederung solcher Menschen entgegengewirkt. Es kann doch gar nicht anders laufen, als dass die Nachbarschaft auf die Barrikaden geht; Bürgerwehren entstehen, die vor den Häusern Wache halten. Die Männer werden ausgegrenzt und isoliert. All das erhöht das Risiko neuer Straftaten.
Wie können Anwohner ihre Kinder dennoch schützen?
Vor allem dadurch, dass sie in engem Kontakt zu ihren Kindern stehen. Mit ihnen viel Zeit verbringen und eine enge Beziehung zu ihnen haben - sodass die Kinder wissen, sie können mit allem, was sie bewegt und was sie erleben, zu ihren Eltern kommen. Besonders gefährdet sind Kinder, die wenig Aufmerksamkeit, Fürsorge, Geborgenheit und Aufgehobenheit in ihren Elternhäusern erfahren. Kinder, die viel auf sich allein gestellt sind und bei denen die familiäre Kommunikationskultur es gar nicht hergibt, dass sie sich anvertrauen können.
Über Uwe K. heißt es, er sei deshalb so gefährlich, weil er therapieresistent sei. Ist Pädophilie denn heilbar?
Nein. Die sexuelle Ansprechbarkeit durch vorpubertäre Kinderkörper ist in der Persönlichkeitsstruktur verankert. Sie lässt sich therapeutisch nicht löschen oder ins Gegenteil verkehren.
Könnte sich ein Pädophiler trotzdem verantwortungsvoll verhalten?
Durchaus. Die bedingende Voraussetzung ist, dass der Betreffende ein Problembewusstsein dafür entwickelt, dass er sexuell auf Kinder ansprechbar ist. Daraus folgt in der Regel ein Leidensdruck. Das sind die bedingenden Voraussetzungen für eine Therapiemotivation und für den eigenen Willen, keine Übergriffe zu begehen. Wenn das erfüllt ist, sind die therapeutischen Optionen groß: Denn dann lernen die Betroffenen, dass sie zwar an ihrer sexuellen Präferenz nicht schuld sind, aber für ihr sexuelles Verhalten verantwortlich.
Was passiert bei einer Therapie?
Im Rahmen einer solchen spezialisierten Sexualtherapie findet ein trainingshaftes Einüben statt, bezogen auf realistische Lebenssituationen. Es geht darum, sich so zu verhalten, dass nichts passiert. So wie ein erfolgreich behandelter Alkoholiker, der sagt: "Ich bin der Horst, ich bin Alkoholiker und seit 30 Jahren trocken", kann ein erfolgreich behandelter Pädophiler sagen: "Ich bin der Peter, ich bin pädophil und seit 30 Jahren verhaltensabstinent." Dazu kann jeder Patient eine begleitende medikamentöse Behandlung beantragen. Wir sprechen hier von einer kombinierten Psychopharmakotherapie.
Gesetzt den Fall, ein pädophiler Täter ist therapieunwillig - ist Wegsperren dann wirklich die einzige Lösung?
Die Rufe, jemanden für immer wegzusperren, sind ja verfassungsrechtlich sehr schwierig. Fakt ist: Jemand der sich weigert, sich helfen, sprich: behandeln zu lassen, dem ist nicht zu helfen. Gegen den Willen eines Patienten ist keine Behandlung möglich. Wenn er Übergriffe begeht, muss dafür gesorgt werden, dass das nicht passieren kann.
Was sagen Sie zu Eltern, die von der Polizei vor einem Sexualstraftäter gewarnt werden und ihre Kinder dennoch mit so einem Mann in ihrer Wohnung allein lassen?
Das ist der eigentliche Tabubereich in dieser gesamten Thematik: dass Kinder, die zu Hause wenig Zuwendung bekommen, die viel allein, auf sich gestellt oder sogar verwahrlost sind, natürlich empfänglich werden für die Zuwendung anderer Erwachsener. Solche Kinder haben ein signifikant höheres Risiko, Opfer von sexuellen Übergriffen zu werden.
Im konkreten Fall soll sich K. an die Kinder einer sozial benachteiligten, unter Betreuung des Jugendamts stehenden Familie rangemacht haben.
Das Phänomen ist bekannt. Häufig handelt es sich gerade um allein erziehende Eltern, in der Regel sind das ja eher Mütter als Väter. Sie sind oft überfordert und dann schlechterdings froh, wenn sie die Kinder mal vom Hals haben, wenn jemand sagt, ich gehe mit denen auf den Spielplatz. Genau diese Einlassstelle suchen oft Personen, die sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlen. Nicht immer steckt hinter so einer Kontaktaufnahme eine Täterstrategie, also der boshafte, hinterlistige Versuch, ein Kind sexuell zu missbrauchen,
Warum geht es dann?
Personen mit pädophiler Sexualpräferenz interessieren sich ganzheitlich für Kinder. Sie verlieben sich in Kinder und wünschen sich mit ihnen partnerschaftliche Beziehungen, ein Teil davon ist Sexualität. Wenn die Kinder mit Beginn der Pubertät dem kindlichen Körperstatus entwachsen, verliert sich das Interesse eines Pädophilen nach und nach.
Kann man Eltern, die alle Warnungen ignorieren, einen Vorwurf machen?
Zumindest kann man aufzeigen, dass sie ihren Teil der Verantwortung für die Geschehnisse nicht getragen haben.
K. hatte die Auflage, sich keinen Kinderspielplätzen und keinen minderjährigen Mädchen zu nähern. Sind das realistische Auflagen?
Aus Sicht der Gesellschaft sind das verständliche Auflagen. Meiner Einschätzung nach ist eine totale Kontrolle nahezu unmöglich. Viel mehr wäre geholfen, wenn jede Person, die wegen sexuellen Kindesmissbrauchs aktenkundig wird, einer sachverständigen Begutachtung zugeführt würde. Denn diejenigen, die eine Pädophilie haben, bedürfen einer ganz anderen therapeutischen Herangehensweise als diejenigen, die Ersatzhandlungstäter sind.
Leser*innenkommentare
Christian Alexander Tietgen
Gast
@Dieter.Gieseking: Pädophilie/Pädosexualität ist keinesfalls eine sexuelle Orientierung. Es IST eine Krankheit. Und deswegen ist sie heilbar. Nicht immer, aber dafür gibt es ja die Polizei. Ich wünsche mir da ein Umschwenken Deutschlands im Sinne der Schweiz. Niemandem ist geholfen, wenn Pädophile viele Jahre lang weggesperrt werden und danach wieder Straftaten begehen. Stattdessen muss man sie heilen, dann tun sie auch niemanden was.
Daniel
Gast
ich fühle mich selber zu Jungen hingezogen und erlebe eine ziemlich konzeptlose und abwehrende Reaktion der Umwelt. Ob Laien oder Fachleute, die meisten reagieren empört, wollen aber im Grunde nichts über meine Empfindungen, Erfahrungen und Haltungen erfahren. Wie soll man ein halbwegs erträgliches Leben führen, wenn man von Liebe, Beziehung, Partnerschaft, Intimität, Zweisamkeit und Sexualität ausgeschlossen ist und sich darüber hinaus in einer Welt fremd fühlt, gegenüber der man seine Gefühle verstecken muß, in der man sich nicht einfügen kann, weil man nicht den üblichen Lebenskonzepten folgen kann.
Dieter.Gieseking
Gast
Die Pädophilie/Pädosexualität ist eine sexuelle Orientierung/Identität. Damit keine Krankheit und somit auch nicht heilbar. Pädophil-liebende Menschen lieben Kinder und wenden grundsetzlich keine Gewalt an. Ausnahmen bestätigen schlimmerweise die Regel. Das Buch von Horst Vogt - Pädophilie, Leipziger Studie - ist die aktuell neuste wissenschaftliche Studie und z.B. über Amazon.de zu beziehen.
NewMan
Gast
@tom
Wenn ich Dr. Ahlers das nächste Mal im Projekt „Dunkelfeld“ sehe, werde ich ihn auf Ihren Kommentar hinweisen, damit er nicht versäumt, „sich zu entwickeln“.
Trauen Sie sich auch selbst eine Weiterentwicklung zu??
Das Wort „Pädophil“ bezeichnet die VERANLAGUNG eines Menschen.
Die Worte „Pädosexuell“ und „Pädokriminell“ bezeichnen das REALE VERHALTEN.
Ist es wirklich in Ihren Augen im Sinne des Kinderschutzes, pädophilen Menschen zu sagen:
„Es ist der Gesellschaft und mir scheiß egal, ob Du ein Kind manipulierst und sexuell missbrauchst, ihm seine Kindheit und sein gesamtes Leben kaputt machst, - oder ob Du „nur“ diese sexuellen Gefühle und Gedanken hast und alles tust, was nötig ist, um keinem Kind zu schaden.“?
Bitte, lesen Sie sich diesen Satz sehr gut durch und fragen sich, ob es wirklich DAS ist, was Sie sagen wollen!!!
Denn genau DAS ist es, was Sie mit Ihrem Beitrag tun.
Ist es da nicht viel sinnvoller, zu sagen:
„NIEMAND ist verantwortlich für seine Gedanken, Phantasien und Gefühle,
ABER
JEDER ist verantwortlich für sein reales Handeln.“??
Wenn Sie aus diesem Buch, welches Sie hier bewerben, diese hier kommunizierten Schlussfolgerungen gezogen haben, dann kann man, in Bezug auf diesen Aspekt, vor dem Buch nur warnen.
Stattdessen empfehle ich Ihnen für IHRE Weiterentwicklung folgendes:
www.kein-taeter-werden.de (Die Website des Projektes „Dunkelfeld“, an dem auch Dr. Ahlers arbeitet)
www.schicksal-und-herausforderung.de (Eine Website eines Pädophilen, die sehr viel anders ist, als alle, von denen Sie ansonsten sehen und hören. Haben Sie Mut, wir beißen nicht.)
Vielleicht auf wiederlesen
NewMan
NewMan
Gast
Hallo Caroline,
egal, ob Kernpädophilie (überwiegendes Interesse am kindlichen Körperschema, oder
Pseudopädophilie (nicht überwiegendes Interesse am kindlichen Körperschema),
egal auch, welche sexuelle Identität ein Mensch hat, sie ist tief in seiner Persönlichkeit verankert und unveränderbar, „unheilbar“.
Was man tun kann, um dem Pädophilen zumindest eine halbwegs erfüllende Sexualität zu ermöglichen ist, zu versuchen, den Fokus auf Teile der Identität zu lenken, die dieser Mensch ansonsten auch noch aufweist, die nicht pädophil sind. Also im Bereich der sexuellen Neigung, oder der Ausrichtung, sofern die Ansprechbarkeit auf das kindliche Körperschema nicht bei 100% liegt.
Aber das ist bei weitem nicht in jedem Fall möglich.
Immer geht es aber lediglich um ein „Jonglieren“, oder „Umschichten“ mit oder von bereits vorhandenen Eigenschaften des Menschen.
Was nach Abschluss der Pubertät da ist, kann man nicht wegzaubern.
Und, was nicht da ist, kann man nicht nachträglich „einpflanzen“.
Eine Heilung der Pädophilie ist also tatsächlich nicht möglich- leider.
Man kann nur lernen, damit angemessen umzugehen, ohne Schaden anzurichten, oder sich selbst unverhältnismäßig zu schaden.
Pädophile mit Problembewusstsein sind aber mit einer Verhaltenstherapie gut erreichbar.
Auch (potentielle) regressive Täter.
In diesen Bereichen qualitativ und quantitativ ausreichende Angebote zu schaffen, sollte eigentlich ein selbstverständlicher und logischer Schritt im Sinne der Prävention sein.
NewMan
Caroline Kaiser
Gast
Ich frage mich eher wie ein Fachmann generell behaupten kann, das Pädophilie nicht heilbar wäre.
Es gibt ja ganz verschiedene Formen der Pädophilie. Als unheilbar wird nur die Kernpädophilie eingestuft, etwa jeder sechste Pädophile ist kernpädophil.
( Zumindest kommen die meisten Fachleute auf diese Zahl )
Andere Formen der Pädophilie sind heilbar bis zumindest kontrolierbar.
100%ige Sicherheit gibts allerdings auch bei Nichtpädophilen nicht. Und auch ein Gutachten ist immer eine Abwägung, in die Zukunft schauen können noch nicht mal Wahrsager.
Pädophilie ist nun mal der international übliche Fachbegriff (pedophilia), genauso wie Kinderpornographie ( child pornography ).
Man kann sich über die Begriffe streiten, aber eigentlich führt dieser Streit zu nichts, da er von der eigentlichen Kernfrage ablenkt:
Wie damit umgehen ?
Pädophilie selbst ist ja auch nicht automatisch sexuelle Gewalt. Es ist eine sexuelle Orientierung, die erst dann zu einer Grenzüberschreitung führt, wenn sie real umgesetzt wird. Auch dabei muß nicht unbedingt Gewalt im Spiel sein.
Und ist auch nur dann Pädophilie, wenn es sich um unter 12jährige Kinder handelt, so wurde Pädophilie jedenfalls mal ursprünglich von Sexualwissenschaftlern definiert, die WHO übernahm dies auch weitestgehend.
tom
Gast
Liebe Redaktion, ich frage mich wie ein Fachmann, Therapeut Christoph Joseph Ahlers, ich hoffe er ist auch einer, den völlig unakzeptablen Begriff "Pädophilie" gebrauchen kann. Bitte bearbeiten Sie den Artikel, nach Rücksprache mit dem Fachmann, damit er die Möglichkeit hat, sich zu entwickeln. Ich verweise auf "Pädosexualität ist Gewalt von Gisela Braun, Marianne Hasebrink, und Martina Huxoll".
Für die Leser hier noch die Kurzbeschreibung, Quelle amazon.de:
Pädosexualität ist keine Form sexueller Liberalisierung, sondern Gewalt gegen Kinder! Denn hinter dem ehemals verwendeten Begriff der Pädophilie, also der Zuneigung für Kinder, verbirgt sich nichts anderes, als Kinder für die sexuellen Belange Erwachsener auszubeuten. Hier ist die Jugendhilfe gefordert, zum Schutz von Kindern und Jugendlichen beizutragen. Dafür aber braucht sie ein solides Fundament an Wissen über die Pädosexualität und die Strategien der Täter sowie über die Motive und Psychodynamik der betroffenen Kinder. Beide Aspekte stehen ebenso im Mittelpunkt des Buches wie die möglichen Handlungskonzepte der Jugendhilfe.