Interview mit homosexuellem Polizisten: „Ich bin praktisch neu geboren“
Peter König ist Polizist und schwul. Das hat er lange versteckt. Jetzt ist er Ansprechpartner für gleichgeschlechtliche Lebensweisen.
taz: Herr König, warum wollten Sie Polizist werden?
Ich wollte einen Beruf haben, der mir Sicherheit gibt, einen festen Job. Es sollte auch ein männlicher Beruf sein. Ich wollte nicht Florist oder Friseur werden.
Weshalb war Ihnen das so wichtig?
Das habe ich damals gar nicht hinterfragt. Heute sehe ich das anders: Ich hatte keine Lust, ein Klischee zu erfüllen. Ein gestalterischer Beruf hätte mir auch nicht gelegen.
Wollten Sie sich verstecken?
Nein, das habe ich eher für mich selbst getan. Ich wollte ein männliches Erscheinungsbild und eine männliche Ausbildung haben. Ich wollte was gegen Ungerechtigkeit und Verbrechen tun. Einen Hilfsberuf, aber auch nicht Krankenpfleger werden.
53, ist Polizist und Vollzeit-Berater. Als Ansprechpartner für gleichgeschlechtliche Lebensweisen bei der Polizeidirektion Hannover berät er schwule und lesbische Kollegen. Als regionaler Berater kümmert er sich zudem um Beamte mit posttraumatischen Belastungsstörungen, Problemen wie Trennung oder Scheidung und um Gruppenkonflikte an Polizeidienststellen.
Hatten Sie sich damals schon geoutet?
Nein. Ich hatte meine erste Liebe mit 21. Vorher bin ich ganz normal aufgewachsen, hatte eine Freundin. Aber irgendwann dachte ich: Ich muss jetzt auch mal zu meinem Recht kommen.
Als Florist wäre das womöglich einfacher gewesen.
Ja.
Waren Sie sich darüber bewusst?
Heute könnte man sagen: Ich habe das Schicksal provoziert. Aber ich habe das damals nicht so empfunden.
Wann ist es schwierig geworden?
Während meiner Ausbildung musste ich viel arbeiten, da gab es wenig Privatleben. Es gab zwar immer wieder Kollegen, die ich attraktiv fand, aber ich habe nichts unternommen. Bis ich mich das erste Mal verliebt habe.
Sie haben sich in einen Kollegen verliebt?
Ja. Wir waren zusammen. Das war im Gefüge der Polizei total schwierig.
Sie haben es verheimlicht.
Total. Er hat später eine Frau kennengelernt und dann war es vorbei. Aber für mich ging es danach erst richtig los. Natürlich verdeckt. Wenn ich etwas trinken gegangen bin, bin ich erst zehnmal um das Gebäude gerannt, bevor ich rein gegangen bin. Es gab wahrscheinlich immer Kollegen, die etwas geahnt haben. Aber ich hätte das verleugnet. Ein Vorgesetzter hatte es trotzdem auf mich abgesehen. Der hat etwas vermutet und mich fertig gemacht, dienstlich. Es kam auch zu sexueller Belästigung.
Haben Sie mal mit Kollegen darüber gesprochen?
Nein, das hätte ich mich nicht getraut. Ein anderer Vorgesetzter hat es bemerkt und gesagt: Herr König, da stimmt etwas nicht. Ich werde darauf achten, seien Sie ganz sicher. Ich werde Sie schützen. Da habe ich zum ersten Mal gemerkt: Es gibt doch Leute, die sehen, was passiert.
Haben Sie deshalb begonnen, sich auch zu engagieren?
In den 90er-Jahren gab es das erste Bundestreffen schwul-lesbischer Polizeibeamte in Göttingen. Ich wollte teilnehmen und das muss sich rumgesprochen haben. Anschließend lud mich der Landespolizeidirektor ein und wollte mich als Ansprechpartner bei der Polizei haben, ehrenamtlich. Ich hatte Bedenken: Wenn ich in meine Dienststelle zurückkomme, lernen die einen ganz neuen Peter König kennen. Ich hatte mir ein Lügenkonstrukt aufgebaut.
Welche Art von Lügen?
Zu einem Polizeiball habe ich etwa eine lesbische Freundin mitgenommen. Wenn es zu anderen Veranstaltungen kam, hatte ich Ausreden oder habe von einer Freundin erzählt.
Wie haben Sie dann Ihr Outing erlebt?
Ich bin praktisch neu geboren. Das hat mir so einen Schub gegeben. Auch der dienstliche Rückhalt: Ich wusste, dass mir jetzt nichts passieren kann. Ich behalte meinen Beruf und mein Dienstherr steht hinter mir. 1995 habe ich dann als Ansprechpartner angefangen.
Gab es denn eine Nachfrage?
Vom ersten Tag an. Kollegen kamen zu mir und schwule Bürger, die überfallen wurden und sagten: Die Polizei hat nichts gemacht. Meistens ging es um Outing oder Ausgrenzung. Manche haben auch gefragt: Wie kann ich das verheimlichen? Aber das war nicht meine Aufgabe.
Warum finden Sie das verwerflich? Sie haben das doch selbst lange gemacht.
Ich würde niemandem zum Lügen raten. Man muss ja auch sehen: Wie geht es zum Beispiel der Ehefrau? Ich will es nicht werten, aber auch nicht unterstützen.
Welche Probleme hatten Polizisten, die offen schwul lebten?
In den 80ern und 90ern gab es immer die Vermutung: Wenn der homosexuell ist, dann ist da auch was mit Aids. Ich kenne eine Geschichte, da haben Polizisten einen Zettel an die Kaffeemaschine geklebt: Diese Maschine ist nicht von diesem Kollegen zu benutzen. Das geht gar nicht.
Wie haben Ihre Kollegen auf Sie reagiert, als Sie sich geoutet hatten?
Ich bin überrascht gewesen. Kollegen, von denen ich dachte, die reden kein Wort mehr mit mir, sind auf mich zugekommen und haben gesagt: Ich finde stark, dass du das kannst. Kein Problem. Es gab auch Kollegen, die sagten: Mit dir will ich jetzt nicht mehr duschen gehen.
Gab es auch Anfeindungen?
Ja, die gab es auch. Meist läuft das subtil. Einmal saß ich im Speisesaal und habe gehört, wie ein Kollege sagte: „Den König muss man eben akzeptieren.“ Das ist wie Krebs, da kann man nichts gegen machen. Das war schon ziemlich verletzend.
Wie sind Sie damit umgegangen?
Ich habe das oft mit einem Witz verarbeitet. Einmal habe ich gegen das kaputte Faxgerät gehauen und gesagt: Du schwules Fax, jetzt spring an! Auch um den anderen zu zeigen: Ihr müsst keine Angst haben, euch im Ton zu vergreifen. Ich renne nicht gleich zum Vorgesetzten.
Gibt es heute noch Dinge, bei denen Sie sich schwer tun, sie offen anzusprechen?
Schwule im Alter ist ein schwieriges Thema. Einsamkeit. Schwule haben meist keine Kinder. Ich kann meine Erfahrung nicht weiter tragen. Und Gewalt gegen Schwule kommt nicht in der Schule oder in der Erziehung vor. Das macht mir wirklich Sorgen.
Gibt es Männer, die für Sie ein Vorbild waren?
Es gibt hier in Hannover Axel Blumenthal, Träger des Bundesverdienstkreuzes und sehr aktiv in der Aidsbewegung. Früher habe ich immer gedacht: So muss man das machen: Intelligent, sehr souverän, sehr männlich unser Thema transportieren.
Als schwuler Polizist nicht männlich, sondern eher tuntig aufzutreten, ist sicher nicht einfach. Kennen Sie jemanden, der es trotzdem versucht?
Ja, es gibt jemanden, den ich so sehe. Der würde wahrscheinlich total ablehnen, dass ich das sage. Seine Art ist sehr schrill, auch wenn er nicht so aussieht. Aber das wäre ein wirkliches Problem.
Warum?
Viele haben mit dieser femininen Art ein Problem, auch unter Schwulen. Man will nicht in dieses Klischee geschoben werden. Wenn Leute hören: Jetzt kommt Peter König, der schwule Polizist, dann denken sie: Jetzt kommt da so eine Zauberfee. Und dann komm ich. Man will so wahrgenommen werden, wie man ist.
Von den schwulen Polizisten, die in Ihre Beratungsstelle kommen, war ein einziger feminin? Und der Rest versucht, möglichst männlich aufzutreten?
Die sind männlich. Vielleicht leben sie es woanders aus, wo ich das nicht mitbekomme. Ich fände es schade. Es ist viel schöner, wenn man einfach so sein kann, wie man ist.
Gehört Männlichkeit zu den Anforderungen im Polizeiberuf? Dann sollte eine Polizistin wohl auch nicht zu viel von ihrer weiblichen Seite zeigen.
Ich nehme das anders wahr. Wir wollen ja die Frauensicht nutzen und nicht alle gleich machen. Aber das feminine Kleiden und Frisieren hat auch ein Gefahrenpotenzial: Ohrringe kann man rausreißen. Deshalb entscheiden sich viele dagegen – wegen der Sicherheit.
Würden Sie einem schwulen Kollegen raten, in der Öffentlichkeit seine feminine Seite zurückzustellen?
Wenn jemand so ist, sollte er es auch sein. Ich bin ja auch gerne mit Frauen unterwegs, die sind ruhiger, das ist oft deeskalierend und gibt Sicherheit. So ist meine Erfahrung. Es war aber auch noch kein Kollege in der Beratung, der am liebsten Stöckelschuhe zu seiner Uniform tragen würde. Davon würde ich ihm abraten, weil es einfach zu gefährlich ist.
Haben es Lesben in der Polizei leichter als Schwule?
Gute Frage. Würde ich nicht sagen. Es kommt immer auf den Menschen an.
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