Interview mit der Grünen-Fraktionschefin: „Erst mal wird gemeckert“
Vor der grünen Klausurtagung in Hamburg nennt Antje Kapek Abgesänge auf Rot-Rot-Grün „Quatsch“. Frustriert zeigt sich die Fraktionschefin beim Thema BER.
taz: Frau Kapek, macht es noch Spaß in der Koalition?
Antje Kapek: Ja.
Ach.
Wieso „Ach“?
Weil Sie vor der Sommerpause in unzähligen Artikeln lesen konnten, dass es nicht rundläuft und Rot-Rot-Grün kaum bis 2021 hält. Und Dienstag hat Regierungschef Müller ein klärendes Gespräch mit den Koalitionsspitzen angekündigt.
Uns macht es Spaß zu regieren, weil es Spaß macht, mitzuentscheiden und nach gut eineinhalb Jahren den Blick über die Schulter zu werfen und zu sehen, dass wir wichtige Reformen angestoßen haben.
Die Kritik aber lautet: Der Wohnungsbau bleibt hinter den von der Koalition selbst gesteckten Zielen zurück, das Großprojekt Schulsanierung kommt nicht richtig von der Stelle und wichtige Macher können nicht miteinander.
Quatsch! Ich hab wirklich Bock, hier Dinge ins Rollen zu bringen. Aber die Erwartungshaltung in der Berichterstattung, die Sie ansprechen, ist, dass alles sofort passiert. Wir mussten aber als Koalition Ende 2016 in einer Situation starten, in der teilweise gar nichts mehr funktionierte.
41, gehört der neu entdeckten Minderheit der gebürtigen Berliner an. Sie ist seit 2006 Landesparlamentierin und seit 2011 eine der beiden Vorsitzenden der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus.
Konkret?
Investitionsstau, überalterte Verwaltung, fehlende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, in den Schulen tropft es durch die Dächer und wir haben zu viele Verkehrstote. Da war klar: Wir müssen erst mal die Grundlagen für Veränderungen legen, damit Berlin wieder funktionieren kann.
Nehmen wir mal den Wohnungsbau: Da haben Sie Zahlen festgeschrieben und hinter denen bleiben Sie zurück.
Das stimmt nicht. Wir haben festgeschrieben, wie viele Wohnungen binnen fünf Jahren fertig werden soll, nicht in eineinhalb Jahren.
Das kann man aber durch fünf teilen und so sehen, dass Sie hinterherhinken.
So funktioniert das Leben aber nicht. Das ist wie bei Kindern: Deren Entwicklung lässt sich auch nicht monatsgenau planen, die hat Phasen, in denen es schneller und langsamer geht. Und um mal konkret auf einen grünen Verantwortungsbereich zu kommen: Wir haben jetzt das erste Mobilitätsgesetz beschlossen.
Das ist erst mal nur Papier.
Nein, das ist nicht nur Papier. Als wir anfingen, waren in der Senatsverwaltung für Verkehr genau 2 Mitarbeiter für Radwege zuständig – mittlerweile sind es fast 80. Oder um es in Geld auszudrücken: 2016 hatten wir 2,5 Millionen Euro für Radwege zur Verfügung, heute sind es 100 Millionen. Da kann man ja wohl echt nicht meckern. Sie haben recht, in den nächsten drei Jahr muss die Umsetzung passieren. Aber wir mussten, um es mal bildhaft auszudrücken, den Tanker erst mal aufs Meer bringen, um eine Bugwelle auszulösen.
Sie haben sich als Koalition „Gutes Regieren“ vorgenommen – dazu passt nicht, dass es immer wieder Streit gibt, vor allem zwischen SPD und Linkspartei oder noch konkreter zwischen Regierungschef Müller und Bausenatorin Katrin Lompscher.
Das sind ja auch zwei unterschiedliche Dinge. Da ist zum einen die Erwartungshaltung an Erfolge der Koalition. Und da sage ich: Wir haben deutlich mehr angepackt, als wir selbst geglaubt hatten. Nun muss das sichtbar werden und bei allen in der Stadt ankommen. Dafür müssen wir bei der Umsetzung der Verwaltungsreform, allerdings noch ordentlich eine Schippe drauflegen. Zum anderen ist da das Zusammenspiel in der Koalition …
… der menschliche Faktor.
Ja. Ich halte es nach wie vor für richtig, dass wir keine Koch-und-Kellner-Rollen haben, dass man stattdessen auf Augenhöhe miteinander redet, sich zuhört und Projekte gemeinsam vereinbart. Gleichzeitig sind wir alle nur Menschen. Wir sind ja auch in Berlin und darum ist es am Senatstisch nicht anders als in der U-Bahn: Da wird erst mal gemeckert statt gelobt. Aber so langsam finde ich es mit dem Gemotze auch mal gut, vor allem wenn es die Erfolge der Koalition überschattet.
Ihre Fraktion beginnt am Dienstag eine Klausur, die Mittwoch in Hamburg weitergeht – wieso dort? Da muss irgend etwas Besonderes sein, denn im Januar war schon die SPD zur Klausurtagung dort.
Wir haben uns gefragt: Wo gibt es interessante Themen für Berlin? Und sind da etwa wegen der Mieten- oder Verkehrspolitik bei Amsterdam, Kopenhagen und Wien gelandet. Aber da wir diesmal noch in Deutschland bleiben wollten, kamen am ehesten die Stadtstaaten Hamburg und Bremen in Frage.
Wobei das vom Berliner Selbstverständnis her ja eigentlich nicht geht, sich von Hamburg etwas abzuschauen.
Stimmt, Berlin ist unvergleichlich. Aber Stadtstaaten haben viel gemeinsam und wir können uns gegenseitig inspirieren. Hamburg hat auch eine zweistufige Verwaltung mit Land und Bezirken. Die sind allerdings weitgehend entmachtet, was sicher kein Vorbild für Berlin ist.
Noch mal zu Ihrem angeblichen Spaß am Regieren: Das klang gar nicht so, als Sie jüngst beklagten, relevante Infos über den BER nur aus der Zeitung zu erfahren. Wie kann das sein? Die Flughafengesellschaft gehört zu einem Drittel Berlin und Sie sitzen mit am Senatstisch.
Beim Thema BER muss ich sagen, dass ich zeitweise nicht nur hochgradig frustriert, sondern hoch verärgert bin. Ich glaube zwar wirklich, dass der Vorstandschef Engelbert Lütke Daldrup alles tut, um den Flughafen im Oktober 2020 ans Netz zu bringen. Aber Vertrauen ist beim BER keine zulässige Währung mehr. Ich will nicht vertrauen müssen, ich will wissen – vor allem, wenn es mehr Geld geben soll. Und solange das so ist, werde ich meine Hand bei der Blackbox BER nicht für weitere Steuergelder heben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe