Interview mit der Band Pankow: „Das hat viel Energie freigesetzt“
Vor 30 Jahren hat Pankow ihr Album „Aufruhr in den Augen“ produziert. Nun hat sie es neu eingespielt. Ein Gespräch mit Sänger André Herzberg.
taz: Herr Herzberg, Pankow war nie eine vergangenheitsselige Band, wieso jetzt Pankow à la 1988 reloaded?
André Herzberg: Die Idee hatte unser Gitarrist Jürgen Ehle, und ich fand sie spannend, weil „Aufruhr in den Augen“ ein wichtiges Album für uns war. Es entstand in einer Zeit voller Energie, obwohl sie politisch sehr schwierig war.
Eigentlich kann man es nicht mal als Jubiläumstribut bezeichnen, weil die Amiga-Platte 1988 erschien.
Die Songs sind 1987 entstanden, also vor 30 Jahren. Aber darum geht es letztlich nicht, sondern um die Frage: Wo haben wir damals als Band gestanden, woran geglaubt? Genau das belegt die Platte. Für mich ist sie erst im Nachhinein zu jenem Wende-Album geworden, als das es manche unter anderem wegen des Songs „Langeweile“ sahen. Entstanden ist es 1987 voll aus dem Geist heraus, Dinge in der DDR ändern zu können. Niemand von uns wusste doch, dass die DDR zwei Jahre später Geschichte ist.
Wie war die Stimmung in der Band, als Sie ins Studio gingen?
Als Band fühlten wir uns schon einige Jahre wie Überflieger, die einerseits immer wieder vom Staat angegriffen und andererseits vom Publikum bewundert wurden. Entsprechend hoch haben wir die Nase getragen und geglaubt, ganz wichtig zu sein. Wir hatten uns in ein privates Studio in Quadenschönfeld in Mecklenburg zurückgezogen, das dem Musiker Sieghart Schubert gehörte. Der betrieb es in einer Art Grauzone, denn es war voll mit Westtechnik ausgerüstet, obwohl das ja halb verboten war. Im Prinzip fand ja die ganze DDR-Rockmusik in einer Grauzone statt. In der fühlte man sich halb kriminell und halb gut.
Alben werden sonst in den staatlichen Amiga-Studios aufgenommen. War es Ihnen wichtig: raus aus Berlin mit seinem nervenden Hauptstadtgetue?
1987 gab es ja auch in Ostberlin die 750-Jahre-Berlin-Feierlichkeiten mit dieser angeordneten, grotesken Fröhlichkeit, die im totalen Widerspruch zu den gesellschaftlichen Verhältnissen stand. Das Studio bot die Möglichkeit, das ganze sonstige Leben draußen zu lassen und sich auf das reine Miteinander in der Band zu konzentrieren. Ganz nach dem Vorbild englischer und amerikanischer Bands.
61, wurde in Ostberlin geboren und stammt aus einer jüdischen Familie, die sehr kommunistisch orientiert war. Als Musiker war er 1979 Mitbegründer der Gaukler Rock Band. 1981 wechselte er als Sänger zur neu gegründeten Band Pankow. Die hatte sich schnell einen gepflegten Rebellenruf erworben, weil sie den verspießerten DDR-Alltag ungeschminkt besang. Die Songs auf „Kille Kille“ und „Aufruhr in den Augen“ unterschieden sich in den 1980ern grundlegend vom typischen metaphernschwangeren DDR-Lyrikrock.
Nach der Wende versuchte Herzberg – parallel zu unregelmäßigen Aktivitäten von Pankow – eine Solokarriere, die aber keinen Durchbruch brachte. Daneben veröffentlichte er einige Bücher, zuletzt den Roman „Alle Nähe fern“, der die Geschichte (s)einer deutsch-jüdischen Familie in zwei Weltkriegen und zwei Diktaturen beschreibt.
Wie die Stones, die „Exile on Main Street“ in Südfrankreich aufnahmen.
Ja, so was wollten wir auch. Das Studio befand sich in einem großen Bauernhof, wo wir alle in einem großen Raum übernachteten. Eine tolle Atmosphäre, die viel rockige Energie freisetzte.
Die DDR-Kulturpolitiker taten sich mit Pankow immer schwer. Zum Verbieten war die Band zu wenig staatsfeindlich, zum Machenlassen aber auch zu provokant. Aus Künstlersicht nicht unbedingt das Schlechteste?
Ja, man wusste genau, wo der Feind steht, auch wenn man sich oft nicht getraut hat, ihn beim Namen zu nennen. Also haben wir mal alle zusammen gemeckert, und schon haben die Leute gelacht. Wir sind ja mit den Verboten in der DDR groß geworden. Man musste sich damit auseinandersetzen und hat geahnt: Am Ende kann eigentlich nur Knast oder Rausschmiss kommen.
Haben Sie sich innerhalb der – ich sage mal – etablierten Rockszene ausgetauscht, wie weit man mit provokanter Offenheit gehen kann? Bands wie Silly und City wurden Ende der Achtziger in ihren Songs ja auch deutlicher.
Es gab schon 1987 Überlegungen, sich über die künstlerische Arbeit hinaus direkter politisch einzumischen. Als wir damals zusammen mit Silly bei einem Musikfestival in Nürnberg auftreten durften, haben wir darüber gesprochen, übrigens auch mit Wolf Biermann, der uns in unserer Pension besucht hatte. Es ist dann jedoch in der Luft hängen geblieben und leider erst im Herbst dazu gekommen, dass die Rockmusiker und Liedermacher mit einer Resolution zur Situation in der DDR an die Öffentlichkeit gingen.
Pankow. Kesselhaus, Kulturbrauerei. 28. Januar, Beginn: 20 Uhr
Nachdem die LP „Aufruhr in den Augen“ samt dem Song „Langweile“ mit der legendären Zeile „Zu lange die alten Männer verehrt“ erschien, gab es sogar eine Songkritik im obersten SED-Gremium. Irre, oder?
Ein ZK-Funktionär hatte uns in der Talkshow „3 nach 9“ gesehen und sich auf dem SED-Plenum erregt, warum wir drüben gegen die bewehrten Genossen ansingen durften. In „seinem“ Bezirk Suhl bekamen wir Auftrittsverbot, und der Song „Langeweile“ flog aus dem Radioprogramm. Aber solchen Trouble waren wir gewöhnt.
Welchen Stellenwert hat das „Aufruhr“-Album anno 1988 im Gesamtwerk der Band?
Durch seine Energie ist es ein ganz wichtiges Album mit wirklich guten Liedern. In „Ich bin bei dir“ ging es zum Beispiel um die Motivation, dass die Leute in der DDR bleiben und nicht alle in den Westen gehen. Im Nachhinein steckten dahinter auch manche Illusionen, weshalb ich mich jetzt natürlich auch gefragt habe, ob die Texte und Musik noch Gültigkeit besitzen. Aber ich denke, durch die andere musikalische Annäherung ans Original entfalten sie noch mal eine neue Kraft.
Die neuen Arrangements und die Neueinspielung mit Akustikinstrumenten nehmen den Songs die ursprüngliche Forschheit.
Durch das Reduzieren auf Melodie und Akkord kommen die Worte noch mal deutlich heraus, finde ich. Es entstehen andere Emotionen beim Hören. Ich bin sehr angerührt, wenn ich das Album noch mal in Gänze hochhole. Es zeigte, wie wir als junge Menschen dachten, mit Kunst die Welt verändern zu können. Eine Illusion.
Kein bisschen Stolz auf einen kleinen Anteil an der Veränderung der Welt, weil die Platte öffentlich an den Gewissheiten der DDR-Oberen rüttelte?
Wenn ich mitgeholfen habe, dass Leute Mut bekamen, lauter Nein zu sagen, dann bin ich stolz. Es sagen mir ja auch oft Leute, dass wir sie dazu motiviert haben. Es gibt eben Momente, wo der Flohschiss eines Liedes gerade passend auf die Weltpolitik fällt.
Kamen im Zuge der Neuproduktion noch mal Diskussionen über das Ende der DDR oder über die bandinterne Stasi-Geschichte – Gitarrist Jürgen Ehle war zeitweise IM – auf?
Nein. Über Politik und die Stasi-Sache haben wir viele Jahre geredet, das ist vorbei. Es ist wie in einer alten Ehe, man kennt sich und weiß, was man zu erwarten hat. Ich glaube, ich trage diese Dinge auch lieber mit mir selbst als Autor beim Schreiben aus. Wir haben immer noch genug, worüber wir uns streiten, aber da geht es nur noch um Künstlerisches und den Input, wie viele Denkanstöße bekomme ich vom anderen. Deshalb ist eine Band auch so was Verführerisches. Ich bin dankbar, wenn zum Beispiel Jürgen etwas reinwirft und man sich gegenseitig befeuert. Außerdem merke ich, dass ich mich selbst ja ebenfalls geändert habe und nicht mehr an dieselben Sachen glaube wie früher. Es wird auch immer weniger lohnend, noch politische Diskussionen zu führen.
Das Wort Aufruhr geistert ja wieder durch die Zeit, nicht wenige beschwören den Aufruhr gegen das jetzige System.
Das ist ja ein anderes Brodeln als unter den Bedingungen der Diktatur in der DDR. Einen Teil des aktuellen Brodelns im Lande finde ich ganz unangenehm, obwohl ich es natürlich auch gut finde, wenn hier mal was durcheinandergewirbelt wird. Das System will ich aber nicht umstürzen, weil ich weiß, was die Alternative ist. Ich will kein System mit einem Despoten oder Diktator, der hart durchgreift, oder mit einem großen Bruder, der alles bestimmt. Wenn man sieht, welche Analysen manche Leute treffen und welche Hoffnungen sie haben, muss man sagen: Die Menschen sind eben vergesslich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour