Interview mit SPD-Kandidat Raed Saleh: „Zufällig ein Migrationshintergrund“
Mit seiner Kandidatur will Saleh Benachteiligten Hoffnung machen, dass man in Berlin „seinen Weg gehen kann, egal woher man kommt und welche Religion man hat“.
taz: Herr Saleh, „Ich bin Migrant, und das ist gut so“, hat die taz nach Ihrer Kandidatur getitelt. Ärgert es Sie, darauf beschränkt zu werden?
Raed Saleh: Meine Herkunft gehört zu mir. Aber natürlich zeichnen mich ganz andere Dinge aus. Ich bin vor allem ein deutscher Sozialdemokrat. Wichtig ist mir, dass ich in den letzten Jahren als Fraktionsvorsitzender dazu beigetragen habe, dass die SPD Fehler der Vergangenheit korrigieren konnte wie die Privatisierungen der 90er Jahre. Deshalb haben wir ja auch die Wasserbetriebe von RWE und Veolia zurückgekauft.
Und doch lautete die taz-Schlagzeile nicht „Ich bin Verstaatlicher, und das ist gut so“.
Der zentrale Punkt ist, dass ich daran gearbeitet habe, unser sozialdemokratisches Profil zu stärken. Das gilt auch für die Frage der Stromnetze, beim Landesmindestlohn oder beim Vergabegesetz. Als Fraktionschef, das sagen die meisten, habe ich in Berlin eine gute Arbeit gemacht. Und dass das Thema Migrationshintergrund auch erwähnt wird, liegt auf der Hand.
„Auch erwähnt“ ist ganz schön untertrieben.
Ich sage dazu: Ich bin Berliner und habe zufällig einen Migrationshintergrund. Dennoch möchte ich vielen Menschen in dieser multikulturellen Stadt, in der inzwischen jedes zweite Kind, das eingeschult wird, einen Migrationshintergrund hat, Mut machen und Hoffnung geben.
Hoffnung worauf?
Dass man seinen Weg gehen kann, egal woher man kommt und welche Religion man hat. Wenn meine Kandidatur dazu beiträgt, dann freue ich mich darüber. Grundsätzlich ist mir wichtig, dass ich der Stadt ein Angebot aufgrund meiner Leistungen mache.
wurde 1977 im Westjordanland geboren, kam mit fünf Jahren mit seinen Eltern nach Berlin und wuchs in Spandau auf. 1995 wurde er dort SPD-Mitglied, 2008 Kreisvorsitzender. 2005 gründete er ein Medienunternehmen. Ins Abgeordnetenhaus wurde er erstmals 2006 gewählt, 2011 wurde er SPD-Fraktionschef.
Fassen Sie die doch mal zusammen.
Ich will, dass es in Berlin gerechter zugeht. Ich arbeite dafür, dass jeder eine Chance auf einen Aufstieg durch Bildung hat. Mir ist wichtig, dass wir Wirtschaft und soziale Gerechtigkeit zusammen denken. Und natürlich stehe ich dafür, dass wir ein Miteinander hinkriegen in einer multikulturellen Gesellschaft. Ich bin im Stadtteil Heerstraße Nord in Spandau aufgewachsen, ich weiß, wie es ist, wenn Menschen der Aufstieg nicht unbedingt in die Wiege gelegt wird.
Werden Sie das auch in den Kandidatenforen hervorheben?
Ich werde dabei für meine Inhalte, für meine Positionen werben. Als ich nach Deutschland kam im Alter von fünf Jahren, da waren meine Eltern der Meinung, dass wir sofort die Koffer auspacken müssten, um uns gleich heimisch zu fühlen. Ich bin ihnen sehr dankbar, dass sie schnell für uns Kinder eine Perspektive gesucht haben, einen Weg über die Bildung. Meine Eltern träumten immer von einem gleichberechtigten Leben, dass man sie nicht wegen ihres Hintergrunds bevorzugt, aber auch nicht benachteiligt.
Vier Männer wollen Nachfolger des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit werden: Fraktionschef Raed Saleh, Parteichef Jan Stöß, Senator Michael Müller und das einfache Parteimitglied Dietmar Arnold. Die ersten drei sind bereits für das Mitgliedervotum der 17.000 Berliner SPDler zugelassen, Arnold braucht noch Nominierungen. Falls die Auszählung am 17. Oktober keine absolute Mehrheit ergibt, folgt eine Stichwahl bis zum 6. November. Den neuen Regierungschef wählt das Abgeordnetenhaus am 11. Dezember.
Dass Sie, anders als behauptet, kein Problem mit Grammatik haben, hat ja mein Kollege Heiser kürzlich belegt. Immer wieder aber wird Ihre Aussprache thematisiert, jüngst von der jedes Rassismus unverdächtigen Grünen-Ikone Wolfgang Wieland. Was denken Sie darüber?
Wichtig ist, dass man für die Stadt, in der man lebt und die man liebt, hart arbeitet, und dazu bin ich bereit. Vieles läuft ja wirtschaftlich schon gut. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass viele Menschen an diesem Wohlstand nicht teilhaben können. Die Frage lautet darum: Wem traut man zu, dass er sich mit vollem Einsatz in die Probleme reinkniet? Ich will genau das tun, damit diejenigen, an denen die gute Entwicklung der Stadt bisher vorbeigegangen ist, wieder Hoffnung bekommen und daran glauben, dass sie wieder auf die Beine kommen können.
Macht das der Noch-Regierende nicht? Hat der diese Hoffnung erlöschen lassen?
Klaus Wowereit hat in den letzten 13 Jahren der Stadt einen großen Dienst erwiesen. Er hat sie in einer schwierigen Situation übernommen und sie saniert. Er hat aus Berlin eine Stadt mit viel Perspektive gemacht. Er hat es geschafft, dass Berlin von einem miefigen, piefigen Ort zu einer Weltstadt wurde. Dennoch gibt es auch negative Tendenzen. Die Schere zwischen Arm und Reich geht auseinander. Ich finde, dass man den Mut haben muss, es zu benennen, wenn etwas schiefläuft.
Dem Spiegel haben Sie jetzt gesagt, Berlin brauche keine wegschauende, sondern eine hinschauende Integrationspolitik. Ihre SPD führt seit 2001 den Senat, sie sind fast drei Jahre Fraktionschef – da hatten sie schon durchaus Zeit dafür.
Wir haben ja in den letzten Jahren auch mit Heinz Buschkowsky [Bezirksbürgermeister von Neukölln, d. Red.] schon vieles verändert. Deshalb haben wir ja das Programm für die 218 Brennpunktschulen gestartet. Wir gehen auch mit dem Thema Schulschwänzer anders um – früher war es nicht so, dass Schulschwänzen bestraft wurde. Jetzt sorgen wir sogar dafür, dass es für Eltern, die ihre Kinder nicht zum Sprachtest bringen, Sanktionen gibt. Wir müssen für ein Gelingen der Integration Hilfen geben. Aber es muss auch klare Regeln geben im Sinne eine friedlichen Miteinanders.
Schulschwänzer bestrafen, mehr Respekt für Polizisten einfordern – all das nennen Sie linke Politik. Da gibt es aber Linke, die das eher für stramm rechts halten.
Für mich ist das linke sozialdemokratische Politik. Was ist es anderes als linke Politik, wenn man sagt, dass die Kinder in die Schule gehören und nicht auf die Straße?
Kreuzbergs grüne Bürgermeisterin Monika Herrmann könnte jetzt sagen: Da muss man länger reden und öfter und einen Sozial- oder Familienarbeiter vorbeischicken, aber nicht den Leuten von ihrem wenigen Geld noch was wegnehmen.
Was machen Sie denn mit denen, die Sie nicht erreichen? Ich will kein Kind zurücklassen oder aufgeben.Wir wissen doch genau, wie wichtig es für den gesamten Lebensweg ist, dass ein Kind regelmäßig in die Schule geht. Darum sage ich: Verwechseln wir nicht Toleranz mit Gleichgültigkeit. Wenn jemand wegschaut, dann hilft er nicht. Darum können wir es zum Beispiel auch nicht dulden, wenn auf unserer Straßen antisemitische Parolen gerufen werden.
Eine erste Umfrage sah Sie klar hinter Jan Stöß, und nachdem nun auch Michael Müller kandidiert, gelten sie in Analysen als der Außenseiter.
Ich kenne das nicht anders. Mein ganzes Leben lang musste ich hart arbeiten und mir den Weg von unten nach oben erkämpfen. Als ich Fraktionsvorsitzender werden wollte, waren die ersten Prognosen ähnlich.
Haben Sie sich verzockt, als Sie beim SPD-Parteitag im Mai doch nicht gegen Stöß angetreten sind, um auch Landesvorsitzender zu werden? Mit beiden Ämtern in einer Person vereint wäre doch kaum einer, auch Müller nicht, an Ihnen vorbeigekommen.
Mir ist die Einheit der Partei wichtig, und ich habe gesagt, dass man dafür auch eigene Wünsche hintanstellen muss. Und das habe ich im Mai getan.
Was können Sie denn besser als die Herren Stöß und Müller?
Ich werbe dafür, dass wir den Weg der letzten Jahre konsequent fortsetzen. Ich habe als Fraktionsvorsitzender gesagt, wir müssen Fehler korrigieren. Das haben wir bei der Liegenschaftspolitik gemacht und eben bei der Rekommunalisierung …
… bei der die Linkspartei sagt: Das hat die SPD von uns abgekupfert.
Die Linkspartei hatte nicht die Kraft, es umzusetzen – wir haben es in der Großen Koalition getan. Es ist wichtig, die Bilanz zu betrachten, und die Bilanz der Fraktion kann sich sehen lassen.
Was ist denn Ihr Bild von einem Regierenden Bürgermeister? In erster Linie dafür zu sorgen, dass der Alltag funktioniert mit Wohnen, Verkehr, Job und Sicherheit? Oder der Mann für die großen Visionen zu sein?
In den Feldern, die Sie nennen, haben wir eine gute Entwicklung. Das ist das Ergebnis von harter Arbeit und politischem Handwerk. Die Berliner erwarten zu Recht von einer Regierung, dass sie die Dinge im Alltag gut organisiert. Aber wir brauchen auch gemeinsam eine Vision und ein Projekt. Ich will, dass unsere Vision für die Stadt folgende Fragen beantwortet: Wie schaffen wir ein neues Miteinander? Wie machen wir Berlin zur Stadt des Aufstiegs? Wie kriegen wir Berlin wirtschaftlich gut aufgestellt?
Klaus Wowereit ist letztlich über die Pannen beim BER gestolpert. Was würden Sie denn anders machen?
Am Flughafen trägt nicht Klaus Wowereit allein die Verantwortung. Zu oft wird vergessen, dass auch Brandenburg und der Bund daran Anteil haben. Und dass mit Bosch und Siemens zwei der renommiertesten Firmen Deutschlands dabei waren.
Die Menschen in Berlin sehen das aber anders. Für die ist Wowereit der Schuldige – sonst wäre er, über Jahre unbestritten beliebtester Politiker im Land, nicht gerade seit dem Moment im Sinkflug, als die Pannen offenbar wurden.
Trotzdem muss das ja nicht richtig sein.
2011 waren Sie dagegen, konnten aber nicht verhindern, dass Wowereit mit der CDU koalierte. Gibt es mit Ihnen als Regierungschef 2016 Rot-Grün, oder, wenn das allein nicht reicht, Rot-Rot-Grün?
Ich arbeite mit der CDU gut und verlässlich zusammen. Die Koalition hat viele gute Projekte auf den Weg gebracht, sie geht bis September 2016, und alles andere diskutieren wir nach der nächsten Wahl.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands