Interview mit Ferat Kocak: „Zeigen, dass wir viele sind“
Vor zwei Jahren verübten Rechte einen Brandanschlag am Haus des Linken-Politikers Ferat Kocak. Wie lebt er mit der Angst nach dem Attentat?
taz: Ferat Kocak, vor gut zwei Jahren verübten Rechte einen Brandschlag auf Sie und Ihre Familien an Ihrem Neuköllner Wohnhaus. Wie leben Sie seither mit dieser Erfahrung?
Ferat Kocak: Sehr beweglich! (lacht) Eigentlich habe ich immer noch nicht wirklich wieder ein Zuhause. Ich schlafe an unterschiedlichen Orten, und wenn ich mich irgendwo schlafen lege, sind die Alarmglocken immer an. Manchmal bin ich so übermüdet, dass ich einfach umfalle und wie ein Stein schlafe, und manchmal bleibe ich wach, gucke, horche, schaue aus dem Fenster, gehe zur Tür und schaue durchs Guckloch, ob jemand davor steht, weil die Erinnerung daran, dass halt alles passieren kann, so stark ist.
Auf einer Trauerkundgebung für die Opfer des Attentats in Hanau sagten Sie vergangene Woche, Ihre Angst wachse von Tag zu Tag. Wie können Sie trotzdem weiter so aktiv bleiben?
Ich habe mir nach dem Anschlag auf meine Familie fest vorgenommen, dass ich das Thema niemals ruhen lassen werde, weil ich wollte, dass die, die mir das angetan haben, das irgendwann bereuen. Ich sehe das als eine Verpflichtung, auch jetzt nach Hanau, nach Halle, dass jemand, der wie ich selbst betroffen ist, auch aus einer persönlichen Perspektive immer wieder darüber berichtet.
Warum?
Um Menschen zu erreichen, die weniger Berührung mit politischen Themen, weniger Berührung mit dem Kampf gegen Rassismus haben, auch wenn sie selber von Rassismus und Antisemitismus betroffen sind. Ja, die Angst ist da, das belastet meinen Körper, das belastet meinen Kopf, aber es ist wichtig, aktiv zu sein, um in diesen Zeiten zu überleben. Um stark bleiben zu können.
Sie sind auf Veranstaltungen und in den sozialen Medien sehr präsent, Sie könnten überall erkannt werden – und müssten eigentlich überall Angst haben.
Habe ich auch. Bevor ich irgendwohin gehe, überlege ich mir: Wie komme ich dahin? Wie sicher bin ich dort? Ich versuche, mich nicht einschränken zu lassen, aber ich überlege mir jeden Schritt vorher und versuche, jede Gefahr mitzudenken. Natürlich ist es trotzdem nie hundertprozentig sicher. Es kann immer jemand um die Ecke kommen. Aber das ist dann halt so.
Gibt es für Sie einen sicheren Ort?
geboren 1979 in Berlin, Diplom-Volkswirt, stellvertretender Sprecher der Linken in Neukölln.
Ich fühle mich da sicher, wo viele sind, die sich mit mir solidarisieren und mit mir zusammen diesen Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus führen. Das ist vielleicht auch ein Grund, warum ich so aktiv bin. Auf der Kundgebung auf dem Hermannplatz nach dem Anschlag in Hanau vergangene Woche habe ich mich sicher und wohl gefühlt, obwohl das eine unübersichtliche Menschenmenge war. Sobald ich alleine zu Hause bin oder auch nur auf dem Weg nach Hause, sind bei mir schon wieder die Alarmglocken an und ich kann mich nicht wirklich entspannen.
Wie wirkt sich die Angst aus?
Mein Blutdruck, mein Herzrhythmus, da gibt es Probleme, da zeigt die Angst sich körperlich. Und wenn ich Nächte nicht schlafe, bereitet mir das Kopfschmerzen. Das wirkt sich auch auf meine Partnerschaft aus, ich habe ja kaum Zeit und Kraft, mit meiner Lebenspartnerin etwas aufzubauen. Wenn wir es schaffen, am Wochenende mal einen Ausflug zu machen, fällt es mir oft schwer, abzuschalten und das zu genießen, zu entspannen. Das geht an meiner Partnerin nicht spurlos vorbei. Sie hat ja auch viel Kraft investiert, um mich aufzufangen und zu unterstützen.
Wo finden Sie Entspannung?
Um ehrlich zu sein, finde ich am meisten Entspannung, wenn ich ein Mikrofon in der Hand habe und sagen kann, was mir am Herzen liegt, wenn ich die richtigen Worte treffe, um die Menschen zu erreichen. Dann bin ich meistens sehr entspannt und glücklich. Das fängt mich auf: Leute, die mich unterstützen.
Helfen die politischen Reaktionen, die jetzt auch nach dem Attentat von Hanau kamen?
Es ist sicher wichtig, wenn Politiker sich jetzt mit Migrantenorganisationen treffen oder der Polizeischutz vor bestimmten Einrichtungen wie Moscheen verstärkt wird. Jede Maßnahme gegen rechts ist wichtig. Aber ich finde es noch wichtiger, sich viel stärker um die Betroffenen zu kümmern und auch mal darauf zu hören, was sie brauchen und fordern: zum Beispiel die Familien der in Hanau Getöteten auch mal zu Hause zu besuchen.
Am 1. Februar 2018 zündeten Rechte Ferat Kocaks Auto in einem Carport direkt neben dem Wohnhaus seiner Familie an. Später wurde bekannt, dass Kocak bereits seit mindestens einem Jahr zuvor von polizeibekannten Nazis ausgespäht wurde. Gewarnt wurde er von den Behörden nicht, auch gibt es bisher offiziell keine Spur der Täter. (taz)
Wer hat Ihnen damals geholfen?
Als der Anschlag auf uns verübt wurde, war ich danach erst mal völlig fertig und meine Eltern auch. Es waren vor allem Opferberatungsstellen, die uns dann geholfen haben, wieder im Leben anzukommen, durch praktische Unterstützung und psychologische Beratung und Betreuung. Das waren vor allem die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus und die Opferberatungsstelle Reachout. Die waren für uns jederzeit ansprechbar. Das muss man auch den Menschen in Hanau anbieten, und das hätte man den Hinterbliebenen der Opfer des NSU anbieten müssen.
Und die Behörden, die Polizei?
Die Polizei ist gekommen und hat uns erklärt, welche Sicherheitsvorkehrungen jetzt eingebaut werden müssen, damit wir in unserem Haus wieder sicher schlafen könnten. Das mussten wir dann alles selbst bezahlen, finanzielle Unterstützung gab es nicht.
Was können Bürger*innen tun, um Opfern und Bedrohten mehr Sicherheit zu geben
Auf die Menschen zugehen! Solidarität zeigen. Einfach mal den Nachbarn – zum Beispiel – auf der Sonnenallee sagen, dass man auf ihrer Seite ist. Wir brauchen jetzt ein Klima der Solidarität, und so können wir auch zeigen, dass wir viele sind, dass es die Mehrheit ist, die sich gegen Rechte stellt.
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