Interpunktion in SMS: Zeichen des Ärgers
Neuerdings soll der Punkt am Ende einer SMS als Ausdruck von Gram gelesen werden können. Wird das Lesen von Textnachrichten jetzt richtig kompliziert?
Das Smartphone ist immer griffbereit. Von der Geburtstagsgratulation bis zur Verabredung zum Geschäftstermin ist alles mit ein paar Handgriffen erledigt. Persönlicher Kontakt ist bei dieser Form der Kommunikation überflüssig.
Klingt praktisch, geht schnell, ist unkompliziert. Schwierig wird es, wenn man sich fragen muss: Wie ist die Nachricht eigentlich gemeint? Man hört sich nicht, man sieht sich nicht. Helfen jetzt Satzzeichen dabei zu deuten, ob der Inhalt einer Nachricht ironisch, verärgert oder ganz neutral gemeint ist?
Eigentlich ist der Punkt die simpelste und neutralste Art einen Satz zu beenden. Das könnte nun vorbei sein. Denn im Netz hat sich eine Debatte darüber entsponnen, ob der Punkt am Ende einer Textnachricht auch Ablehnung ausdrücken kann. Der Punkt als Bote der Verärgerung?
Mark Liberman, Professor an der Universität Pennsylvania erklärt dazu auf New Republic: In der digitalen Kommunikation sei das Beenden eines Satzes durch einen Punkt schlicht nicht mehr notwendig und so stelle sich bei Verwendung dem Empfänger die Frage: Was will mir der Schreibende mit dem Punkt sagen?
Eine Frage, auf die er selbst schon eine Antwort finden musste. Sein Sohn beschwerte sich, dass die SMS seines Vaters harsch klingen würden, da er jeden Satz mit einem Punkt abschließt. Als Linguist schlichte Selbstverständlichkeit.
Ein individuelles Phänomen?
Dr. Jan Seifert von der Universität Bonn äußert sich taz.de gegenüber skeptisch: „Ob es wirklich einen Code der Interpunktion und das Setzen oder Weglassen eines Punktes tatsächlich als Ausdruck für Verstimmung gelesen wird, beziehungsweise der Schreiber dies überhaupt beabsichtigt, wäre erst empirisch zu überprüfen.“ Denn noch basiere die These auf persönlichem Empfinden, relevante Studien zum „verärgerten Punkt“ gebe es nicht.
Eine individuelle Beobachtung startete den Diskurs im englischsprachigen Raum. Dass es ihn gibt zeigt, dass Libermans Sohn mit seiner Interpretation nicht alleine ist.
Professor Peter Schlobinski forscht seit Jahren zur Sprache in den neuen Medien, seine gewonnenen Erkenntnisse können sich auch auf den Nebenschauplatz Satzzeichen anwenden lassen: „Für Sprachwissenschaftler ist die Beobachtung, dass Satzzeichen in der SMS- oder Chatkommunikation freier gebraucht werden oder zusätzliche Funktionen dazu gewinnen, keine Überraschung. Das entspricht den Besonderheiten der Kommunikationsformen, den Regeln der Sprachökonomie und dem Einfluss der gesprochenen Sprache“, sagt Schlobinski.
Entscheidend ist die Effizienz
Bei der digitalen Kommunikation ist also Effizienz der entscheidende Faktor. Wenn das so ist, stellt sich die Frage, warum in Textnachrichten die Verwendung von drei Punkten anstelle anderer Satzzeichen so populär geworden ist.
Die sogenannten Auslassungspunkte können für Buchstaben, Wörter oder ganze Sätze verwendet werden. Klare Aussagen? Fehlanzeige! Doch vielleicht macht gerade ihre Deutungsfreiheit die drei Punkte so attraktiv. Nachrichten können schnell abgesetzt werden, ohne dass der Schreibende eine eindeutige Meinung ausformulieren muss. Denn „sie bieten die Möglichkeit, es dem Leser zu überlassen, wie eine Äußerung zu deuten oder gedanklich fortzuführen ist.“, sagt Seifert.
Peter Schlobinski hält die Auslassungspunkte nicht für Vernebelungstäter: „Bei SMS, im Chat oder bei Twitter funktioniert Kommunikation durch ein ‚gemeinsam geteiltes Wissen‘. Dabei können einzelne Zeichen vernachlässigt werden. Der Gesamtzusammenhang ist für das Verständnis entscheidend.“
Digitale Kommunikation mag Entfernung überbrücken, für das Verständnis bleibt jedoch eine persönliche Beziehung der Schlüssel. Denn entstehende Codes sind nicht allgemeingültig. Sie werden in Freundeskreisen und Interessengruppen entwickelt.
So sind für die Einen Auslassungspunkte das Mittel für alle Fälle und für die Anderen der Punkt ein Zeichen für Verärgerung. Irgendwer wird es schon verstehen. Im Zweifel hilft es, miteinander zu telefonieren.
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