Interne Sprechanleitung der ARD: In der Framing-Falle
Die ARD braucht kein öffentlich-rechtliches Neusprech. Wenn sie ihre Kritiker von der eigenen Moral überzeugen möchte, dann am besten mit Inhalten.
Hand aufs Herz: Mögen sie „unseren gemeinsamen, freien Rundfunk“? Oder stehen sie auf „Kommerzmedien, profitorientierte Medien oder Profitsender“? Im besten Fall merken Sie, dass die verwendeten Wörter ihnen die Entscheidung bereits abgenommen haben. Das ist der Clou beim Political Framing: Die Überzeugungsarbeit leisten die Zuhörenden selbst. Beim Framing als Sprachstrategie geht es darum, das eigene Handeln in Wörter zu kleiden, die bei den Zuhörenden Akzeptanz oder Ablehnung auslösen. Bei regelmäßiger Anwendung setzt sich dann die erwünschte Sichtweise langsam, aber sicher durch.
Political Framing ist in den letzten Jahren zu einer political Seuche geworden. Aktuelle Beispiele gibt es genug. Starke-Familien-Gesetz, Gute-Kita-Gesetz, Respekt-Rente, Geordnete-Rückkehr-Gesetz. Sprache ist ein mächtiges Werkzeug. Wenn man mächtige Werkzeuge falsch bedient, kann schon mal was kaputt gehen.
Die ARD hat beim „Berkely international Framing Institute“ ein sogenanntes Framing-Manual in Auftrag gegeben. Das Manual ist eine Sprechanleitung, wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der ARD über die ARD reden sollten: „Wenn Sie Ihre Mitbürger dazu bringen wollen, den Mehrwert der ARD zu begreifen und sich hinter die Idee eines gemeinsamen, freien Rundfunks ARD zu stellen – auch und gerade in Zeiten, in denen Gegner der ARD deren Relevanz in Frage stellen und orchestrierte Kampagnen fahren.“
Die Zeit der GEZ-Muffel ist vorbei. Es gibt offenen Widerspruch, ja sogar Widerstand gegen die ARD. Internetvideos zeigen, wie Pegida-Demonstrierende und Journalisten verbal und körperlich aneinandergeraten. Die Schlagwörter „Lügenpresse“, „Lückenpresse“, „Staatsfunk“, „Zwangs-TV“ hauen in dieselbe Kerbe und unterstellen Manipulation. Das Problem ist: Eine interne Sprechanleitung, die auf das Konzept des politischen Framings setzt, zahlt ziemlich kräftig auf dieses Manipulationsframing der „Gegner der ARD“ ein.
Jahrgang 1980, bloggt als Wortgucker bei Facebook und Twitter über die Wirkung der Sprache in der Politik. Er hat über Kampagnensprache und Framing promoviert und ist heute Pressesprecher für Greenpeace. Bis 2018 arbeitete er als Leiter des RAA-Regionalzentrums für demokratische Kultur gegen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus in Vorpommern-Greifswald.
Elisabeth Wehling, die Verfasserin des Manuals, empfiehlt der ARD, die eigenen moralischen Werte in Slogans und Narrative einzubauen. Damit würde ein moralischer Anspruch mitkommuniziert. Dann sei es wichtig, die neuen „moralischen Framings“ gebetsmühlenartig, aber auch nicht zu auffällig anzuwenden. Das wirke wie eine Art „neuronaler Superkleber“ schreibt Wehling: „Je öfter Neuronengruppen simultan im Gehirn feuern, desto stärker wird die synaptische Verbindung zwischen ihnen.“ Kurz gesagt: Wiederholung fräst sich ein.
Man kann nicht mit Wortspielereien Kritik ausräumen
Der kapitale Fehler des Manuals besteht in dem Glauben, mit Wortspielereien inhaltliche Kritik ausräumen zu können. Darum geht es auch an keiner Stelle im Text wirklich um die Welt jener Menschen, die „Lügenpresse“ rufen, sondern immer nur um die „Gegner der ARD“. Es geht nicht darum, die Vorwürfe der Unausgewogenheit, die diese Menschen augenscheinlich wahrnehmen, zu bearbeiten und auszuräumen.
Geht es nach Wehling, befasst man sich am besten gar nicht mit den Gegnern und deren Sprache, sondern vertraut einfach auf die neuronale Kraft stupider Wiederholung: „Nutzen Sie nie, aber auch wirklich nie, den Frame Ihrer Gegner, und nutzen Sie diejenigen Frames, die Ihre moralische Perspektive auf die Sachverhalte deutlich machen, immer und immer wieder – von Interview zu Interview, von Debatte zu Debatte, von Schriftsatz zu Schriftsatz. Nur durch die ständige Wiederholung neuer sprachlicher Muster über längere Zeit hinweg ist es möglich, den neuen Frames kognitiv Geltung zu verschaffen und sie damit zu einer realistischen Wahrnehmungsalternative werden zu lassen.“
Wer immer wissen wollte, wie das Neusprech aus George Orwells Roman 1984 funktioniert, hat nun die Erklärung. Da hilft es nicht, dass ARD-Generalsekretärin Susanne Pfab nachträglich beschwichtigt, es sei ja keine Mitarbeiteranweisung. Es bleibt ein Irrweg, auf den sich die ARD mit Elisabeth Wehling gemacht hat und es bleibt zu hoffen, dass dieses Manual schnell vergessen wird.
Die ARD sollte Political Framing anders nutzen
Glaubwürdigkeit lässt sich kaum mit schönen Wörtern steigern. Wir dürfen nicht vergessen: Auch die Kritiker der ARD sind Beitragszahler. Wenn die ARD ihre Kritiker von der eigenen Moral überzeugen möchte, dann am besten mit Inhalten. Gerade bei den Inhalten wäre es leicht, das Image der ARD mit dem Framing-Konzept aufzupolieren, ohne sich den Vorwurf der Manipulation einzuhandeln.
Political Framing hat in der Tat eine moralische Komponente. Diese Moral besteht nicht darin, anderen die eigene Moral mittels semantischer Mätzchen einzuimpfen. Die Moral bestünde für die ARD darin, politische Framings aufzudecken und zur Diskussion zu stellen. Dabei geht es für Medienschaffende und Journalisten darum, ebenso eigene Framings aufzuspüren, zu hinterfragen und offenzulegen. Die eigene Arbeit würde transparenter und nachvollziehbarer, auch in ihren Schwierigkeiten. Das wäre eine neue Art von Neutralität, die weniger angreifbar ist. Gerade die Öffentlich-Rechtlichen könnten dieses moralische Potenzial des Political Framings besser ausloten als die Privatsender, die in der Tat abhängiger von Werbekunden sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen