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Internationaler Frauentag 2012Taktik einer Mittelmutigen

Viele Frauen beugen sich dem Alltagssexismus und setzen auf strategisches Schweigen. Aus Pragmatismus? Oder aus Angst um Status und Ansehen?

Den Mund halten – nicht aus „Feigheit“, sondern aus Gründen der bewussten Kriegsführung Bild: stm / photocase.com

Stellen wir uns eine Frau vor, die in der gesellschaftlichen Mitte lebt und sich als heterosexuell begreift. Sagen wir, sie ist Mitte 30, interessiert sich für Politik, Wirtschaft, Kultur und zählt zur Mehrheit derjenigen, die sagen: „Frauen sind heute glücklicherweise emanzipiert. Also jedenfalls: Ich bin emanzipiert.“

Wenn sie sehr gute oder sehr schlechte Laune hat, spricht sie es offen aus: „Ich bin eine moderne Feministin und stehe dazu!“ Sie weiß, dass es nie zuvor eine Welt gab, in der sie so stark hätte leben können. Natürlich weiß sie auch, „dass es noch viel zu tun gibt“. Sie zählt zu den Privilegierten und leugnet es nicht. Und sie ist sehr froh über ihr aufgeschlossenes urbanes Umfeld.

Früher hatte sie die Emma abonniert, ihr Exfreund machte schmierige Witze darüber. Heute liest sie das Missy Magazine, ihr neuer Freund blättert interessiert darin. Den Begriff „Gender Trouble“ muss sie ihm nicht groß erklären. In der Werbungsphase hatte er einen Satz gesagt, der eigentlich verboten ist: „Wow! Für eine Frau bist du ganz schön tough!“. Demonstrativ unsicher hatte er sich über seinen Jesusbart gestrichen und gegrinst. Es war natürlich dreiviertelironisch gemeint, augenzwinkernd retroesk. Sie verstand das sofort, nahm es als Kompliment an ihre vielschichtige Einzigartigkeit, musste sehr lachen – und fiel in Liebe.

Wenn man sie fragen würde, wie sie persönlich den Kopf oben behält – obwohl sich an der Geschlechterungleichheit seit Jahrzehnten nichts Wesentliches geändert hat, weswegen wir etwa über „Macchiato-Mütter“ schimpfen, nicht aber über „Bionade-Papis“ – wenn sie auf all die Widersprüche der Gegenwart eine Antwort suchte, dann müsste sie sagen: „Meine Geheimwaffe ist das strategische Schweigen.“

Geheimwaffe Schweigen

Der Begriff „strategisches Schweigen“ ist im Topmanagement zu Hause. Die entsprechende Taktik wird in Erfolgsratgebern empfohlen und beruht darauf, in heiklen Momenten den Mund zu halten – nicht aus „Feigheit“, sondern aus Gründen der bewussten Kriegsführung.

„Mache ich mich zum Affen/Opfer/Problemfall/Wutbürger/Gutmenschen, indem ich aus Prinzip widerspreche – oder bin ich klüger und konzentriere mich konstruktiv auf das, was ich durchsetzen will?“ Das ist noch immer das Schwierigste am Feministin-Sein, denkt die emanzipierte Frau von heute: dass man leicht zur Ziege oder Furie pathologisiert wird. Wie die meisten Menschen möchte auch sie gemocht werden.

Wir leben in einer ideologiebefreiten Welt, man muss die Dinge pragmatisch angehen – das hat die mittelschichtige, mittelalte, mittelmutige Feministin von heute voll und ganz verinnerlicht. Drei Jahrzehnte neoliberaler Lebenserfahrung haben sie gelehrt, bestimmte Dinge besser nicht eins zu eins und ungeschützt zu kommentieren.

Twitter-Witzbildchen von übergewichtigen Unterschichtsfrauen („Look at that monster-ass!“); Angela-Merkel- und Claudia-Roth-Stilkritik; Hipstermagazine, die 14-Jährige zu Fashionfräuleins aufrüschen; die unterbezahlten „Putzfrauen“, die abends die Büros in der Firma reinigen; die unbezahlten Langzeitpraktikantinnen in der von Männern budgetierten Grafikabteilung: All das nimmt sie wahr. Kein Mensch kann aber immer sofort auf alles reagieren, denkt sich die emanzipierte Frau – jedenfalls nicht, wenn man beziehungsweise frau beziehungsweise mensch in den entscheidenden Momenten ernst genommen werden will.

Sie arbeitet in einer Firma, die sich mit Kulturmanagement befasst, in einer Position, in der die Luft schon mal dünner wird: als eine von zwei Frauen im sechsköpfigen Vorstand. Selbstverständlich weiß sie sich im Team durchzusetzen. Erst muss das Gegockel der Jungs ertragen werden, eine Viertelstunde lang. Das kennt man/frau/mensch ja schon. Dann geht es irgendwann ums jeweilige Thema. Oft ist sie unterwegs, zu Tagungen und Symposien. Ihre Mutter, die nie eine Fremdsprache erlernt und keine nennenswerte Rente zu erwarten hat, ist sehr stolz auf sie. Und die emanzipierte Tochter weiß, dass ihre Art zu leben ein Geschenk ist, für das sie Verantwortung trägt.

Neoliberale Erfahrungen

Nach einer Weile des Liebesglücks ist die Kinderfrage doch wieder interessant. Im Geiste geht sie ihren Freundeskreis durch. Da ist die Exmitbewohnerin, die sich als Erste hat wieder scheiden lassen. Das ehelich gezeugte Kind versorgt sie nun zu vier Fünfteln als Alleinerziehende. „Er holt das Kind alle zwei, drei Wochen zu sich, es geht nicht anders, er ist ja umgezogen.“ Mit langwierigen Diskussionen wolle sie „das Verhältnis nicht noch weiter belasten“, sagt die Freundin.

Da ist Exfreund Nummer zwei, der sie einst zur Abtreibung überredet hatte, weil nicht genügend Geld da gewesen war, wie er fand. „Prekär bedingter Nachwuchsaufschub“ hatten sie das genannt. Kürzlich ist er 40 geworden und in einer Agentur für irgendwas ein paar Stufen nach oben gefallen. Jetzt ist er mit einer Volontärin liiert, die 14 Jahre jünger ist als er und binnen dreier Monate schwanger wurde. Stolz postete er den schwellenden Bauch der hübschen jungen Frau bei Facebook, mit seinem Ohr an ihrem Nabel.

Und dann ist da noch die Exkommilitonin, die früher konsumkritische Low-Budget-Filme gedreht, sich seit der Geburt ihrer Zwillinge aber auf das Übersetzen von Reisetexten verlegt hat. „Von zu Hause aus geht das prima.“ Gut – es sind ja Zwillinge. Außerdem verdient ihr Partner in seinem Bikeshop mehr und ist gerade dabei, eine Flüchtlingsinitiative aufzubauen. Während er Dutzende neue Menschen kennen lernt und nächtelang unterwegs ist, backt die Freundin daheim Kuchen für die Sitzungen und entwirft Sprüche für Mahnwachen-Transparente.

Wozu schlechtes Gewissen?

Unsere Fallbeispiel-Frau, die immer noch daran glaubt, dass das Private politisch ist, findet das alles etwas merkwürdig. Da sie aber ausschließlich mit „ambitionierten und interessanten Frauen“ befreundet ist, weiß sie, dass all diese sich „freiwillig und ganz bewusst“ für ihre jeweiligen Partnerschaftsmodelle entschieden haben. Was soll sie also groß dazu sagen? Soll sie den Freundinnen etwa ein schlechtes Gewissen einreden?

„Ein paar Jahre habe ich ja noch, und bis dahin müssen wir das ausdiskutieren, er und ich“, denkt sich die moderne Feministin. Manchmal trifft sie sich mit anderen kinderlosen modernen Feministinnen zu einem „Mädelsabend“, weil „Frauen-Netzwerke“ wichtig sind und man nirgendwo sonst so offen reden kann. Hier bespricht sie schon mal zur Probe die Familienplanung: all das, was sie, in homöopathischen, soft-diskursiven Folkrock-Dosen, demnächst auch mit ihrem Freund besprechen will.

Wenn eine berufliche Veranstaltung ansteht, zieht sie etwas Attraktives an, aber nichts, was ihre Knie unbedeckt lässt. Sie ist nicht so blöd, die Wirkungsmacht des „Schönheitshandelns“ (Nina Degele) zu unterschätzen – und bleibt sich dennoch treu. Fällt einmal das Patschehändchen eines Investitionspartners auf ihren Oberschenkel, weiß sie diese brutal anachronistische Geste charmant zu kontern. „Wir Frauen müssen die Klappe aufreißen!“, hat sie neulich in einem „Mädchen“-Blog kommentiert.

Schwitzehand auf dem Schenkel

Liegt allerdings eine ganz reale Schwitzehand auf ihrem Schenkel, macht sie kein großes Fass auf. Was würde das jetzt bringen – außer Ärger? Sie hat die Sprüche über die „frigide Fregatte“ aus der Konkurrenzagentur noch im Sinn – und betrachtet die Männerhand auf ihrer blickdichten Strumpfhose als Kollateralopfer auf dem Weg in die Zukunft. Sie steht da drüber.

„Innerhalb jeder sozialen Klasse gibt es noch einmal eine Unterschicht: die Frauen“, hatte sie an der Uni mal gelesen.*( )Genau das wird sie verhindern: Sie wird sich nicht mehr weg- und unterschichten lassen.

Nachts träumt sie oft von rauchenden Ruinen und Sirenengeheul. Schweißgebadet wacht sie dann auf und weiß nicht, ob sie erregt oder verängstigt ist. Ihr Freund schläft ruhig und sicher. Wenn sie, im Licht der anbrechenden Morgenröte, seine langen, seidigen Wimpern betrachtet, spürt sie eine Unruhe, die ihr übertrieben vorkommt.

* Regina Becker-Schmidt: „Frauen und Deklassierung“. In: Ursula Beer (Hg.): „Forum Frauenforschung. Klasse Geschlecht. Feministische Gesellschaftsanalyse und Wirtschaftskritik“ (1987)

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11 Kommentare

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  • SB
    Siegfried Bosch

    Mal wieder die typische TAZ-Misandrie: "Erst muss das Gegockel der Jungs ertragen werden, eine Viertelstunde lang. Das kennt man/frau/mensch ja schon. Dann geht es irgendwann ums jeweilige Thema": Das mit dem "Gegockel" ist eine absolut unbelegte feministische Behauptung; und die "Jungs" sind einfach nur eine Beleidigung.

  • K
    Karin

    Liebe Mittelmutige, du bist viel zu nett. Strategisches Schweigen ist nützlich, wenn es die "Sache" weiter bringt. Manchmal muss sich Frau aber auch Respekt verschaffen. Dann wird man (erst mal) nicht gemocht. Hauptsache ist, Frau kommt in ihrem Leben weiter. Wir sollten von den Männern lernen, offensiv zu beanspruchen, was wir haben wollen.

  • M
    Maria

    Danke für diesen Artikel - regt zum nachdenken an

  • H
    hitzefrei

    ...ohh, diese Selbstreflexionen...

  • HL
    Hauke Laging

    Welch ein Glück, dass "strategisches Schweigen" nicht dem Risiko ausgesetzt ist, als Ausrede missbraucht zu werden.

     

    Ich bin wahrlich kein Experte auf dem Gebiet, insofern wundert es mich nicht, dass ich manches in dem Artikel nicht verstehe:

     

    1) „Er holt das Kind alle zwei, drei Wochen zu sich, es geht nicht anders, er ist ja umgezogen.“ Mit langwierigen Diskussionen wolle sie „das Verhältnis nicht noch weiter belasten“, sagt die Freundin. – Wie könnten denn solche Diskussionen inhaltlich aussehen? Dem Ex das Umziehen verbieten?

     

    2) "Da ist Exfreund Nummer zwei, der sie einst zur Abtreibung überredet hatte, weil nicht genügend Geld da gewesen war, wie er fand." Und dass er sich nun, da genügend Geld da ist, auf ein Kind freut, enthüllt was? Dass seine damalige Aussage ehrlich war?

     

    3) "Und dann ist da noch die Exkommilitonin, die früher konsumkritische Low-Budget-Filme gedreht, sich seit der Geburt ihrer Zwillinge aber auf das Übersetzen von Reisetexten verlegt hat." Genau. Und weil die sich darauf verlegt hat, muss die strategische Mittdreißigerin das natürlich ganz genauso machen. Worum geht es, um Mitleid für diesen Freundeskreis?

     

    4) "Soll sie den Freundinnen etwa ein schlechtes Gewissen einreden?" Damit haben wir dann den strategischen Selbstbetrug erreicht. Nicht auszudenken, wenn ihre Ansicht nicht einmal unter „ambitionierten und interessanten Frauen“ mehrheitsfähig wäre! Wo sollte das politisch hinführen! Also strategisch die Klappe halten und sich wider alle Zaunpfähle im alleinigen Recht wähnen.

     

    5) "Liegt allerdings eine ganz reale Schwitzehand auf ihrem Schenkel, macht sie kein großes Fass auf. Was würde das jetzt bringen – außer Ärger?" Ich bin fassungslos, auch wenn man "kein großes Fass aufmachen" noch weit interpretieren kann. Allerdings spricht "betrachtet die Männerhand auf ihrer blickdichten Strumpfhose als Kollateralopfer auf dem Weg in die Zukunft" nicht dafür, dass sie irgendwas tut, um eine Wiederholung zu verhindern. Ist Ärger allen Ernstes offiziell die einzige Option, darauf zu reagieren? Das kann ja wohl nicht ernst gemeint sein. "charmant zu kontern", sage ich da nur. "Sie wird sich nicht mehr weg- und unterschichten lassen", indem sie die Hand mit dem Geld auf ihrem Schenkel liegen lässt?

     

    Welche Unruhe wohl die Feministen überfällt, wenn sie mit dieser Haltung konfrontiert werden?

  • W
    wuff

    "Luxusprobleme einer Mittelmutigen" wäre als Titel treffender gewesen.

     

    Als Untertitel dann "Falsche Freunde".

  • A
    anke

    Sind Pragmatismus und Angst um Status und Ansehen nicht identisch, wenn jemand für sich beschlossen hat, er/sie/es dürfe sich auf gar keinen Fall weg- oder unterschichten lassen? Wie viele Männer würden eine weibliche Hand auf ihrem Schenkel aus Prinzip oder Ekel unter entschiedenem Protest fortstoßen, auch, wenn sie nicht unbedingt beim Aufstieg helfen kann? Was sollte eine mittelalte, mittelkluge, mittelmutige Frau mit Lebenserfahrung veranlassen, ein "strategisches Schweigen" zu brechen, mit dem sie immerhin die Illusion einer Komplizenschaft (sprich: Solidarität) aufrecht zu erhalten vermag – und ein Leben ohne den Stempel "depressiv-psychotisches Wrack" auf der Stirn? Und noch eine Frage: Wieso wird man von den führenden Feministinnen eigentlich nur verbal an die Wand gestellt, wenn man aus dem Krieg der Geschlechter desertiert, weil man die Schnauze voll hat von Gemetzeln aller Art?

  • MN
    michael neunmüller

    Eine Verständnisfrage

     

    Könnten Sie bitte in einem kurzen Aussagesatz mitteilen, worunter genau diese Frau nun leidet?

  • MN
    michael neunmüller

    Eine Verständnisfrage

     

    Könnten Sie bitte in einem kurzen Aussagesatz mitteilen, worunter genau diese Frau nun leidet?

  • H
    HamburgerX

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    Twitter-Witzbildchen von übergewichtigen Unterschichtsfrauen („Look at that monster-ass!“); Angela-Merkel- und Claudia-Roth-Stilkritik

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    Ich weiß nicht, wieviel tausend Witze es über das Äußere von Helmut Kohl gab, ganz bestimmt auch in der taz. Ober über Roland Koch, Westerwelle usw.

     

    Aber in erster Linie üben Stilkritik doch Frauen untereinander, weil sie in der Masse viel mehr auf Mode, Kleidung etc. achten. Die zig Mode- und Klatschmagazine sprechen Bände. Wer hatte was zur Hochzeit/Gala/Party an?

     

    Die zunehmende Konzentration auf die Verpackung von Menschen ist durchaus zu kritisieren, aber mittlerweile weniger geschlechtsspezifisch, vielleicht mehr eine Sehnsucht nach Entpolitisierung der Gesellschaft. Es spaltet halt nicht so, über die Farbe eines Outfits zu streiten als über grundlegende Weltanschauungen.

     

    Apropos Entpolitisierung. Ich habe zumindest das Gefühl, dass sich die meisten Frauen nur im Ansatz für Politik interessieren, oder immer weniger. Man sieht es auch an den Mitgliederzahlen der Parteien. Selbst die Grünen mit ihrem Frauenfetisch (Frauenstatus) haben da einen gewaltigen "Männerüberschuss".

     

    Also Ladys, ihr habt es selbst in der Hand. Vielleicht sollte man den Frauentag nicht so sehr als Abwehrhaltung gegenüber Männern verstehen, sich ständig in Abgrenzung derselben definieren, sondern als zentralen Tag, eigene kollektive Defizite auszumachen und ohne Schuldabschiebung nach Gründen/Lösungen zu forschen.

     

    Oder es wie die Piraten zu machen: Die Thematisierung des Geschlechts selbst abzulehnen. Dann werden Vorurteile und Rollenerwartungen gar nicht erst am Leben erhalten.

  • D
    Domenq

    Es lebt sich sicherlich schlecht zwischen pragmatischer Vorteilsnahme und zielgerichtetem Ignorieren.