Internationale Reaktionen: Schulterschluss mit Leerstelle
Politiker aus aller Welt stellen sich an die Seite der Demokratie in der Türkei. Der Name Erdoğan fällt in den Solidaritätsadressen allerdings nicht.
Wie reagieren die USA?
Noch in der Nacht zum Samstag hat sich US-Präsident Barack Obama hinter den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğangestellt. Dessen demokratisch gewählte Regierung müsse unterstützt werden. Obama appellierte, „Gewalt und Blutvergießen zu vermeiden“. Der Präsident telefonierte nach Angaben des Weißen Hauses mit seinem Außenminister John Kerry, der sich zu Gesprächen über den Syrien-Krieg in Moskau aufhielt. Kerry gab ähnliche Erklärungen wie Obama ab und sagte, sein Ministerium bemühe sich um die Sicherheit von US-Bürgern in der Türkei.
Die Türkei und die USA sind enge strategische Partner. Die US Air Force ist die größte Nutzerin der Luftwaffenbasis in Incirlik im Süden der Türkei, die sie als Drehkreuz nutzt. Die USA fliegen von dort aus auch Luftangriffe gegen den „Islamischen Staat“. Das Verteidigungsministerium in Washington erklärte, die Ereignisse in Istanbul und Ankara hätten keine Auswirkungen auf die stationierten US-Soldaten. Die Operationen von Incirlik aus liefen weiter.
Was sagt Russland?
Russland hat sich in der Nacht äußerst besorgt über die Entwicklungen gegeben. Die Türkei müsse so schnell wie möglich wieder den Weg der Stabilität und Ordnung einschlagen, sagt ein Sprecher von Präsident Wladimir Putin.
Zuletzt hatte Moskau daran gearbeitet, das Verhältnis zur Regierung in Ankara wieder zu verbessern. Ende Juni telefonierte Putin mit Erdoğan und kündigte eine Aufhebung der russischen Sanktionen gegen die Türkei an. Das russisch-türkische Verhältnis war Ende 2015 in eine Krise geraten. Die türkische Luftwaffe hatte damals an der Grenze zu Syrien einen russischen Kampfbomber abgeschossen, der angeblich den türkischen Luftraum verletzt hatte. Der Pilot des Flugzeugs wurde getötet.
Putin nannte den Vorfall einen „Stich in den Rücken“ und forderte von Erdoğan eine Entschuldigung. Seine Regierung verhängte damals Sanktionen gegen die türkische Lebensmittelindustrie und verbot Pauschalreisen und Charterflügen in die Türkei.
Wie verhalten sich die Nachbarn der Türkei?
In der Nacht twitterte der iranische Außenminister Mohammad Dschawad Sarif, er sei tief besorgt über die „Krise“ in der Türkei. Stabilität, Demokratie und die Sicherheit der türkischen Bevölkerung seien vorrangig. Später sagte der Sprecher des iranischen Sicherheitsrats: „Wir unterstützen die vom türkischen Volk demokratisch gewählte Regierung und verurteilen den Putsch“. Der Putsch werde auch im Laufe des Tages in einer von Präsident Hassan Ruhani einberufenen Krisensitzung des Sicherheitsrats weiter diskutiert.
Bulgarien verurteilte nach dem Putschversuch in der Türkei alle Formen von Gewalt in dem Nachbarland. „Wir unterstützen die demokratisch gewählten Institutionen“, hieß es in einer Stellungnahme des bulgarischen Präsidenten Rossen Plewneliew vom Samstag. Die Stabilität in der Türkei sowie die Einhaltung der Menschenrechte seien von erstrangiger Bedeutung für Bulgarien. „Die Republik Türkei ist ein guter Nachbar und strategischer Partner der Republik Bulgarien“, betonte Plewneliew.
Regierungschef Boiko Borissow sagte, der Grenzschutz entlang der türkischen Grenze – einer EU-Außengrenze – sei maximal verstärkt worden. Die Türkei habe die drei Grenzübergänge nach Bulgarien geschlossen. Georgien hat wegen des Militärputsches in der Türkei seine rund 250 Kilometer lange Grenze zum Nachbarland dicht gemacht.
Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras sicherte der türkischen Regierung Unterstützung zu. „Die Regierung und das griechische Volk verfolgen die Entwicklung in der Türkei und stehen an der Seite von Demokratie und Verfassungsordnung“, twitterte er in der Nacht. Man habe den Amtskollegen des Nachbarlandes eine entsprechende Nachricht zukommen lassen, sagte Regierungssprecherin Olga Gerovasili dem staatlichen Nachrichtensender ERT: „Athen unterstützt die demokratisch gewählte Regierung der Türkei.“
Dagegen wurden aus der syrischen Hauptstadt Damaskus Freudenschüsse gemeldet, als der Putsch noch lief. Erdoğans Regierung gehört zu den Gegnern von Syriens Präsident Baschar al-Assad und ist einer der wichtigsten Verbündeten der US-geführten Koalition im Kampf gegen die IS-Miliz.
Wie reagiert die deutsche Bundesregierung?
„Die demokratische Ordnung in der Türkei muss respektiert werden“, twitterte Angela Merkels Sprecher Steffen Seibert. „Alles muss getan werden, um Menschenleben zu schützen.“ Der Name Erdoğan kam in dieser Botschaft nicht vor. Auch nicht in Seiberts Kurznachricht zwei: „Unterstützung für gewählte Regierung.“ Kanzlerin Angela Merkel ließ sich auf dem Asien-Europa-Gipfel im mongolischen Ulan Bator ständig über die Entwicklung in der Türkei unterrichten und flog dann wie geplant nach Berlin zurück.
Viele Erklärungen betonen als Begründung für die Solidarität die demokratische Legitimation der Regierung, den Namen Erdoğan sucht man allerdings ziemlich vergeblich. Selbst Regierungsleute, die sonst eher wenig Berührungsängste mit Erdoğan haben, agieren jetzt erkennbar vorsichtig.
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier erklärte am Samstag: „Alle Versuche, die demokratische Grundordnung der Türkei mit Gewalt zu verändern, verurteile ich auf das Schärfste“. Die demokratischen Institutionen in der Türkei müssten respektiert werden. Nach Angaben aus dem Auswärtigen Amt wollte der Krisenstab der Bundesregierung am Samstagvormittag zusammenkommen, um über die Lage in der Türkei zu beraten.
Auch Deutschland hat Soldaten in Incirlik stationiert. Sie beteiligen sich mit Tornado-Aufklärungsflugzeugen am Kampf gegen den IS. Das Verteidigungsministerium teilte mit, die Lage der 240 Soldaten sei dort völlig ruhig. Nur vorsorglich sei die Bereitschaftsstufe erhöht worden.
Und die Europäische Union?
Die EU-Staaten solidarisierten sich mit der Regierung in der Türkei: „Die EU unterstützt voll die demokratisch gewählte Regierung, die Institutionen des Landes und die Rechtsstaatlichkeit“, hieß es in der Erklärung, die Ratspräsident Donald Tusk in der mongolischen Hauptstadt Ulan Bator im Namen aller 28 EU-Staaten verlas. Er äußerte sich auf Fragen auch besorgt über die Konsequenzen. „Die Lage scheint unter Kontrolle, aber die Situation ist weit von einer Stabilisierung entfernt.“ Wie die Türkei mit den Folgen umgehe, werde „entscheidend“ für das Land sein und seine Beziehungen zur Europäischen Union, sagte Tusk.
Europaparlaments-Präsident Martin Schulz twitterte Samstagfrüh: „Ich begrüße, dass an diesem Morgen wieder die Herrschaft des Rechts gilt.“ Das Blutvergießen müsse nun vollständig enden, die Gewaltenteilung gewährleistet sowie individuelle Rechte garantiert werden. „Die Stabilität des Landes ist entscheidend für die gesamte Region.“
(mit ap und reuters)
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