Intendant verbietet politische Äußerungen: Maulkorb für Schweriner Schauspieler
Beim Schweriner Theaterball untersagt Generalintendant Lars Tietje den Schauspieler*innen des Mecklenburgischen Staatstheaters, sich eigenmächtig politisch zu äußern.
Dieses sei als „Anordnung“ zu verstehen, macht Tietje klar. Bei Zuwiderhandlung „verstoßen Sie gegen Ihre arbeitsvertraglichen Pflichten“, so der in Celle geborene Theatermanager: „Ich weise schon jetzt darauf hin, dass ich das nicht dulden werde.“ Zum Abschluss des Briefs wünscht er dann noch „eine rauschende und harmonische Ballnacht“.
Als Maulkorb bezeichnete die kulturpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Landtag, Eva-Maria Kröger, das Schreiben. „Gerade im Theater sollte die Freiheit der Kunst und besonders die Meinungsfreiheit geachtet und gelebt werden“, sagte sie.
Tatsächlich spricht wenig dagegen, dass dies an anderen Staats- und Stadttheatern auch gelebte Praxis wäre. Zwar wies der Deutsche Bühnenverein darauf hin, dass das Vorgehen Tietjes rechtlich nicht zu beanstanden sei. Von einem analogen Fall aus einem anderen Theater hatte man in Köln jedoch keine Kenntnis.
Der Anlass des Sprechverbots liegt im Dunkeln: „Wenn ich mir dieses Schreiben anschaue“, sagte die Kulturpolitikerin Kröger zur taz, „dann denke ich: Entweder hat der Mann von irgendjemandem massiv Druck bekommen – oder er ist einfach zu dünn besaitet für einen Intendantenjob“.
Alexander Antonoff, Corporate Communications Nestlé
In seinem Brief behauptet Generalintendant Tietje, obschon erst seit 2016 im Amt, dass es „in den vergangenen Jahren wegen verschiedener eigenmächtiger politischer Äußerungen einzelner Kolleg/innen im Rahmen der Programme des Theaterballs teilweise großen Unmut gegeben“ habe. Und es habe ihm Schwierigkeiten bereitet, „das alles wieder einigermaßen gegenüber unseren Trägern, Partnern und Sponsoren gerade zu rücken“.
Bei den Trägern, also dem Land Mecklenburg-Vorpommern und der Stadt, stößt diese Bezichtigung auf Unverständnis: Über einschlägige Vorkommnisse bei Theaterbällen der Vergangenheit und die erwähnte intendantische Nachbereitung „ist hier nichts bekannt“, lautet unisono die Antwort.
Im Stadtrat von Schwerin hat die Linksfraktion dennoch für kommenden Montag eine Aktuelle Stunde zu dem Vorgang beantragt, um zu klären ob es eine Einmischung seitens der Kommune in kulturelle Inhalte gegeben hat. Denn das wäre ja ein zensorischer Akt. Den darf es laut Grundgesetz nicht geben.
Gesprächstermin bei der Kulturministerin
Entsprechend empfindlich hat deshalb auch Kulturministerin Birgit Hesse (SPD) auf Tietjes Formulierungen reagiert – und ihn gestern zum Gespräch einbestellt: „Meinungsfreiheit und Kritik gehören zum Theater“, stellte sie im Nachgang klar. Der Intendant habe „eingeräumt, dass die Kommunikation nicht gut war“, wie Hesse der taz sagte. Jetzt gelte es „die Wogen zu glätten und sich wieder auf die Arbeit zu konzentrieren“.
In der Stadt wird indes davon ausgegangen, dass Tietje eher auf Druck seitens der Sponsoren der Glamourveranstaltung – Eintrittspreise von 150 bis 250 Euro – gehandelt habe. Konkret: von Nestlé. Denn Frotzeleien eines Moderierenden übers Kapselkaffee-Müllproblem sind mehreren Teilnehmer*innen früherer Theaterbälle als einzige Äußerung erinnerlich, die annähernd als politisches Statement hätte gedeutet werden können. Der lokale Blog „Aktion Stadt- und Kulturschutz“ berichtet darüber, dass der Konzern aus diesem Grund sein Engagement habe beenden wollen.
Der weist die Vermutung jedoch zurück: „Wir sind dort mit einem Kaffeestand präsent und schenken Kaffee aus“, sagte der Stellvertretende Leiter der Corporate Communications von Nestlé Deutschland Alexander Antonoff. „Wir als Unternehmen würden uns nie in die Inhalte irgendeiner Bühnendarbietung einmischen“, so Antonoff, „null, null Komma null.“
Keine Kommentar zur Dienstanweisung
Tietje selbst trägt nichts zur näheren Klärung bei: Es habe sich um interne Vorgänge gehandelt, weshalb er sich „zu den konkreten Anlässen der Dienstanweisung nicht öffentlich äußern“ wolle, antwortet er lang aber ausweichend auf Fragen der taz.
Es habe tatsächlich „in der Vergangenheit negative direkte und indirekte Reaktionen auf Inhalte der Ballprogramme“ gegeben, aber „keinerlei konkrete Einflussnahme von außen“, schreibt er. Immerhin mochte er einräumen, dass seine „schriftliche Anordnung vermutlich ungeschickt“ war.
Zum Verständnis des Vorgangs sei es wichtig, zu wissen, dass die Moderation des Balls ein Schauspieler übernimmt, der jedoch einen vorbereiteten Text vortrage. Abweichungen sind unerwünscht, denn: „Als Verantwortlicher betrachte ich es als meine Pflicht, eine so relevante Veranstaltung wie den Theaterball vor eigenmächtigen Aktionen Einzelner, die die Qualität des Balls gefährden könnten, zu schützen.“ Die besagte Qualität des Ballprogramms fasst der Beitrag des NDR-Nordmagazins in einem Wort zusammen: „seicht“.
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