Integrationsbeauftragte über Einbürgerung: „Viele haben lange darauf gewartet“
Die Ampel will Einbürgerungen vereinfachen. Das sei eine Frage des Respekts, sagt die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Reem Alabali-Radovan.
taz: Frau Alabali-Radovan, derzeit wird erbittert über Einbürgerungen gestritten. Die Ampel will, dass Menschen früher eingebürgert werden können, und den Doppelpass ermöglichen. Die Union, aber auch Ihr Koalitionspartner FDP halten dagegen: Da ist von „Abwertung“ oder gar „Verramschung“ der deutschen Staatsbürgerschaft die Rede. Eine reale Gefahr?
Reem Alabali-Radovan: Dass die Union nicht für eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechts steht, war ja klar – sonst hätte es das schon vor Jahren gegeben. Aber diese Kritik hat keine Grundlage. Die Anforderungen an die Staatsbürgerschaft bleiben weiter hoch: Sprachnachweis, Sicherung des Lebensunterhalts, Einbürgerungstest, Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Wer das alles auf sich nimmt, bekennt sich eindeutig zu Deutschland. Und wer das statt in acht schon in fünf Jahren schafft, was ist er, wenn nicht gut integriert? Da von „Verramschen“ zu sprechen, ist respektlos.
32 Jahre alt, ist Staatsministerin im Bundeskanzleramt. Die SPD-Politikerin ist Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Integration und Flüchtlinge sowie die erste Bundesbeauftragte für Antirassismus.
Aber für Menschen über 67 sollen die Standards ja gesenkt werden: kein Einbürgerungstest mehr, und mündliche Kenntnisse reichen für den Sprachnachweis.
Da geht es vor allem um die sogenannten Gast- und Vertragsarbeiter*innen. Um Menschen also, die seit Jahrzehnten hier leben, mit ausländischer Staatsbürgerschaft zwar, die aber Steuern zahlen, die dieses Land mit aufgebaut haben – aber hier bis heute nicht wählen dürfen. Für sie sind solche Äußerungen wirklich ein Schlag ins Gesicht, genau wie für die vielen anderen, die seit Jahren hier leben und Teil der Gesellschaft sind. Und auch nach außen ist das Signal problematisch. Wir brauchen dringend Fachkräfte, wollen das Einwanderungsrecht reformieren. Aber Menschen im Ausland nehmen aus der jetzigen Diskussion mit, dass sie zwar als Arbeitskräfte herkommen sollen – aber Teil der Gesellschaft sollen sie bitte nicht werden.
Beim Doppelpass wird auch immer wieder das Argument der Loyalität gegenüber Deutschland angeführt: Wer hier leben will und hier integriert ist, braucht ja den anderen Pass nicht mehr.
Ich finde, zu einem modernen Einwanderungsland gehört die Erkenntnis dazu, dass Menschen mehrere Identitäten in sich tragen können: die deutsche, aber auch die ihres Herkunftslandes oder des Herkunftslandes ihrer Eltern und Großeltern. Da sollte es absolut in Ordnung sein, auch beide Staatsbürgerschaften zu haben. Es ist ja gar nicht so, dass alle Menschen mit Migrationsgeschichte unbedingt den Doppelpass wollen. Aber es macht einen Unterschied, ob sie das selbst entscheiden können oder ob der Staat es ihnen vorschreibt. Und nicht immer geht es nur um das Emotionale, manchmal sind es auch ganz praktische Gründe, warum Menschen ihre alte Staatsangehörigkeit nicht aufgeben wollen; zum Beispiel mit Blick auf Rentenansprüche.
Was ist mit der FDP?
Wir haben das Vorhaben fest im Koalitionsvertrag vereinbart. Auch den Teil mit den verkürzten Fristen und der doppelten Staatsangehörigkeit. Deswegen bin ich zuversichtlich, dass wir einen Weg finden und es auch gemeinsam umsetzen.
Sie haben gesagt, Deutschland wolle das „modernste Staatsangehörigkeitsrecht der Welt“. Was machen Länder wie Kanada oder Neuseeland denn bisher besser?
Sie sind unbürokratisch und digitalisiert. Vor allem aber zeigen sie sich offen und werben aktiv darum, sich einbürgern zu lassen. Das möchte ich hierzulande auch tun, mit einer Einbürgerungskampagne. Wir haben unser Einbürgerungspotenzial bisher kaum ausgeschöpft, gerade mal zu 2,5 Prozent. Das klingt sperrig, bedeutet aber: In Deutschland leben über 10 Millionen Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit, fünf Millionen davon schon seit über 10 Jahren. Und von denen haben sich 2021 nur rund 132.000 einbürgern lassen. Das heißt, es gibt sehr viele, die längst Teil unserer Gesellschaft sind und sich einbürgern lassen könnten, es aber nicht tun. Das wollen wir ändern.
Woran hapert es denn momentan?
Es ist tatsächlich ein großes Hemmnis für viele, dass sie bislang ihre bisherige Staatsbürgerschaft aufgeben müssen. Es ist zwar schon heute so, dass über 60 Prozent der Eingebürgerten ihre alte Staatsangehörigkeit behalten dürfen. Das ist aber vor allem bei EU-Bürgern so oder zum Beispiel bei Menschen, deren Herkunftsland sie nicht aus der Staatsbürgerschaft entlässt, etwa Marokko oder der Iran. Und dann gibt es natürlich noch die Kinder binationaler Eltern. Da wird der Doppelpass hingenommen, bei den anderen 40 Prozent aber nicht. Und das ist im Grunde unfair, deshalb wollen wir hier für Gleichberechtigung sorgen.
Bei der sehr aufgeladenen Debatte momentan geht es letztlich auch um die Frage nach dem deutschen Selbstverständnis; wer ist Deutscher, wer nicht. Müssen wir da also auch über Rassismus sprechen?
Wir müssen ganz grundsätzlich über Rassismus sprechen, das wurde in den letzten Jahren und Jahrzehnten sehr vernachlässigt. Als erste Antirassismusbeauftragte der Bundesregierung werde ich deswegen im Januar dem Kabinett erstmalig einen Lagebericht zu Rassismus in Deutschland vorlegen, mit Zahlen, Analysen und mit konkreten Vorhaben, um dagegen anzugehen. Uns fehlen Studien, etwa zur Lage am Arbeitsmarkt, in der Schule und in vielen anderen Bereichen. Das will ich fördern, ebenso ist mir wichtig, Beratungsorganisationen zu unterstützen und Lücken zu schließen, damit Betroffene Stellen haben, an die sie sich wenden können.
Die migrationspolitische Debatte ist nicht erst mit dem Staatsangehörigkeitsrecht wieder aufgeflammt. Vorher ging es schon um die steigenden Zahlen hier ankommender Geflüchteter. Länder und Kommunen haben vor Überforderung gewarnt. Die Union kritisiert, dass die Ampel genau jetzt Gesetze auf den Weg bringt, die Migration erleichtern. Ist da was dran?
Wir müssen gerade viele Krisen gleichzeitig bewältigen; den Krieg in der Ukraine, die Inflation, die Energiekrise. Die Länder und Kommunen haben viel geleistet bei der Aufnahme ukrainischer und auch anderer Geflüchteter, das war und ist ein Kraftakt – den wir vom Bund unterstützen mit umfangreichen Entlastungen. Ich bin aber froh, dass wir trotz dieser Krisen unsere Vorhaben im Einwanderungsrecht weiter vorantreiben: aktuell die Fachkräfteeinwanderung, das Chancenaufenthaltsrecht und eben auch das Staatsangehörigkeitsrecht. Das sind Verbesserungen, auf die sehr viele Menschen sehr lange gewartet haben.
Und gleichzeitig sind die Zahlen rassistischer Übergriffe auf Geflüchtete und ihre Unterkünfte markant angestiegen – ausgerechnet unter einer Koalition, die sich einem Paradigmenwechsel in diesem Bereich verschrieben hat. Wie gehen Sie mit diesem Backlash um?
In der aktuellen Debatte werden die Themen Einbürgerung, Flucht und Asyl vermischt, zum Teil sogar mit Begriffen aus der Mottenkiste wie „Einwanderung in die Sozialsysteme“. Das ist schlicht falsch, schürt aber Ressentiments gegenüber Menschen mit Einwanderungsgeschichte, das ist zu spüren. Das gesellschaftliche Klima wird rauer. Und es besorgt mich sehr, wenn ich die Zahl der Übergriffe auf Geflüchtete sehe. Das zeigt noch mal sehr deutlich, wie sorgfältig wir die politische Debatte führen müssen und dass diese Ressentiments nicht weiter geschürt werden dürfen. Das kommt vor allem von bestimmten politischen Parteien und sie sollten erkennen, was ihr Handeln ganz real verursacht. Unser gesellschaftlicher Zusammenhalt steht auf dem Spiel.
Aber auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser, wie Sie von der SPD, hat zuletzt mehrfach betont: Man müsse illegale Migration stoppen, um denen helfen zu können, „die wirklich Hilfe brauchen“. Dabei geht es vor allem um Menschen aus Syrien und Afghanistan, die bisher nun mal kaum legale Wege haben, einzureisen, um Asyl beantragen zu können. Brauchen sie deswegen weniger Hilfe als Menschen aus der Ukraine?
Asylrecht ist ein Menschenrecht. Und als Flüchtlingsbeauftragte habe ich schon seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine viele Gespräche geführt darüber, ob es Geflüchtete erster und zweiter Klasse gibt. Ich sage ganz klar, das darf es nicht geben. Die sehr große Solidarität gegenüber den ukrainischen Geflüchteten und der enge Schulterschluss der EU zeigten deutlich, dass ein anderer Umgang mit Schutzsuchenden möglich ist, als wir in 2015 und 2016 erlebt haben.
Das, was wir für Menschen aus der Ukraine ermöglicht haben, sollte eine Blaupause sein für alle Geflüchteten. Es geht um Integration von Anfang an, Zugang zu Arbeitsmarkt und Sprachkursen. Daran arbeiten wir, zum Beispiel mit der Öffnung der Integrationskurse, dem neuen Chancenaufenthaltsrecht, das wir am Freitag im Bundestag beschließen werden, dem Gesetz für schnellere Asylverfahren und ganz wichtig wird auch die Abschaffung von Beschäftigungsverboten sein. Zudem werden wir dringend darüber beraten müssen, wie wir perspektivisch mehr legale Flucht- und Migrationswege ermöglichen. Auch das haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart.
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