Integration von Flüchtlingen: Deutsch lernen? Wer weiß

Die Regierung stellt infrage, ob Afghanen an Deutschkursen für Asylbewerber teilnehmen dürfen – obwohl sie die Kriterien dafür erfüllen.

Jemand schreibt Buchstaben

Ein afghanischer Flüchtling übt in Potsdam Buchstaben des Alphabets Foto: dpa

BERLIN taz | Seit November 2015 gilt: Asylbewerber und Geduldete mit „guter Bleibeperspektive“ dürfen an den vom Bund bezahlten Integrationskursen teilnehmen. Doch für Menschen aus Afghanistan soll dies nun offenbar nicht mehr automatisch gelten. Eine „gute Bleibeperspektive“ hat nach Definition des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf), wer aus einem Land kommt, deren Staatsangehörige in mehr als der Hälfte aller Fälle Erfolg mit ihrem Asylantrag haben.

Bislang erfüllten nur Eritrea, Irak, Iran, Syrien und Somalia das 50-Prozent-Kriterium. Am 11. Januar aber stellte das Bamf die Asylstatistik für 2016 vor. Demnach stieg die Gesamtschutzquote von Afghanen auf 55,8 Prozent – zum ersten Mal seit Jahren oberhalb des Schwellenwerts.

Die Bundesregierung jedoch lässt nun offen, ob die Regel Bestand hat: „Das Bundesministerium des Innern (BMI) prüft derzeit die Entwicklung der Gesamtschutzquoten und wird Veränderungen bei den Herkunftsländern mit guter Bleibeperspektive und deren Folgen nach Abschluss dieser Prüfung bekannt geben“, sagte ein Sprecher der taz.

Aydan Özoğuz, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Inte­gration, kritisiert dies: „Wir brauchen gesetzlich festgelegte Vorgaben zur Feststellung der guten Bleibeperspektive, auch weil viele Rechte von Asylsuchenden an eine solche Bleibeper­spektive geknüpft sind.“ Bislang sei nicht geregelt, wie viele Fälle des betreffenden Landes entschieden sein müssen oder wie viele Monate lang die Schutzquote bei über 50 Prozent gelegen haben muss. „Das bisherige Vorgehen erscheint mir rechtlich zu unbestimmt“, sagte sie mit Blick auf die Haltung des BMI bei den Afghanen.

Matthias Jung, Sprachexperte

„Manche Afghanen haben große Alphabetisierungsbedarfe“

„Afghanen haben manchmal sehr hohe Bedarfe, vor allem wenn eine Alphabetisierung nötig ist“, sagte Matthias Jung, Vorstand des Fachverbands Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Er sei dafür, die Regelung sofort anzuwenden. „Die Asylverfahren dauern sehr unterschiedlich. Wer während des Asylverfahrens vom Sprachkurs ausgeschlossen bleibt, verliert Zeit.“ Die Sprachförderung könne „gar nicht früh genug beginnen“, so Jung. „Manchmal haben die Leute Glück und bekommen Sprachkurse von Ehrenamtlichen.“ Aber diese Lernangebote seien kein gleichwertiger Ersatz für die offiziellen Kurse.

Rund 127.000 Menschen aus Afghanistan haben allein 2016 einen Asylantrag gestellt. Den jüngsten Zahlen zufolge begannen im ersten Halbjahr 2016 rund 155.000 Menschen die Teilnahme an einem Integrationskurs. Die Kurse laufen üblicherweise rund 660 Stunden über ein halbes Jahr. Rund zwei Drittel der Teilnehmer beendeten 2016 den Kurs mit der B1-Prüfung, weitere 29 Prozent mit der A2-Prüfung. Der Bund zahlt den Trägern je Stunde 3,90 Euro pro Teilnehmer.

Der größte Integrationskurs-Träger sind die Volkshochschulen. Die fordern, die elementare Sprachförderung auch für Asylbewerber mit unklarer Bleibeperspektive zu öffnen, um eine Verständigung mit der einheimischen Bevölkerung sowie insbesondere mit Behörden oder Ärzten zu ermöglichen, sagte die Sprecherin des Volkshochschul-Verbandes, Simone Kaucher.

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