Inszenierung an der Berliner Volksbühne: Das Lachen der Toten
Claudia Bauer inszeniert „Germania“ nach Heiner Müller. Der fand stets das Faschistische in Attitüden des Alltags. Dazu findet Bauer kein Verhältnis.
Zwei Totenschädel mit langen Zähnen und kleinen Puppenkörpern reißen miteinander Witze. Sie sind zwei, das ist einer zu viel, harr, harr!, aber weil es an ihren Knochen nichts mehr zu nagen gibt, werden sie nicht übereinander herfallen. Aber siehe, da kommt „Nachschub“, ein Puppengesicht unterm Stahlhelm, ein deutscher Soldat auf der Flucht. Sie nehmen den Kameraden in die Mitte. Es macht ziemlich fiese Geräusche, wie sie ihm die fetten Puppenärmchen ausreißen und sie wegschlotzen, als wären es Austern.
Wo wir uns befinden? Erstens in der Theaterproduktion „Germania“ nach Heiner Müller an der Berliner Volksbühne, die, wie viele Bühnen landesweit, mit Heiner Müller schon mal den Gedenkmonat November, dreißig Jahre nach 1989, ansteuert. Zweitens im Kessel von Stalingrad, denn da sitzen die beiden Skelette, Untote unter den Toten, immer noch hungrig nach dem Verhungern im Kessel. Die Szene wird, wie auch vieles andere auch in der Inszenierung von Claudia Bauer, groß auf die Fassade eines Plattenbaus projiziert. Es ist nicht die erste Interpretation von Stalingrad an diesem Abend.
Da gab es schon die Szene mit den Nibelungen, mit Schild und Schwert, auf einem quietschenden Wagen hereingeschoben, eine Karikatur des Heldischen. „Rache für Siegfried!“, brüllen sie und schimpfen jeden einen Verräter, der nicht bis zum Tod gegen die Hunnen kämpfen will. Nibelungentreue eben. Bis einer von ihnen zweifelt, sah er doch Hagen (kein Hunne) den Siegfried erschlagen. Er weiß nicht, warum sie sich mit den Hunnen schlagen. Weil sie eingekesselt sind, sagen die anderen. „Aber wir brauchen doch nur aufzuhören, und es gibt keinen Kessel mehr“, sagt er. Da bringen die andern ihn um.
Germania wurde in München und Bochum uraufgeführt
Die dritte Episode von Stalingrad erzählt ein betrunkener „Prolet“ – am Anfang des Arbeiter- und Bauernstaats der DDR. Wie er einen der Jungs aus dem Kessel wiedertrifft, der jetzt ganz oben im Ministerium sitzt. Klar, hörte man das im Arbeiter- und Bauernstaats nicht gern, Nazis im Machtapparat. Müllers Stück „Germania Tod in Berlin“ wurde 1978 in München uraufgeführt, einen zweiten Teil, „Germania 3 Gespenster am toten Mann“, schrieb er nach der Wende, es kam 1996 in Bochum auf die Bühne. Die Szenen in Claudia Bauers Inszenierung stammen aus beiden Stücken.
am 31. Oktober, 10. November und 16. November jeweils um 19 Uhr, Volksbühne am Rosa Luxemburg Platz, Linienstraße 227, 10178 Berlin
Eine Stärke der Regisseurin ist ihre Arbeit mit Musik. Ein Orchester sitzt auf der Bühne, fast vierzig Musiker, ein Chor spielt mit, Mark Scheibe hat die Musik geschrieben, die anfangs nach Wagner klingt, später nach Schönberg. Hinzu kommen Geräusche, die viele Aktionen betonen, verfremden, ins Comichafte ziehen. Die Schauspieler spielen Clowns, die historische Rollen spielen, Friedrich der Große gibt dem Müller von Sanssouci eine klatsche Ohrfeige, aber ist ihr Machtkampf nun der zwischen Herrscher und Untertan oder der zwischen rivalisierenden Spaßmachern?
Doch während in früheren Inszenierungen diese Mittel halfen, den historischen Horizont unter Texten und Bildern ein Stückchen zu verschieben und sicher Geglaubtes infrage zu stellen, funktioniert das diesmal wenig. Der Kontext zerbröselt und driftet davon. Müllers Texte triefen ja selber schon von Assoziationen, von Verbindungslinien zwischen Geschichte, Mythen, Ideologien und den Narrativen, mit denen ein Staat sich legitimiert.
Wir bekommen von preußischem Mannestum, verpassten Revolutionen, dem Stalinkult in der DDR erzählt. Das alles ist verbunden mit psychoanalytischen Deutungen, die in jedem Mann seine Mordlust und die in ihm unterdrückte Frau wittern. Wer nicht mit Puppen spielen darf, greift eben zum Messer. Bauers Überschreibungen helfen diesmal nicht, das Mehrdeutige aufzuschlüsseln, sondern verkomplizieren eher den Zugang.
So bleibt das Herausstechen des Gruseligen und Zynischen. Texte wiederholen sich, erst von Hitler und Stalin in einem intimen Dialog gesprochen, später vom Chor der Viren wiederholt. Eben noch hat sich Hitler für seine Massenmorde gelobt, spätere Zeiten würden deren Wert erkennen.
Dann geht es weiter, von verschiedenen Seiten gesprochen: „Tödlich der Menschheit ihre zu rasche Vermehrung. Jede Geburt ein Tod zu wenig / Mord ein Geschenk. Jeder Taifun eine Hoffnung / Hoffnung der Welt / Lob den Vulkanen. Nicht Jesus / Herodes kannte die Wiege der Welt. Die Massaker sind Investitionen in die Zukunft.“ Uff. Da bleibt kein moralisches Gesetz mehr stehen.
Das Infragestellen gesellschaftlicher Vereinbarungen
Müllers andauerndes Infragestellen von gesellschaftlichen Vereinbarungen wollte sich scheuern an den Institutionen, die versteinert waren, die das Gemachtsein ihrer Regeln einfach nicht zugaben. Er suchte immer nach dem, was im blinden Fleck der Legitimierung von Systemen lag, in Ost-, in West-, im vereinigten Deutschland. Aber in der Inszenierung werden daraus große Worte, Phrasen, steile Behauptungen, ohne dass man genügend hinterherkäme.
Müllers Sprache hatte einen Hang zum Orakel, entdeckte das Faschistische, das Deutschtümelnde in vielen Attitüden des Alltags. Das schien lange eine archäologische Arbeit, ein Wühlen im verborgen Gehaltenen. Inzwischen aber liegt viel davon, etwa Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit wieder breit und bräsig an der Oberfläche. Dazu findet die Inszenierung kein Verhältnis, und das ist eine verpasste Chance.
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