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Inszeniertes BedrohungsszenarioDie Projektionsfläche der Anderen

In der Inszenierung „Ich rufe meine Brüder“ kitzelt das Bremer Moks-Theater Terrorängste hervor. Und identifiziert so Stereotype und Vorurteile.

Die Terrorängstlichen sehen in ihm nur den bösen Araber: Amor, gespielt von Yassin Trabelsi (r.), mit seiner Kumpel-Karikatur. Bild: Jörg Landsberg

BREMEN taz | Geradezu peinigend wirkt der riesige Bühnenraum in seiner finster gähnenden Leere. Ausstatterin Pia Dederichs nutzt ihn einfach nicht, sondern stellt die Besuchertribüne frontal vor die gen Osten weisende Wand der Black Box des Bremer Kinder- und Jugendtheaters Moks. In lasziver Sanftmut quetscht sich der Hauptdarsteller ans Gemäuer. An die Wand gestellt – von den nur eine Armlänge entfernten Zuschauern? Er fragt: „Gehen 90 Deutsche und ein Araber in einen Raum, wer hat mehr Angst?“

Selten bringt ein Einstiegssatz das aufgeführte Stück dermaßen gut auf den Punkt, wie diese Anfangsbemerkung von Yassin Trabelsi: ein arabisch anmutender, deutsch-tunesischer Schauspieler im Blickduell mit 90 Zuschauern. Ab sofort spielt er Amor, verschließt den Theatersaal, der zum Angstraum wird. Kein Entrinnen mehr möglich. Auch nicht vor dem Furor des heillos verwirrt Amor-Monologs mit all den eingeschobenen Erinnerungsszenen vom Erwachsenwerden und dem Stimmengewirr, live aus dem Hirn des aufgebrachten Erregers irritierender Aufmerksamkeit. Amor improvisiert erst mal in direkter Publikumsansprache zum Thema „Terroralarm“ in Bremen.

Hervorkitzeln der Terrorangst

Wegen irgendeines Attentat-Hinweises und vermuteten Handels mit Feuerwaffen war am letzten Februar-Wochenende die gesamte Innenstadt mit waffenstarrenden Menschen in vollem Kriegsornat bevölkert. Ein diffuses Bedrohungsszenario. „Krass, oder?“, fragt Amor, „Bombenstimmung!“ Die nun im Theaterbesucher wieder hervorgekitzelt, lebendig werden soll. Ganz im Sinne des tunesisch-schwedischen Autors Jonas Hassen Khemiri, der sich mit „Ich rufe meine Brüder“ auf einen dschihadistisch gemeinten Selbstmordanschlag eines gebürtigen Irakers in seiner Heimstadt Stockholm 2010 bezieht – mit der Folge, dass Fremdes gar keine Chance mehr auf Sexyness hatte, bedrohlich empfunden wurde und vorurteilsbeladene Verdächtigungen die alltägliche Wahrnehmung der Gesellschaft begleiteten. Den Reflex zur pauschalen Verdächtigung, der um Sicherheit besorgten Bürger wollte Khemiri dramatisch aufarbeiten. Dazu erfand er Amor, der erkennen muss: Seine Physiognomie entspricht dem Stereotyp des muslimischen Terroristen.

Schnell fühlt er sich fremd in seiner Stadt, wird sich selbst suspekt, weil er meint, Terrorpanikaugen schauen ihn anklagend an, beobachten, verfolgen und bedrohen ihn. Wenn er in seinem Rucksack kramt, in der Straßenbahn ein Buch in einer anderen Sprache liest, unsicher guckt oder unterwegs in der Fußgängerzone eine hastige Bewegung macht – wird dann hinter den Überwachungskameras bereits eine polizeiliche Ermittlung eingeleitet? Oder ist er nun selbst paranoid?

Angstenergie und Spielfreude

„Kommt mir so vor, als ob sich alles in meinem Kopf abspielt“, haucht es schließlich aus Trabelsis Amorkörper hervor, der sich immer kleiner zu machen versucht und ängstlich in Hockstellung herumschleicht. Wenn er schließlich zum Gebet niederkniet wird daraus schnell ein beschämtes, wurmartiges Davonkriechen, begleitet von bangen Blicken: Hoffentlich hat keiner die religiöse Äußerung bemerkt. Amor möchte lieber gar nicht und wenn schon, wenigstens positiv auffallen.

So versucht er, den Werbeaufkleber eines Apfels ordnungsgemäß, in einen Mülleimer zu entsorgen, um zu vermitteln, so einer zu sein, „der nicht so einer ist“. Regisseurin Babett Grube macht daraus in ihrer fein ausgearbeiteten Inszenierung eine sich durch Angstenergie und Spielfreude auszeichnende herrliche Slapsticknummer mit einem nicht von der Hand lösbaren Klebebandfitzel. Dieser wird so ganz nebenbei zum Stigma des Andersseins – das auch Amor anhaftet.

Auch die Panik wächst und gedeiht. Irgendwann identifiziert sich der Beklebte mit den Vorurteilen und wird der, für den ihn alle halten: eine Zeitbombe, ein Killer. Grube lässt das mit vitaler Jungsfantasie ausleben in einer Superhelden-Show: Amor kämpft, mit einer absurden Komik, mit einem imaginären Messer gegen ein fantasiertes Heer von Polizisten und eine Armada von Hubschraubern. Aber auch die Zuschauer bekommen Aufkleber auf die Stirn geklebt – und werden damit gekennzeichnet. So läuft es psychologisch nun mal, wenn sich Menschen in Labyrinthen der Angst verirren: Jeder wird Projektionsfläche der Ängste der Anderen: Die Terrorängstlichen sehen in Amor einen bösen Araber, der wiederum sieht schon aus purer Existenzangst in ihnen die bösen Rassisten. Bis Grube die Darsteller die Zuschauertribüne entern lässt, um ein „Wir haben keine Angst“-Mantra vorzustellen.

Rasanter Spielduktus

Damit diese Inszenierung auch noch den Geschmack des jungen Publikums trifft, wartet sie noch zuletzt mit einer gewissen Großfamilien-Comedy, mit Kumpel-Karikaturen und einer Liebes- und Stalking-Geschichte auf. Diese mündet in eine Balkonszene von Romeo Amor und seiner nicht Julia sein wollenden Sandkastenfreundin. Die deutsche Übersetzung des Stücks bleibt dabei authentisch im Jargon.

Allein vom rasanten Spielduktus her macht diese Inszenierung Mut, nicht gesellschaftliche Zuschreibungen, sondern eigene Selbstentwürfe zum Lebensspiel zu erklären. Und so verbringen ein Araber und 90 Deutsche 65 Minuten in einem Raum.

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