Institutsleiter über Polizei und Vielfalt: „Verstehen, wie die anderen ticken“
In Hamburg eröffnet das bundesweit erste Institut für transkulturelle Kompetenz der Polizei. Leiter ist Wulf Köpke, bisher Chef des Völkerkunde-Museums.
taz: Herr Köpke, was tun Sie als Ethnologe bei der Polizei?
Wulf Köpke: Ich helfe den Polizisten, Menschen aus anderen Kulturen besser zu verstehen und umgekehrt.
Was ist daran „transkulturell“?
Transkulturell bedeutet, dass wir einen intellektuellen Austausch haben, bei dem Neues entsteht, weil beide Seiten voneinander lernen. Es reicht also weiter als der interkulturelle Ansatz, der zunächst auf Verständigung zielt.
Was heißt das für Ihre Arbeit?
Konkret fragen meine Mitarbeiter und ich zunächst ab, was die Polizisten schon wissen. Dafür gehen wir von Polizeiwache zu Polizeiwache – und dann sagen uns etwa die Drogenfahnder am Hauptbahnhof: Was wir brauchen, kann man nicht erklären. Da müsst ihr mal zwölf Stunden mitgehen.
Haben Sie das getan?
Ja, natürlich – wobei ich nur gehe, wenn ich eingeladen werde, weil die Offenlegung von Schwächen immer Vertrauenssache ist. In St. Georg hinter dem Hauptbahnhof erfuhr ich, dass dort seit einem halben Jahr etliche afghanische Drogenhändler und -konsumenten leben. Sie könnten eigentlich in die Flüchtlings-Erstaufnahmen, aber dahin gehen sie nicht. Stattdessen schlafen sie auf der Straße, sind völlig heruntergekommen, und die Polizisten sagen: „Diese Leute sind doch nicht 5.000 Kilometer gereist, um hier zu verrecken. Was können wir tun? Mit Sozialarbeitern kommen wir da nicht ran.“ Deswegen entwickeln wir jetzt ein Projekt mit Muttersprachlern: Wenn sie auf Augenhöhe zu den Leuten sagen: „Haben sich eure Eltern euer neues Leben so vorgestellt?“ – dann könnte es helfen.
63, Ethnologe, leitete zunächst die Europa-Abteilung des Berliner Völkerkunde-Museums und seit 1992 das Hamburger Museum für Völkerkunde. Seit Februar leitet er das neu geschaffene Institut für Transkulturelle Kompetenz der Hamburger Polizei-Akademie.
Gibt es weitere Probleme?
Im selben Stadtteil betrinken sich seit einigen Monaten freitagabends Hunderte Eritreer sinnlos, weil sie nicht mit Alkohol umgehen können. Auch sie rutschen allmählich ab, und man muss sie rechtzeitig von der Straße holen. Da wollen wir jetzt mit eritreischen Vereinen vermitteln. Hinzu kommt, dass die meisten Eritreer Analphabeten sind und die Deutschkurse gar nicht nutzen können – von der im Jobcenter geforderten E-Mail ganz zu schweigen. Es muss also erstmal eine Alphabetisierung in ihrer eigenen Sprache geben.
Gehen Sie auch in die Flüchtlingsunterkünfte?
Ja. Wir haben vor acht Wochen ein Pilotprojekt in einer Erstaufnahme in Rahlstedt gestartet, das wir später auf ganz Hamburg ausdehnen wollen. Da gehen wir mit bürgernahen Beamten und dolmetschenden Muttersprachlern – immer ein Mann und eine Frau – hinein. Wir erklären, wie unsere Polizei funktioniert und diskutieren mit den Bewohnern.
Welche Fragen kommen da?
Viele haben das Gefühl, dass wir das große Geschäft mit ihnen machen. Daraus entsteht eine Anspruchshaltung. Und jetzt sagen unsere Muttersprachler zu ihnen: „Leute, ihr kostet pro Nase pro Tag mehrere Tausend Euro.“
Wie reagieren sie?
Dann sagen sie: „Warum zahlen die Deutschen das?“ Wenn ein Muttersprachler, ein Mensch aus der eigenen Kultur sagt: „Habt ihr mal überlegt, dass die Deutschen das aus Menschenfreundlichkeit tun?“ – dann entsteht eine Nachdenklichkeit. Der Leiter der Erstaufnahme hat uns gesagt, er hätte nach unserer Veranstaltung eine selten ruhige Nacht erlebt, weil die Bewohner so intensiv diskutiert hätten.
Und wie erklären Sie die Arbeit der hiesigen Polizei?
Wir erklären, dass wir – seit dem Allgemeinen Landfrieden von 1492 – alle Gewalt an den Staat abgegeben haben und darauf verzichten, uns selbst zu rächen. Im Gegenzug erwarten wir, dass mit diesem Vertrauen gut umgegangen wird, weswegen unsere Polizei besonders tolerant zu sein hat.
Wie kommt das an?
In vielen Ländern streckt die Polizei erst die Hand aus, dann kommt der Knüppel. Dass unsere Polizei erstmal redet, sind sie nicht gewohnt. Damit können viele nicht umgehen, das sehen sie als Schwäche.
Wen erreichen Sie mit den Gesprächen in den Unterkünften?
Es dürfen bis zu 50 Leute kommen, und die kommen auch.
Nur Männer?
Sogar mehr Frauen, die werden vorgeschickt. Inzwischen kommen auch Männer.
Diskutieren Sie auch über Gleichberechtigung?
Ja, und das ist sehr berührend. Flüchtlinge sagen zum Beispiel: „Ihr redet immer von Gleichberechtigung – was heißt das für uns?“ Die Männer sagen: „Wir haben bis jetzt versucht, unsere Familie zu schützen und zu ernähren: Dürfen wir das jetzt nicht mehr?“ Die Frauen sagen: „Was müssen wir denn jetzt tun?“ Diese Fragen bewegen sie, und bisher hat ihnen keiner geantwortet.
Was raten Sie andererseits Polizisten für den Umgang etwa mit Muslimen?
Wenn in einer türkischen oder kurdischen Familie zum Beispiel ein Mädchen entführt wurde, sage ich: Seht erstmal nach, ob der Pass des Mädchens da ist oder ob sie ihn mitgenommen hat. Dann fragt vorsichtig die Frauen. Wenn es eine geplante Entführung ist – weil das Mädchen jemand anderen heiraten will als vorgesehen –, wissen die Mütter das meist. Das werden sie vor dem Vater aber nicht sagen. Andere Muslime wiederum sagen den Polizisten: „In dieses Zimmer dürft ihr nicht, das ist nur für Frauen.“ In Wirklichkeit haben sie da ihre Drogen versteckt. Wie gehen Polizisten damit um? Oder wenn sie als Rassisten beschimpft werden?
Was raten Sie?
Patentrezepte haben wir nicht, es kommt auf den Einzelfall an. In jedem Fall können wir aber Grundlegendes über die islamische Welt vermitteln.
Zum Beispiel?
Die islamische Welt hat ein ausgeprägtes historisches Gedächtnis für Greueltaten des Westens. Kaum ein Europäer erinnert sich noch an den US-Folterskandal im irakischen Abu Ghraib von 2004. Die islamische Welt aber hat jede Enttäuschung gespeichert, von Laurence von Arabien bis zu Afghanistan vor 30 Jahren. Das ist noch ganz frisch.
Man trägt in die Ewigkeit nach?
Ja.
Das ist problematisch.
Die Wertung ist eine andere Sache. Erstmal geht es darum, diese Haltung zu begreifen und mit ihr zu rechnen. Die hat übrigens nichts mit islamischem Glauben zu tun, sondern mit dieser kulturellen Region.
Und wie gehen Polizisten ganz konkret mit großen Flüchtlingsgruppen um, wenn sie sich bedroht fühlen?
Auch da muss man differenzieren. Wenn Sie – etwa in einer Unterkunft – mit einem Eritreer sprechen, kommen gleich 20. Die Polizisten fühlen sich erstmal bedroht. Dabei sind die Eritreer nur neugierig.
Aber wurden am Hamburger Jungfernstieg nicht wirklich Polizisten von Großgruppen bedroht, als sie einen Dealer festnehmen wollten?
Wir arbeiten da an einer Lösung. Sie müssen die Situation analysieren. Sie müssen gucken, wo hat die Polizei falsch reagiert, wie hat das Gegenüber reagiert? Wie kann man entweder diese Menschen einbeziehen, wenn es wiederkehrende Konstellationen sind, oder andere Konstellationen schaffen?
Sie klingen so begeistert. War Ihre jahrzehntelange Museumslaufbahn ein Irrtum?
Nein. Das war sehr schön, und ich habe getan, was ich immer gern tat: mit Migranten zusammenarbeiten, den Objekten eine Stimme zu geben, das Völkerkundemuseum zu einem Begegnungsort zu machen. Aber diese Kunstform ist jetzt ausgereizt. Und da die Polizei, für die ich seit 20 Jahren interkulturelle Kurse anbiete, so darum gekämpft hat, dass ich das hauptberuflich tue, konnte ich nicht widerstehen.
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