Inselbürgermeister über Isolation: „Die Insulaner sind sehr besorgt“
Die Gesundheitsversorgung auf Borkum ist dürftig. Jetzt hat die Insel einen Coronafall und riegelt sich ab.
taz: Herr Akkermann, die knapp über 5.000 Borkumer*innen sind jetzt wohl zum ersten Mal in ihrer Geschichte als Einwohner*innen eines Kur- und Urlaubsorts alleine, oder?
Jürgen Akkermann: Es ist auf jeden Fall das erste Mal in diesem Jahrhundert, dass keine Gäste oder Auswärtige auf Borkum sind. Lediglich Handwerker sind noch da. Aber durch die Verschärfung der Kontaktverbote im öffentlichen Raum ist das Risiko, sich bei denen anzustecken, sehr gering.
Wie haben die Borkumer*innen reagiert?
Es beunruhigt die Gemüter. Einige sind froh, dass sie wenigstens ihre Ferienwohnungen oder Hotels renovieren können. Wir haben natürlich auch notwendige Arbeiten, die von Externen gemacht werden: Um systemrelevante Infrastruktur wie Klärwerke, Gas und Wasser und Telekommunikation kümmern sich Handwerker, die immer auf die Insel müssen.
Wie wurde den Gästen mitgeteilt, dass sie weg müssen?
Wir haben vorab Informationen durch das Ordnungsamt an alle Autos mit fremdem Kennzeichen gehängt und darum gebeten, rechtzeitig die Fähre zu buchen. Polizei und Feuerwehr haben mit Lautsprecherdurchsagen informiert. Wir waren uns nicht sicher, ob alle Gäste die Allgemeinverfügung kennen, die vom zuständigen Landkreis Leer kam. Das richtete sich auch ausdrücklich an alle Zweitwohnungsbesitzer, die noch auf Borkum waren.
53, parteilos, ist seit November 2019 Bürgermeister auf Borkum. Zuvor arbeitete Akkermann als Leitender Angestellter bei der DB Netz AG.
Warum mussten die auch gehen?
Wegen der fehlenden Intensivbetreuung auf der Insel. Wir mussten schauen, dass wir so wenig Menschen wie möglich auf Borkum haben, also wirklich nur die, die hier leben. Es macht einen Unterschied, ob hier 5.500 Menschen sind oder doppelt so viele. Wir mussten auch schnell Kliniken schließen, weil sich dort oft viele Patienten mit teils schweren Lungenerkrankungen aufhalten, die aufgrund unseres guten Hochseeklimas zu uns geschickt werden.
Die gesundheitliche Versorgung auf der Insel ist dürftig: Fachärzte gibt es nicht, nur ein kleines Krankenhaus, aber keine Intensivbetten oder Atemgeräte, die über mehrere Tage genutzt werden können. Jetzt gibt es einen bestätigten Coronafall. Wie wird er behandelt?
Die Person befindet sich mit normalem Krankheitsverlauf in häuslicher Quarantäne. Er hat schnell gehandelt, einen Besuch vom Hausarzt angefordert und ist nicht in die Praxis gegangen. Seine Familie ist sofort freiwillig in Quarantäne gegangen, alle Kontaktpersonen konnten durch das Gesundheitsamt ermittelt werden. Deshalb können wir nicht sagen, dass sich die Infektionsgefahr auf Borkum nennenswert gesteigert hätte.
Wie können Sie sicher sein?
Weil alle Kontaktpersonen ermittelt und in häusliche Quarantäne geschickt wurden, und weil viele wichtige Maßnahmen schon vorletzte Woche Sonntag getroffen wurden: Die Kontaktsperre im öffentlichen Raum, die Beschränkung von Menschen in geschlossenen Räumen.
Wie werden schwer Erkrankte evakuiert?
Es ist möglich, Personen mit dem Hubschrauber aufs Festland zu bringen, ohne diesen für Stunden einsatzunfähig zu machen, weil er danach verseucht ist: Mit einer Transporthülle im Hubschrauber. Je nach Wetterlage ist die Person in 20 bis 30 Minuten auf dem Festland. Ansonsten haben wir noch den Seenotrettungskreuzer Alfried Krupp.
Kann man aus den leerstehenden Kliniken jetzt Isolierkliniken machen?
Zum Teil. Es geht dabei aber nur um leichte Krankheitsverläufe, wenn man beispielsweise mit einer Person zusammenlebt, die in der Risikogruppe ist. Die Isolierklinik ersetzt nicht die lebenswichtigen Atemgeräte oder Intensivbetten, die bei schweren Verläufen gebraucht werden.
In einer Stellungnahme haben Sie Insulaner*innen dafür gerügt, dass sie Gäste angepöbelt haben, sie sollten die Insel verlassen.
Vereinzelt sollen Einheimische Stimmung gegen Gäste gemacht haben. Vom ambulanten Pflegedienst wurde mir berichtet, dass Mitarbeiter angepöbelt wurden, was sie hier denn noch machen würden. Das geht gar nicht. Man muss dazu sagen, dass es wenige schwarze Schafe waren, die gepöbelt haben.
Liegen die Nerven blank bei den Borkumer*innen?
Die Insulaner sind über die Gesundheitsvorsorge sehr besorgt. Es gibt aber auch massive wirtschaftliche Existenzsängste von kleinen selbstständigen Unternehmen, die vom Tourismus leben.
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