Innerjüdische Debatte in Hamburg: Liberale fordern mehr Respekt
Ist das Liberale Judentum in Gefahr – da wo es entstand? Israelitischer Tempelverein Hamburg fordert erneut mehr Anerkennung und bessere Behandlung.
Nicht um Konkurrenz gehe es, nicht um eine „Neiddebatte“ – sondern um Lösungen, versicherte am Freitag Eike Steinig, der Zweite Vorsitzende des ITV in Hamburg. Die konstruktive Klarstellung vor der Presse war bemerkenswert, denn in der Einladung hatte der Tempelverband das Liberale Judentum als „in Gefahr!“ bezeichnet, so richtig mit Ausrufezeichen. Schuld daran ist demnach Hamburgs „einseitige Förderung der Jüdischen Gemeinde“.
Das spielt darauf an, dass die größere Jüdische (Einheits-)Gemeinde von der Stadt – aber auch dem Bund – unterstützt wird beim Wiederaufbau ihrer 1939 abgerissenen Synagoge. Der deutlich kleinere ITV hat wiederholt beklagt, dass jenes breite Bekenntnis zu einem lebendigen, sichtbaren Judentum, das in dem Wiederaufbau zum Ausdruck kommt, ihn und seine derzeit 340 Mitglieder ausblende. Seit die Hamburger Synagogen-Idee im Herbst 2019 aufkam, sind die Liberalen Jüdinnen und Juden außen vor geblieben.
Dass aber auch sie eine dauerhafte Heimat bräuchten, diese Forderung wiederholten Steinig und die Erste Vorsitzende Galina Jarkova nun. Im “Jüdischen Kulturhaus“, wo der Pressetermin stattfand, sei man nur einer von mehreren Nutzern; ironischerweise teilt man dieses Schicksal mit der „Reformsynagoge“ der ganz überwiegend – und lange ausschließlich – als orthodox sich verstehenden Jüdischen Gemeinde.
Zwei Vorschläge zur Güte
Die beiden ITV-Vorsitzenden machten auch gleich zwei zumindest historisch plausible Vorschläge: So hatte die die Stadt Hamburg Ende 2020 das Grundstück gekauft, auf dem ab 1844 der zweite Tempel des Liberalen Judentums stand, um die unter Denkmalschutz stehenden Reste baulich zu erhalten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen; unklar ist, wie viel Raum der ebenfalls vorgesehene Wohnungsbau dafür lassen wird.
Jarkova verwies zudem auf das „Rolf-Liebermann-Studio“ des NDR im Stadtteil Harvestehude: Das schmucke, Bauhaus-inspirierte Gebäude war von 1931 bis 1938 der dritte Tempel des einstigen „Neuen Israelitischen Tempel-Vereins“, in dessen Nachfolge sich der ITV sieht.
Dass der öffentlich-rechtliche Rundfunksender die 1953 von der Jewish Trust Corporation erworbene Immobilie einfach so heraus gibt, ist, gelinde gesagt, unwahrscheinlich. Vielleicht ließe sich aber aus dem vorangegangenen zwangsweisen Verkauf an die Stadt im Jahr 1941 doch ein moralisches Argument ableiten.
Ungleichbehandlung beklagt der ITV auch über konkrete Raumfragen hinaus: Mit Jarkova und Steinig traten die Historikerin Ursula Büttner und die Berliner Rechtsanwältin Constanze Krüger vor die Presse. Krüger berichtete knapp vom juristischen Weg, auf dem die Liberale Jüdische Gemeinde, derzeit ein eingetragener und gemeinnütziger Verein, zur Körperschaft öffentlichen Rechts werden möchte. Das wäre eine Erleichterung und Besserstellung.
Staatsvertrag nicht für jeden
Die größere Jüdische Gemeinde erlangte den Status im Jahr 2007: Da schloss der Hamburger Senat einen Staatsvertrag mit ihr – nicht aber mit dem drei Jahre zuvor gegründeten ITV.
Es geht also um eine grundsätzlichere Anerkennung, eine Gleichbehandlung liberaler und anderer Jüdinnen und Juden. „Das liberale Judentum geht von Hamburg aus“, das betonten die Redner*innen nun mehrfach, und wie Hamburg damit umgehe, das werde gerade in der englischsprachigen Welt zur Kenntnis genommen.
Denn Spuren des Hamburger Tempelvereins von 1817 und seiner damaligen Neuerungen – unter anderem Orgelmusik im Gottesdienst und die Gleichberechtigung für Frauen – finden sich heute insbesondere in Nordamerika. Hierin könnte das vielleicht beste Argument des ITV bestehen: Wenn eines zieht in der Handels- und Tourismusstadt an der Elbe, dann ist es ja ihr Renommee in der großen weiten Welt.
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