Inklusion im Kulturbetrieb: Theater nicht für alle
Menschen mit Behinderung haben nicht nur das Recht auf Teilhabe in der Arbeitswelt, sondern auch in der Kultur. Das hat Deutschland unterzeichnet.
Ambitioniert ist diese Selbstverpflichtung, weil Kulturleben den Alltag, ja die Freizeit, aller meint. Und weil dieses offizielle Ja zur Inklusion, wenn man es ernst nimmt, tief in die unantastbare Sphäre der Kunst eindringt.
An der Oberfläche ist die Sache noch einigermaßen klar. Aber selbst da ist noch viel zu tun: Barrierefreie Zugänge zum Theater sind so ein Beispiel. Heutzutage findet sich in der Regel irgendwo eine Rampe, über die Rollstuhlfahrer*innen ins Foyer kommen. Meist gibt es im Parkett dann auch einen Stellplatz neben den Sitzreihen, der einen halbwegs freien Blick auf die Bühne gewährt.
Möglicherweise war auch die Theaterkasse bereit und sogar technisch in der Lage, eine Begleitperson daneben zu platzieren und ihr Rabatt einzuräumen. Und wenn es in der Pause dann auch noch einen Weg an die Bar gibt, hatten die Rollstuhlfahrer*innen großes Glück und würden dort im allerbesten Fall auch noch auf Blinde, Gehörlose und allerlei andere gleichberechtigt Teilnehmende treffen, deren Barrieren ebenfalls abgeschafft oder wenigsten ausreichend abgemildert wurden. Klar klappt das eher im großen Stadttheater als in den charmanten Kellerchen der Off-Szene – aber immerhin.
Das Wie ist entscheidend
Schwieriger wird es beim Geschehen auf der Bühne, bei den Inhalten und der Besetzung. Denn auch das ist ja Teilhabe: Produktionen anzubieten, die nicht nur Themen des wohlsituierten, weißen und gesunden Bildungsbürgertums wiederkäuen, sondern eben auch solche aus der gesamten Breite der Gesellschaft. Mit Künstler*innen, die ebenfalls nicht durch Beeinträchtigungen daran gehindert wurden. Auch das Wie ist hier entscheidend, denn manchmal verstärkt ein gut gemeinter Versuch noch die Stigmatisierung.
Es muss also darum gehen, die Ausgrenzung zu beenden und in der Kunst eine gleichberechtigte Gesellschaft zu repräsentieren, die es außerhalb noch gar nicht gibt. Das klingt nach einer paradoxen Utopie, ist aber schlichtweg Pflicht.
Die Frage ist nur, wie man ihr gerecht werden kann. Mit Verordnungen von oben geht es schon mal nicht: wegen der Freiheit der Kunst einerseits, und weil es auch in der Kultur ganz handfest auch ums Geld geht. Man denkt beim Kulturkonsum nicht gern drüber nach, aber Kunst wird in der überwältigenden Mehrheit in sämtlichen Sparten von einem unübersichtlichen Haufen unterfinanzierter Überzeugungstäter*innen gemacht, die sich mit hartem Ellenbogeneinsatz um sehr begrenzte Fördertöpfe drängen.
Hemmungen gibt es fraglos auch im Publikum: sich neben den Problemen, mit denen sich Theater sowieso befasst, auch noch mit denen von Menschen mit Beeinträchtigungen herumzuschlagen, klingt im ersten Moment wenig einladend. Und selbst bei den schlichten Rahmenbedingungen hält sich die Begeisterung in Grenzen, wenn etwa denkmalgeschützte Theater oder von Besetzer*innengenerationen eingelebte Kiezkneipen umgebaut werden müssen.
Doch auch wenn das Ziel in weiter Ferne liegt, gibt es doch Ansätze. Insbesondere in der freien Szene haben sich inklusive Kollektive gegründet und sich über die Jahre nicht nur künstlerisch ausdifferenziert, sondern auch am Mark etabliert: Blaumeier in Bremen, die Hamburger Schlumper oder überregional das Theater Ramba Zamba aus Berlin. Kompanien wie diese gewinnen inzwischen unzählige Preise, werden regelmäßig zu Gastspielen geladen und kriegen dort wie zu Hause die Häuser voll.
Beeinträchtigungen rücken aus dem Fokus
Das sind Nischenproduktionen, klar. Aber sie zeigen heute schon, was in der UN-Behindertenrechtskonvention als Ziel gesetzt ist. Dass es nicht allein darum geht, „Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit zu geben, ihr kreatives, künstlerisches und intellektuelles Potenzial zu entfalten“, sondern dass darin eine „Bereicherung der Gesellschaft“ liegt.
Bei jedem einzelnen Besuch erlebt das wachsende Publikum hier, wie die Beeinträchtigungen einzelner Akteur*innen aus dem Fokus rücken – wie Ästhetik Normierungen aushebelt und wie vermeintliche Hauptsachen plötzlich keine Rolle mehr spielen. Für den Moment jedenfalls – und mit der Zeit darüber hinaus.
Natürlich löst eine inklusive Kultur die Notwendigkeit nicht ab, Kinder mit Beeinträchtigungen etwa am normalen Schulbetrieb teilhaben zu lassen. Wer aber Inklusion sagt und allein wirtschaftliche Sphäre meint, der überschätzt die integrative Kraft des Kapitals. Schon Henry Ford hatte den Invaliden Platz am Fließband gemacht (mit einigem Zynismus übrigens, weil es nicht zuletzt die von den eigenen Maschinen verletzten waren, die dort weiter für ihren kärglichen Lebensunterhalt schuften sollten).
Geld, zumal eigenhändig verdientes, ist die Grundvoraussetzung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Aber wie dieses Leben dann aussieht, was schön daran ist, was man haben, wen man lieben will und woraus sich auch das eigene Selbstwertgefühl speist – das bestimmt die Kultur als das eigentliche ideologieproduzierende Gewerbe.
Inklusive Kultur tritt also für beides an: für die unmittelbare Teilhabe aller Menschen an der Kunst – und in der Folge für die Arbeit an einem Gesellschaftsbild, das nicht allein die eingeschliffenen Normvorstellungen reproduziert.
Für Politik und Kulturbetrieb bedeutet das die Pflicht, äußere Barrieren abzubauen, und dazu zu ermutigen, auch die inneren in Angriff zu nehmen. Und für das Publikum geht es nicht um Feelgood oder die Frage, welcher Kulturkonsum den größten moralischen Mehrwert im Gepäck hat, sondern darum, sich mit den eigenen Vorurteilen und alten Gewissheiten auseinanderzusetzen. Oder einfacher: Es geht um Kunst.
Mehr darüber wie Menschen mit Behinderung in den Kulturbetrieb integriert werden und auf welche Schwierigkeiten sie treffen, lesen Sie im aktuellen Wochenendschwerpunkt der taz.nord oder am E-Kiosk.
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