Initiative für autofreie Hamburger City: Nahverkehr statt Stau und Abgase
Die Bürger:innen-Initiative „Klimawende Jetzt“ will per Volksentscheid erreichen, dass Privatautos aus der Hamburger Innenstadt verbannt werden.
Die Bürger:inneninitiative „Klimawende Jetzt – Autos raus aus der Hamburger Innenstadt“ sieht in den hohen Emissionswerten und immer mehr Pkw ein großes Problem, das der Senat nicht ausreichend bearbeite. Daher fordern die Vertrauensleute der Initiative, Bernd Kroll, Joachim Lau und Jochen-Carl Müller, die Sperrung der Altstadt und der Neustadt für Privat-Pkw als ersten Schritt zur Lösung. Ausnahmen sollen nur in wenigen Fällen genehmigt werden. Lieferverkehr, Ver- und Entsorger sowie Busse dürften aber weiterhin den Bereich innerhalb des Wallrings befahren.
Bereits 2020 wollte die Initiative die erforderlichen 10.000 Unterschriften für eine Volksinitiative sammeln, um das Thema auf die Tagesordnung der Bürgerschaft zu setzen. Anschließend, so der Plan der Initiatoren, hätten weitere 60.000 Unterschriften für einen Volksentscheid über die autofreie Innenstadt gesammelt werden sollen. Doch die Coronapandemie machte der Initiative einen Strich durch die Rechnung, das Thema ruhte – bis jetzt.
„Wir wollen das Verkehrsvolumen auf null setzen, was durch den hervorragenden ÖPNV ersetzt werden kann“, erklärt Bernd Kroll im taz-Gespräch. „Der Verkehr, der heute jeden Tag über die Sierichstraße, den Mittelweg, die Rothenbaumchaussee und so weiter in die Innenstadt reindüst, um dann acht, neun Stunden das Auto stehen zu lassen, dieser Bereich ist bis auf wenige Ausnahmen nicht notwendig.“
Vor allem in den Hamburger Randgebieten hapert es aber noch an der langfristigen Etablierung von Angeboten, die als Bedingung für eine sozial gerechte Klimawende auch mobilitätseingeschränkten Personen Teilhabe ermöglichen.
Autoarm aufgewertet
Mit dem Hamburger Jungfernstieg ist als Pilotprojekt eine der prominentesten Straßen der Stadt seit Oktober 2020 für private Pkw gesperrt. Auf die Sperrung folgten bepflanzte Kübel, eine langfristige Umgestaltung mit Radfahrer:innen und Fußgänger:innen im Fokus ist für 2023 anberaumt. Für Bernd Kroll ist diese Maßnahme allerdings eher „Fassadenanstrich“ als echte Veränderung. „Das ist nicht konsequent umgesetzt, in den Straßen umher ist genau so viel Verkehr wie früher.“
Die Verkehrsbehörde des Grünen-Senators Anjes Tjarks sieht das etwas anders: „Die verkehrsberuhigte Gestaltung hat die Aufenthaltsqualität und die Verkehrssicherheit erhöht und bietet dem Fuß- und Radverkehr deutlich mehr Komfort und Platz. Auch trägt die Ausquartierung des MIV (motorisierter Individualverkehr, Anm. d. Red.) zur CO2-Reduzierung und zum Klimaschutz bei. Die Sperrung des Jungfernstiegs war mit diversen Bürgerbeteiligungen verbunden“, so ein Behördensprecher gegenüber der taz.
Für „Klimawende Jetzt“, die im engen Austausch mit der Hamburger Fridays-for-Future-Gruppe steht, geht es jedoch weniger um Aufenthaltsqualität und Verkehrssicherheit als um Klimaschutz durch Reduktion von Treibhausgasemissionen. „Unser Ziel besteht darin, die Klimaziele zu erreichen, und eine autofreie Innenstadt wäre ein deutliches Signal und ein guter Einstieg auf dem Weg dorthin“, so Bernd Kroll,
Die Gewerbetreibenden stehen der Idee einer autoarmen Innenstadt zur Aufwertung grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber, daraus dürfe aber „kein Dogma werden“, so die Handelskammer Hamburg. „Entscheidend ist, dass Mobilität ermöglicht wird und dass es Ausnahmen für Lieferverkehre, Handwerksbetriebe und Ähnliches gibt.“ Gerade die Erreichbarkeit der Innenstadt für Kundschaft und Mitarbeitende aus den Randbezirken und dem Umland sei für Gewerbetreibende wichtig, daher fordert die Handelskammer ein „umfassendes Verkehrskonzept“, um die „Hamburger Innenstadt zukunftsfähig aufzustellen“.
Breite Zustimmung
In anderen Stadtteilen ist der Funke von Bürger:inneninitiativen zur Politik bereits übergesprungen. Ein Beispiel ist der „Freiraum Ottensen“, der als Verkehrsversuch gestartet war und nun in der autoarmen Umgestaltung des Quartiers bis 2024 mündet. Auch die Initiative „Superbüttel“ im Stadtteil Eimsbüttel erhält Zuspruch. Ob und wann die Konzepte der Bürger:innen im Quartier umgesetzt werden, ist aber noch offen.
Dabei finden autofreie, autoarme oder verkehrsberuhigte Zonen in Hamburg eine außergewöhnlich breite Zustimmung in der Gesellschaft. Eine Umfrage im Auftrag des NDR ergab eine grundsätzliche Billigung von 67 Prozent der Hamburger:innen – bundesweit stimmen dagegen nur knapp die Hälfte dem Konzept zu.
Das wandelfreudige Klima der Bürger:innen hat 2020 auch die Initiative „Klimawende Jetzt“ – Autos raus aus der Hamburger Innenstadt“ erfahren. Der große Zuspruch soll nun zu Papier gebracht werden. Im neuen Jahr will die Initiative durchstarten, dann könnte ein möglicher Volksentscheid zum Wahljahr 2025 gemeinsam mit der Bundestagswahl oder der Bürgerschaftswahl stattfinden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“