Inge Borg über das Impfen: „Ein supersinnvoller Job“
Die Moderatorin des „Kiezbingos“ arbeitet derzeit als Helferin im Impfzentrum. Inge Borg betreut die alten Menschen, die sich dort impfen lassen.
taz: Frau Borg, Sie sind bekannt als Moderatorin des legendären Kiezbingos im SO36 und anderer Veranstaltungen der queeren Szene. Wie kamen Sie zu Ihrem Job im Impfzentrum in der Treptow Arena?
Inge Borg: Über einen Freund, der dort schon Anfang Dezember zu arbeiten begonnen hat. Ein Sänger in einem Opernchor, der sich dort beworben hatte und superglücklich darüber war, nicht mehr zu Hause herumsitzen zu müssen und nicht zu wissen, wann der nächste Auftritt ist.
Inge Borg, 49, ist seit fast 15 Jahren Kiezbingo-Moderatorin und arbeitet seit dem 7. Januar im Impfzentrum in der Treptow Arena, das das DRK betreibt.
Wie bei Ihnen!?
Genau wie bei mir. Und er meinte, du, bewirb dich da einfach, die suchen händeringend Leute. Ich hab mich beworben, und zwei Tage später kam ein Anruf. Das ging praktisch ohne Vorstellungsgespräch. Ich bekam eine E-Mail, in der alles erklärt wurde, ich musste einen kleinen Onlinekurs mitmachen, der zwei Stunden gedauert hat, man musste sich Videos ansehen, die man nicht vorspulen konnte – und am Ende einen Fragenkatalog beantworten. Und dann konnte ich anfangen zu arbeiten.
Das klingt einerseits so, als ob die Arbeit total leicht wäre. Andererseits stelle ich mir Ihren Job total schwer vor. Was müssen Sie denn alles machen?
In Berlin haben nach Zahlen des Robert Koch-Instituts inzwischen über 80.000 Menschen die erste Impfdosis gegen das Coronavirus erhalten. In Brandenburg sind es über 65.000. Das entspricht 2,2 und 2,6 Prozent der Bevölkerung. Brandenburg hat damit die vierthöchste, Berlin die sechsthöchste Quote unter den 16 Bundesländern. Führend sind Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern.
Brandenburg musste bei der Zahl der Neuansteckungen einen Rückschlag hinnehmen: Laut Gesundheitsministerium steckten sich am Mittwoch fast doppelt so viele Menschen mit dem Virus an wie am Vortag – 675 gegenüber 352 am Dienstag. (sta)
Es ist kein einfacher Job, sagen wir mal so, aber es ist ein supersinnvoller Job. Das heißt, dass man umso bemühter ist, den auch richtig gut zu machen! Ich bin zum Beispiel für die Anmeldung zuständig. Die älteren Leute kommen zu mir, sitzen vor der Kabine, zeigen mit ihre Unterlagen, die sie zugeschickt bekommen haben, ich kontrolliere, ob der Termin im Computer vorgemerkt ist, stelle die Unterlagen noch ein bisschen besser zusammen, fülle noch ein, zwei Sachen aus und schicke die dann weiter. Das ist einer meiner Jobs.
Und die zweite Aufgabe?
Ich stehe in den Gängen. Es handelt sich ja um eine riesengroße Halle, es gibt viel Wege, und man steht an strategisch günstigen Punkten und leitet die Leute weiter, man sagt einfach „bitte hier lang“ und „da entlang“. Und der dritte Job, den ich da mache, ist, in der Impfhalle die Patienten zu empfangen. Die kommen durch den Videoraum, wo sie noch mal einen kleinen Aufklärungsfilm sehen. Ich bringe die Leute in die Impfkabine, und während sie von einem Arzt die Impfung bekommen, dokumentiere ich noch mal alles, was da an Papieren dabei ist mit einem Tablet, damit auch klar ist, welche Person an welchem Tag womit geimpft wurde. In der Arena wird der Impfstoff von Biontech verabreicht.
Haben Sie den Eindruck, dass das Prozedere im Impfzentrum in der Arena gut funktioniert?
Das funktioniert schon alles. Natürlich ist es sehr bürokratisch. Deutschland liebt seine Bürokratie einfach über alles. Das Ding aber ist ja: Es ist etwas ganz Neues. So eine Impfung gab es vorher nicht. Schon gar nicht in diesem Ausmaß. Ich kann nicht beurteilen, ob die Abläufe alle sinnvoll sind, aber ich finde das mitunter ein bisschen zu viel an Bürokratie. Aber im Endeffekt geht es ziemlich schnell, es sind hier sehr viele Leute angestellt, damit es reibungslos funktioniert.
Sind Sie in Vollzeit angestellt?
Ich war zuletzt am Sonntag arbeiten und gehe ab Dienstag wieder. Ich habe eine Vollzeitstelle. Das bedeutet eine 40-Stunden-Woche, die man an vier Tagen zu erbringen hat, denn eigentlich ist geplant, dass das Impfzentrum von morgens 9 Uhr bis abends 19 Uhr aufhat. Wir treffen uns schon um 8.30 Uhr zur Teambesprechung, auf der alles eingeteilt wird.
Mit wie vielen Menschen haben Sie Kontakt? Wie läuft es gerade? Es wird doch jeden Tag geimpft?
Genau, jeden Tag, auch am Wochenende. Zurzeit sind wir bei ungefähr 1.700 Menschen pro Tag.
Ach, doch so viele! Anfangs lief es ja eher schleppend mit dem Impfen, weil es an Impfstoff fehlte.
Als ich anfing am 7. Januar, waren es nur rund 800 Impfungen pro Tag, und es wurden seitdem praktisch jeden Tag mehr. Das Impfzentrum ist ja mal gerade einen Monat offen, man hatte am Anfang gar nicht so viel Leute eingestellt. Zuerst war die Bundeswehr da und hat alles mit aufgebaut und sich um alles gekümmert – und zwar um den Job, den ich jetzt mache. Ich hab das praktisch alles von den Bundeswehrsoldaten gelernt. Jetzt gibt es so viele Mitarbeiter, dass es pro Tag mit 1.700 Leuten klappt. Aber eigentlich ist geplant, dass hier täglich bis zu 5.000 Menschen geimpft werden sollen.
5.000 Impfungen pro Tag klingt nach viel.
Eine krasse Zahl, ja, aber das würde auch bedeuten, dass da alles wie am Schnürchen klappt. Platz ist da. Ich bin gespannt.
Weil Sie ja ständig mit gefährdeten Menschen zu tun haben: Sind Sie eigentlich selbst schon geimpft?
Ich habe meine Erstimpfung schon bekommen. Schon am Schulungstag wurde gefragt, ob wir geimpft werden wollen – das ist natürlich freiwillig wie bei allen anderen auch. Und ich habe natürlich Ja gesagt. Und oft ist es abends so, dass noch Impfstoff übrig ist, also schon auf Spritzen gezogener Impfstoff, und wenn Leute entschuldigt oder nicht entschuldigt nicht kommen, gibt es noch eine kleine Menge an Impfstoff, da wird dann durchgefragt durch die Reihen, wer noch möchte. Freitag vorletzter Woche wurde ich gefragt. Ich hatte die nächsten zwei Tage frei, also falls da irgendwas gewesen wäre, hätte ich mich erholen können. War aber nicht, war alles super. Und in einer Woche dann die zweite Impfung.
Glückwunsch, das freut Sie sicher. In Ihrem Alter wären Sie ja normalerweise noch lange nicht dran.
Ja, das ist super. Das ging so schnell und unbürokratisch, auch wenn wir alles ausfüllen mussten, was die anderen auch machen, aber einfach abends fragen, und du kriegst die Impfung – super.
Erfreulich ist doch sicherlich auch der Job an sich, das Kiezbingo zum Beispiel kann ja derzeit nicht stattfinden.
Mein Hauptjob in einem Cafékollektiv im Café Morgenrot – das ist in der Kastanienallee in Prenzlauer Berg – lag vier Monate brach wegen der Schließung. Gerade in den letzten Dezemberwochen hatte ich wenig Hoffnung fürs Café, und ich weiß nicht, ob das Café noch so lange durchhält, denn, sagen wir mal so: Selbst wenn der Lockdown bis Mitte oder Ende Februar geht, heißt das ja noch lange nicht, dass Cafés dann gleich wieder öffnen dürfen. Ich könnte mir vorstellen, dass es April wird oder sogar Anfang Mai. Und immer wieder die Energie aufzubringen, so nach dem Motto „He, wir halten durch!“, dazu hatte ich gar keine Kraft mehr. Ich bin sehr froh, dass mir dieser Job dazwischengekommen ist, weil ich wirklich langsam in so eine schwere Depression hineingerutscht bin.
Da hilft so eine sinnstiftende Arbeit doch sicher sehr, oder?
Total. Nicht nur wegen des Geldes. Vor allem eben deshalb, weil er so sinnvoll ist. Das merkt man schon nach ein, zwei Tagen, wenn man da arbeitet und mit so vielen Menschen in Kontakt kommt, mit den älteren Mitmenschen aus Berlin. Die älteste Dame, mit der ich zu tun hatte, war 103 Jahre alt.
Ein besonderes Erlebnis.
Ja, man glaubt gar nicht, wie viele sehr alte Menschen es in Berlin gibt, und die sind ja alle supercharmant, die wollen das alle haben, die kommen ja freiwillig, das macht total Spaß. Das hat mich ein bisschen in die Zeit zurückversetzt, als ich Zivildienst gemacht habe, weil ich da auch viel mit Menschen, gerade in Pflegebereichen zu tun hatte, das ist eine schöne Erfahrung, dass wieder aufleben zu lassen.
Das klingt herzerwärmend. Können Sie sich vorstellen, diese Arbeit länger zu machen?
Ich würde den Job gerne so lange machen, wie es geht. Ich hab ja keine Ahnung, wie lange das alles dauert, wann Cafés und Clubs wieder öffnen, das Kiezbingo findet ja im SO36 statt … Die Arbeitsverträge, die es jetzt gerade gibt, gehen wohl nur bis Ende April, warum auch immer. Aber wenn man das aufrechnet, wie viele Einwohner Berlin hat und wie langsam gerade geimpft wird, dauert das mindestens bis Endes des Jahres. Ich würde gerne so lange hier arbeiten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken