Inge Auerbacher hält Gedenkrede: „Ein Ort der Finsternis“
Zum 77. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz spricht die 87-jährige Holocaust-Überlebende.
Das ist beileibe keine Selbstverständlichkeit, denn Inge Auerbacher hat das Ghetto Theresienstadt überlebt und ist bald nach der Befreiung in die USA ausgewandert. Sie, Jahrgang 1934, war das letzte jüdische Kind, das in Kippenheim zur Welt kam. An diesem Donnerstag, 77 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz, ist Inge Auerbacher zurück in Deutschland. Sie spricht vor dem Deutschen Bundestag in Berlin anlässlich des Holocaust-Gedenktages.
Auerbacher kann sich noch gut daran erinnern, als im November 1938 die Synagoge des Dorfs von Nazis geschändet worden ist und wie die Scheiben klirrten, als die Wohnung der Familie demoliert wurde. Bald danach verließen sie Kippenheim und zogen zu den Großeltern nahe Göppingen.
Zuerst wurde die Großmutter deportiert. Dann mussten Inge und ihre Eltern in ein Stuttgarter „Judenhaus“ umziehen. Im August 1942 erfolgte ihre eigene Deportation, nach Theresienstadt. Inge hielt ihre geliebte Puppe ‚Marlene‘ fest im Arm, als der Zug nach Osten rollte.
„Brot, Kartoffeln und Suppe“
„Ein Ort der Finsternis“ nennt Auerbach das Ghetto in ihrem Kinderbuch „Ich bin ein Stern“. Darin beschreibt sie das Leben und Sterben in Theresienstadt, den Hunger, die Kälte, die Krankheiten und den Terror aus kindlicher Sicht. „Die wichtigsten Worte in unserem Sprachschatz waren: Brot, Kartoffeln und Suppe“, schreibt sie.
Fast alle ihre Spielkameraden starben oder wurden in eines der Vernichtungslager deportiert. Inge und ihre Eltern erleben am 8. Mai 1945 die Befreiung durch die Rote Armee. Sie kehrten in die Heimat zurück, doch es war niemand mehr da. Dreizehn Familienmitglieder waren ermordet worden. Bald darauf ging es mit einem US-Truppentransporter nach New York, in die neue Heimat. Dort studierte Inge Auerbacher Chemie.
1966 kehrte sie zum ersten Mal wieder „mit sehr gemischten Gefühlen“ zum Besuch nach Kippenheim zurück. Inzwischen war sie häufig dort, hat Freundschaften geschlossen. Inge Auerbacher hält Vorträge über ihre Verfolgung in Schulen, in Deutschland wie in den USA.
Auch nach der großen Rede im Bundestag wird sie wieder nach Kippenheim kommen. Für Anfang Februar ist eine Feier für sie im Dorf angesetzt, berichtet Jürgen Stude vom Förderverein der ehemaligen Synagoge. Schüler werden ein Theaterstück mit Darstellungen aus ihrem Buch aufführen. Stude beschreibt Inge Auerbacher als „fröhliche, lebhafte, sehr zugewandte Frau“, deren Deutsch bis heute einen badisch-schwäbischen Einschlag aufweist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich