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Infrastruktur-ZukunftsgesetzNeues Tempo für Deutschland

Die Merz-Regierung will Bauvorhaben beschleunigen. Nur klappt das? Umweltschützer zweifeln daran – und machen einen Vorschlag.

Das geht in Zukunft zackiger voran: ewiges Projekt, die A20, hier der Bau des Autobahnzubringers zur A20 bei Stralsund Foto: Jens Köhler/imago

Bei der ICE-Trasse Berlin-München hat es 26 Jahre gedauert. An der A 20 wird seit 1992 gebaut. Bauprojekte ziehen sich in Deutschland. Nun sollen zahlreiche Infrastrukturvorhaben das Prädikat „im überragenden öffentlichen Interesse“ erhalten, damit die Bagger schneller rollen können. Das hat das Bundeskabinett am Mittwoch mit dem Infrastruktur-Zukunftsgesetz beschlossen.

CDU-Kanzler Friedrich Merz spricht von einem „Qualitätssprung“. Lässt sich dagegen etwas sagen? Eine Menge. Das machten am Mittwoch Umweltschützer klar. Es beginnt mit einer formalen Kritik.

Denn: Die Verbände bekamen statt der üblichen 14 Tage nur wenige Stunden Zeit, sich zu dem vom Bundesministerium für Verkehr entworfenen Gesetz offiziell zu äußern. Am vergangenen Freitag um 15.31 Uhr ging es bei ihnen per Mail ein – Rückmeldefrist Montag, 10.00 Uhr. Das sei „schlechte Gesetzgebungspraxis“ schreiben der BUND, Nabu und andere zusammen mit ihrem Dachverband Deutscher Naturschutzring, DNR, in ihrer Stellungnahme.

Die ist auch deshalb interessant, weil mit ihr infrage steht, ob sich die Planungen wirklich beschleunigen lassen, wenn der Naturschutz, genauer: das bisherige Instrumentarium dafür, abgebaut wird. Die Kritik im Einzelnen:

Verstoß gegen Grundgesetz?

Punkt 1: Neue Autobahnen, vierspurige Bundesstraßen, Lkw-Abstellplätze – mehr Infrastrukturprojekte als bisher sollen künftig „im überragenden öffentlichen Interesse“ liegen. Umwelt-, Naturschutz- und andere Bedenken müssen dann im Grunde immer zurückstehen. Das überragende öffentliche Interesse kann nur in Ausnahmefällen ausgestochen werden.

Welche das sind, werden am Ende Gerichte entscheiden. Der „überragendes-öffentliches Interesse“-Kniff, monieren die Umweltverbände, entbehre einer „sachlichen Rechtfertigung“ und könne gegen das Willkürverbot gemäß Grundgesetz (Art. 3 Abs. 1, 20 Abs. 3) verstoßen. Klagen? Denkbar.

Punkt 2: Werden Straßen gebaut oder Schienen verlegt, können Laichgewässer von Amphibien, Brutplätze von Vögeln zerstört werden. Die Träger der Infrastrukturvorhaben müssen für ihre Eingriffe in die Natur eine Kompensation schaffen. Einfachste Maßnahmen: Sie pflanzen Bäume oder verwandeln eine Industriebrache in ein Biotop.

Künftig sollen Geldzahlungen reichen. Die gibt es zwar auch heute schon – die Euros gehen dann an Land oder Landkreis –, ist aber nicht die Regel. Die seit 1976 im Bundesnaturschutzgesetz verankerte Eingriffsregelung dürfte, so fürchten die Umweltverbände, „ihre praktische Wirksamkeit verlieren“.

Punkt 3: Die bisherige Eingriffsregelung hat ihre Haken. Die Kompensationsflächen sind schon mal klein oder werden nicht gut gepflegt. Die Koalition will nun bis Ende Februar ein Naturflächenbedarfsgesetz vorlegen, mit dem dann Flächen für den Ausgleich von Baumaßnahmen reserviert werden sollen.

Deutschland nur unzureichend im Naturschutz

Im besten Fall entstünde ein Verbund ökologisch aufgewerteter Flächen. Kümmern soll sich das Bundesumweltministerium – mit dem Geld, das die Bauträger für ihre Eingriffe zahlen. Ob alle Länder einfach so zustimmen, ist fraglich. Die Umweltverbände sorgt allerdings anderes.

Sie erklären: Deutschland müsse schon heute nach EU-Regeln beispielsweise sogenannte Natura-2000-Schutzgebiete sichern und ökologisch verbessern, mache das aber „völlig unzureichend“. Sie fürchten, dass die bisherige Eingriffsregelung geändert wird, ohne eine wirksame neue Regelung zu haben, so als gehe es auch ohne Natur, obwohl sie Luft reinigt, Böden säubert, Wasser filtert, Kohlendioxid bunkert.

Letzter Punkt: Die Umweltverbände warnen vor „erheblicher Planungs- und Rechtsunsicherheit“. Bisher sollen mit Umweltverträglichkeitsprüfungen Gefahren großer Bauvorhaben für Tiere und Pflanzen aufgespürt werden, auch für den Menschen etwa durch Lärm oder weniger Erholung. Das Ziel: die verträglichsten Standorte oder Trassenführungen finden. Diese Prüfungen sollen künftig aber anders gemacht werden können als bisher oder ganz wegfallen. Was das heißt, bleibt aber unklar, für Vollzugsbehörden ist das schwierig.

Wie geht es besser? Es brauche eher eine Reform der Verwaltung als einen „Frontalangriff auf Natur und Umweltschutz“, meint Florian Schöne, der den DNR leitet. Zum Beispiel fehle in den Planungs- und Genehmigungsbehörden Personal, sagt BUND-Geschäftsführerin Verena Graichen. Auch könnten flexible Genehmigungsteams helfen, die bei Engpässen eingesetzt werden. Nabu-Präsident Jörg Andreas Krüger will nun unter anderem mit Abgeordneten im Bundestag reden. Dort wird das Gesetz Anfang des Jahres erstmals beraten.

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