Influencen gegen rechts: Von den Schlechtesten lernen
Der Influencer Marcant geht hin, wo es wehtut, um Jugendliche aus rechtsextremen Kreisen herauszuholen. Damit hat er Erfolg auf Social Media.
Bei einer Demo von Rechtsextremen in Berlin steht der Influencer Marcant neben einem Polizeiwagen und spricht mit einem selbsternannten Rechtsextremisten.
Der Demoteilnehmer ist in dem kurzen 40-Sekunden-Video verpixelt, er soll anonym bleiben, da er noch sehr jung ist und Marcant immer darauf hofft, diese Jugendlichen wieder zurückholen zu können. Der Influencer spricht den Jungen auf den Holocaust an, auf die Millionen Toten. „Es gibt so Schwarz-Weiß-Beweise“, sagt der junge Rechtsextremist, „dass nur 275.000 gestorben sind.“
Marcant gibt ihm daraufhin in ruhigem Ton Nachhilfeunterricht. Das Video endet mit einem verwirrten Demoteilnehmer, der nur noch sagt: „Mann, weiß ich doch nicht.“ Mit solchen Videos erreicht Marcant, der in echt Marc heißt, mehrere hunderttausend Zuschauer. Seinen Nachnamen möchte er nicht in der Zeitung lesen, zu viele Drohungen von Rechten gibt es schon jetzt. Er macht Livestreams auf Twitch, in denen er rechtsextreme Influencer widerlegt, und macht lange Youtube-Videos, in denen er auf rechte Demos geht oder einen Tisch mitten in Dresden aufstellt, um über ein Verbotsverfahren gegen die AfD zu diskutieren.
In nur sechs Monaten ist Marcant damit sehr schnell sehr erfolgreich geworden. Auf Youtube hat er 136.000 Follower, auf Tiktok über 50.000, und viele seiner Videos dort erreichen immer wieder über 300.000 Aufrufe. Er richtet sich spezifisch auch an junge Menschen, die ins rechte Lager abgerutscht sind, und möchte „Denkanstöße da lassen“, damit sich Nutzer und Gesprächspartner „überdenken“, sagt er in einem Gespräch mit der taz.
Aus dem Sumpf rauskommen
Dass er damit Erfolg hat, zeigt das Beispiel zu Beginn dieses Textes. Wenige Wochen nachdem das Video veröffentlicht wurde, habe sich der Demoteilnehmer bei Marc gemeldet. Seine Freunde und die Schulleitung haben von dem Video erfahren und der junge Mann wurde zur Schulpsychologin geschickt. Laut Marc habe das dazu geführt, „dass er es gecheckt hat. Er ist tatsächlich da aus dem Sumpf rausgekommen und hat sich dann bei mir bedankt.“
Das sei, was den Influencer motiviere. Wenn er rechte Jugendliche dazu bringen könne, zu zweifeln. Um diese Menschen zu erreichen, hat Marcant seine rechten Gegenspieler auf Social Media analysiert. Über einen bekannten rechtsextremen Influencer sagt Marc der taz: „Der hat mich inspiriert, weil der extrem gut ist. Nicht in seinem Inhalt, sondern in seiner Machart: seine Cuts, seine Kameraführung, der Aufbau, Titel.“ Das müsse auch von progressiver, demokratischer Seite funktionieren, dachte sich Marc und stellt seitdem rechter, sehr gut produzierter Hetze eine linke, sehr gut produzierte Sichtweise gegenüber. Paula Nitschke forscht seit einigen Jahren an der Universität Augsburg zu politischen Influencern und erkennt in den Videos von Marcant, „dass er sich ganz gut mit den Plattformlogiken auskennt“. In seiner Strategie sieht sie „ein Einstehen für demokratische Grundwerte“. Und das ist auch bitter nötig, sagt die Forscherin, denn die „Demokratie im Netz steht unter Druck“.
Auf rechter Seite gibt es täglich neue Accounts, die rechte Ideologie, Hass und Hetze verbreiten, „auf linker Seite ist das wirklich ein Witz dagegen“, sagt Marc. Er und Paula Nitschke sehen deshalb die Notwendigkeit von mehr demokratiefördernden Inhalten im Internet. Nitschke nimmt dabei die etablierten Medien in die Verantwortung, aber ebenso demokratische Influencer müssten mehr Raum einnehmen.
Auch dazu hat sich Marcant Gedanken gemacht und nutzt eine Strategie, die Frauenhasser Andrew Tate berühmt gemacht hat: Er erlaubt seinen Zuschauern, seine gesamten Inhalte von Youtube und Twitch auf Plattformen wie Tiktok oder Instagram eigenständig weiterzuverbreiten. Sie machen also eigene Accounts, posten Videos von Marcant und nehmen damit den Rechten den digitalen Raum weg. Allein diese Videos hatten „in den letzten vier Monaten 25 Millionen Aufrufe auf Tiktok“.
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