Industrie in Oberschöne­weide: Fachkräfte dringend gesucht

Im Oberschöneweide gab es zu DDR-Zeiten große Betriebe. Übrig blieben einige kleine Betriebsteile, die sich selbst privatisierten. Ein Rundgang.

Der Künstler Ralf Schmerberg reinigt mit einem Trockeneis-Reiniger in einer ehemaligen Industriehalle der AEG in Oberschöneweide einen Stahlträger. Unter dem Namen „Mahalla“ soll in der Halle 10 ein Ort für Kultur entstehen

Oberschöneweide: Künstler Ralf Schmerberg macht aus einer alten Industriehalle einen Ort für Kultur Foto: dpa/Jörg Carstensen

Bis zur Wende standen in Oberschöneweide die größten Berliner Betriebe. Übrig blieben nach ihrer Stilllegung (unter anderem über Scheinprivatisierungen) durch die Treuhandanstalt einige kleine Betriebsteile, die sich selbst privatisierten. Eine solche Ausgründung war die Firma Silicon Sensor (heute First Sensor), eine Art „Staat-up“, dessen Entstehung so wie bei vielen anderen Ausgründungen aus abgewickelten DDR-Betrieben verlief: Erst „Kurzarbeit null“, dann Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Vereinsgründung, Fördermittel vom Ministerium für Forschung, Bankkredit, Grundstück erschließen, Firmengebäude errichten, europäische Projekte angehen, Bank wechseln …

In der „Halbleiterei“ kostet jede Maschine ein Vermögen. Aber der Markt war groß und wird immer größer und globaler: „Optische Sensoren stecken überall mit drin“, meinte der Firmengründer Dr. Bernd Kriegel. Er brachte das Privatunternehmen 1999 zusammen mit einem Investor an die Börse. Als es gut lief (160 Mitarbeiter, 180 Millionen Umsatz), warf der neue Aufsichtsrat ihn raus. Kriegel brauchte lange, um ohne Verbitterung darüber zu sprechen. 2019 wurde die Firma von TE Connectivity übernommen. Der amerikanische Konzern erlebte nach der Übernahme einen steilen Kursanstieg.

Für die älteren Mitarbeiter stellte sich die Firmenentwicklung ungefähr so da: eine relativ gemütliche Routine mit Brigadeleben zu VEB-Zeiten, ein gesteigertes Engagement in der Ausgründungszeit und dann, „als ein Geschäftsführer den nächsten ablöste und jeder einen anderen Spleen hatte“, ein aktionärsorientiertes Wirtschaftsregiment.

„Das Betriebsklima war zu Anfang mitreißend, es wurden Visionen diskutiert“, sagt eine Technikerin. „Wir waren deswegen wie vom Donner gerührt, als er entlassen wurde. Wir sind zum Bowling gegangen und haben nach Feierabend noch manchmal irgendwo zusammengesessen, einmal hat uns Bernd Kriegel sogar alle nach New York eingeladen. Jetzt habe ich nicht mehr so die Betriebsverbundenheit, ich identifiziere mich mit meiner Arbeit, aber nicht mehr mit der Firma.“

Eine hohe Arbeitszufriedenheit

Eine Ingenieurin meint: „Ich habe mein Leben gern in der Firma verbracht, also eine hohe Arbeitszufriedenheit, obwohl das Gehalt nicht immer stimmte. Mein Arbeitsplatz hat sich stetig weiterentwickelt: Immer wieder gab es Innovationen, neue Produkte, neue Maschinen, neue Menschen-Kontakte.“

Der Betrieb hat das Problem, junge Leute zu finden, weil er zu wenig zahlt

Bei First Sensor werden in Hochtemperatur (bei 1.200 Grad) auf Wafern (aus denen dann bis zu 1.000 Chips „rausgesägt“ werden) drei Schichten aufgetragen: Oxyd, Nitrit und Metall. Diese Allzweck-Photodioden sind in der Kraftfahrzeug-, Medizin-, Kamera-, Automation, Gebäude- und Militärtechnik sowie in der Telekommunikation in Gebrauch. Der Betrieb hat das Problem, junge Leute zu finden, weil er zu wenig zahlt. Er sucht dringend Fachkräfte.

Die Firma „Werkzeugbau Dunkel“ ist ebenfalls eine Ausgründung aus dem Werk für Fernsehelektronik (WF), blieb jedoch als Mieter in deren Räumen, nachdem Samsung das DDR-Werk übernommen, modernisiert und dann dichtgemacht hatte. Ihre Hauptkunden sind heute die Siemens-Kraftwerkssparte, das Luft- und Raumfahrtunternehmen von Rolls-Royce und Continental-Industry, wobei es meist um Einzelprodukte geht, nur gelegentlich um kleine Serien.

Der Betrieb wurde 1991 von Christian Dunkel zusammen mit vier Mitarbeitern der WF-Abteilung als GmbH gegründet. Seine Firma ist heute beim Werkzeugbau eine der modernsten in Berlin. „Um gute Werkzeugmacher mit langjähriger Berufserfahrung zu bekommen, muss man anständige Löhne zahlen,“ sagt Dunkel.

Früher wurde am Reißbrett gezeichnet

Seine Firma begann mit 40 Mitarbeitern aus dem WF, die nächsten sprach er in vier Ostberliner und einem Westberliner Betrieb an, als die in Konkurs gingen. Heute sind es 100. Anfänglich bekam Dunkel Fördergelder in Höhe von 4,5 Millionen DM sowie einen Investitionszuschuss zum Bankkredit, der ihn zur Schaffung von Arbeitsplätzen verpflichtete.

Die ersten Jahre wurde im Schichtsystem gearbeitet, inzwischen nicht mehr. „Mit guten Werkzeugmachern kann man das nicht machen,“ so Dunkel. Er investierte rund 22 Millionen in neue Fräß-, Schleif-, Säge-, Bohr-, Dreh-, Wasserstrahlschneide- und Drahterosionsmaschinen sowie in diverse Software. Viele Maschinen sind mit Beschickungsrobotern ausgerüstet und können zum Beispiel in einer Nacht „mannlos“ ein Dutzend Werkstücke herstellen. Auf dem Rechner sieht der Einrichter das Bauteil in 3-D. Früher wurde es am Reißbrett gezeichnet. Die Kunden verlangen aber immer kürzere Lieferzeiten.

Einer der Werkzeugmacher hält die Materialbeschaffung in der heutigen globalen Marktwirtschaft und mit dem Internet für die wesentliche Veränderung zu früher und dass man für die CNC-gesteuerten Maschinen „hochgradige Computerkenntnisse“ haben muss. Die Arbeit sei dadurch exakter geworden, manche Produkte müssen bis in den My-Bereich genau gefertigt werden. Die Hierarchien seien jetzt flacher, es gebe keine Meister mehr. „Dafür sind wir durchcomputerisiert – vom Auftragseingang bis zum Warenausgang.“

Demnächst übernimmt der holländische Schwiegersohn von Christian Dunkel die Firma. Der für Handwerksbetriebe zuständige Gewerkschaftssekretär bei der IG Metall gibt zu bedenken: „Man muss sehen, wo die Entwicklung in dieser Branche hingeht. Möglich ist etwa, dass irgendwann 3-D-Drucker Einzug bei den Werkzeugmachern halten. Das ändert noch mal alles.“

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geb. 1947, arbeitet für die taz seit 1980, Regionalrecherchen, ostdeutsche Wirtschaft, seit 1988 kulturkritischer Kolumnist auf den Berliner Lokalseiten, ab 2002 Naturkritik.

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