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Indische Feministin zu Vergewaltigungen„Die Hälfte der Bürger ist nicht sicher “

Die indische Feministin Nishtha Gautam fordert, das Thema Vergewaltigung endlich zu politisieren – weil es dabei vor allem um Macht gehe.

Vergewaltigung ist kein feministisches Thema, es geht um die Sicherheit der Hälfte der Bevölkerung Foto: Unsplash/Terry Boynton
Britta Petersen
Interview von Britta Petersen

taz: Frau Gautam, 2012 löste der sogenannte Nirbhaya-Fall in Indien Massenproteste aus. Damals wurde eine junge Frau von mehreren Männern in einem Bus vergewaltigt und getötet. Jetzt hat es wieder drei furchtbare Vergewaltigungen gegeben. Hat sich gar nichts geändert?

Bild: privat
Im Interview: Nishtha Gautam

ist Redakteurin beim Onlinemagazin The Quint und publiziert regelmäßig zu Gender-Themen. Zuvor war sie Professorin für englische Literatur an der Delhi University. Sie ist geschieden und hat eine Tochter

Nishtha Gautam: Damals wurden vier der Täter zum Tode verurteilt, es wurden schärfere Strafen beschlossen und sechs Schnellgerichte geschaffen, die sich um Vergewaltigungen kümmern sollen. Aber es ist ja bekannt, dass schärfe Strafen nicht abschreckend wirken. Insgesamt wurde die Chance vertan, etwas Grundsätzliches zu ändern.

Was ist falsch gelaufen?

Das Problem ist, dass jedes Mal, wenn ein furchtbares Verbrechen passiert, gesagt wird: Man soll das Thema nicht politisieren. Aber diese Art von Protest bringt nichts, er sorgt nur dafür, dass die Protestierenden sich besser fühlen. Oskar Wilde hat einmal gesagt: Bei allem in der Welt geht es um Sex, außer beim Sex, da geht es um Macht. Weil es um Macht geht, muss das Thema politisiert werden.

Aber es wird doch politisiert. Oppositionsführer Rahul Gandhi hat gerade einen Nachtprotest gegen Mord und Vergewaltigung des Mädchens in Jammu angeführt …

Ministerpräsident Modi trifft Merkel

Freitagabend trifft sich Bundeskanzlerin Merkel mit dem indischen Premierminister Narendra Modi zu einem „informellen Abendessen“ in Berlin. Merkel will offenbar die Gelegenheit nutzen, die Themen zu vertiefen, die Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seinem Staatsbesuch im März diskutiert hat: unter anderem die Wiederaufnahme der Verhandlungen über das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indien, die Zusammenarbeit mit Universitäten und in der Forschung sowie der Aufstieg Chinas. Modi war vor allem in Europa, um die Kooperation mit Skandinavien zu vertiefen und um am Commonwealth Gipfel in Großbritannien teilzunehmen. In London empfingen ihn Demonstranten, die den Schutz indischer Frauen vor Vergewaltigung forderten und Modis BJP eine Mitschuld an den jüngsten Fällen gaben. (bp)

Das ist nicht die Politisierung, die ich meine. Gandhi ist unglaubwürdig, weil er im Nirbhaya-Fall nichts gesagt hat, denn seine eigene Partei war damals an der Regierung. Es geht nicht um politische Instrumentalisierung. Wir müssen das Thema Vergewaltigung neu definieren.

Wie soll das gehen?

Es braucht ein anderes Narrativ. Es geht nicht darum, Frauen und Kinder besser zu beschützen. Das geht nicht nur Feministinnen an. Wir müssen Vergewaltigung als Thema der inneren Sicherheit sehen. Mehr als die Hälfte unserer Bürger sind nicht sicher. Es geht um Rechtssicherheit. Alle politischen Parteien sind patriarchalisch und setzen sich über Gesetze hinweg.

Rechtssicherheit ist ein großes Thema in Indien, Korruption in der Polizei ist weit verbreitet, gegen ein Drittel der Parlamentsabgeordneten laufen Kriminalverfahren …

Genau, es muss für Politiker zum Risiko werden, das Gesetz zu ignorieren. Letztendlich kann eine Änderung nur von den Wählern kommen. Wir sind es schließlich, die diese Leute an die Macht bringen. Sie müssen sich vor uns verantworten. Wir dürfen nicht lockerlassen.

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4 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • In Indien, aber nicht nur dort, gibt es noch ein weiteres schlimmes Problem. Stichpunkt: Hexenverfolgung/Hexenjagd. Vor allem allein lebende Frauen werden der Hexerei beschuldigt und ermordet, um an deren Häuser/Wohnungen heranzukommen. Es kann gern eine Recherche dazu gemacht werden. Außerdem gibt es Verfassungen/Gesetze in einigen Ländern, wo „die Hexerei“ bestraft wird!

  • Sicher sind korrupte Politiker ein großes Problem aber auch wenn man sie weitläufig beseitigt hat werden Vergewaltigungen nicht aufhöhren. Andere Länder haben die Transformation, welche Frau Gautam anstrebt, schon hinter sich und trotzdem bleiben derartige Taten nicht gänzlich aus. Natürlich wird es besser aber die lindernde Wirkung einer sichereren Gesellschaft hat eben auch ihre Grenzen.

     

    Auch im Westen hat es nun mit #MeToo nun eine längerfristig angelegte Bewegung gegeben, die unentwegt anklagt und einen Wandel verlangt. Doch was ich mich dabei seit Monaten frage ist: Welchen Wandel bitte? Konkrete Lösungsvorschläge sind zu mir nicht durchgedrungen,...

    • @Januß:

      Gänzlich nicht und dies ist wohl leider auch niemals realisierbar. Aber dass Politiker auf die Idee kommen, sich für die Vergewaltiger einer Minderjährigen auf Demonstrationen einzusetzen, dazu sind bei uns (hoffe ich) nichtmal die schäbigsten Politiker fähig. Schlicht und ergreifend aus Selbsterhaltungsgründen, da diese damit sämtliche Wäler verlieren würden und das ist doch schonmal ein Indiz dafür, dass die bei weitem nicht perfekte deutsche Gesellschaft, solche Taten als das bewertet was sie sind, verabscheuungswürdige Verbrechen.

      • @BluesBrothers:

        "... ein Indiz dafür, dass die bei weitem nicht perfekte deutsche Gesellschaft, solche Taten als das bewertet was sie sind, verabscheuungswürdige Verbrechen."

         

        Das ist wohl so. Anderenfalls würden nicht so viele Populisten das Thema im Wahlkampf ausschlachten.

         

        Jedes mal wenn der unendlich schwammige Vorwurf der "Rape Culture" aufkommt frage ich mich ob ich auch nur eine Person kenne, die Vergewaltigungen unter bestimmten Umständen als etwas akzeptables betrachtet. Die Antwort ist bisher immer ein klares Nein gewesen. Nicht nur das, wie Sie auch sagen ist mir keine Instanz bekannt in der ein relevanter, westlicher Politiker solch eine Auffassung äußert.