Indigene in Kolumbien: Dialog statt Sanktionen
Eine Brigade der Ticuna-Indigenen kämpft in Kolumbien für den Schutz ihrer Umwelt. Sie stellen sich Eindringlingen mit Worten statt Waffen entgegen.

Humberto Gregorio Vázques gehörte zu den Ticuna-Indigenen und wurde in der kleinen Gemeinde San Martín am Ufer des Flusses Amacayacu im Süden Kolumbiens in der Region Tres Fronteras geboren – im Grenzgebiet zwischen Brasilien, Peru und Kolumbien. Vázques habe die Eindringlinge mit „Macheten, Stöcken und Schüssen“ vertreiben wollen, sagt Gelimir Guedes, ein junger Ticuna, heute. Doch die Gegner waren mächtiger. „Sie hatten mehr Waffen und Geld.“
Damals war Vázques durch den Dschungel gewandert, um Verbündete für seine Idee zu finden, eine bewaffnete Gruppe zu bilden, die ihr Leben für den Schutz von Flüssen, Bäumen und Tieren riskieren sollte. Doch auf seinem Weg änderte sich sein Vorhaben. „Humberto traf Menschen, die ihn davon überzeugten, dass es besser sei, eine Organisation zu gründen“, erzählt Guedes. Umgesetzt wurde dies schließlich von Vázques’ Sohn José: Er gründete im Jahr 2000 eine indigene Umweltwache, die er bis heute leitet.
In Kolumbien gibt es eine lange Tradition indigener Milizen. Als zivile, unbewaffnete Einheiten üben sie, nur mit einem Holzstock ausgerüstet, die territoriale Kontrolle in indigenen Schutzgebieten aus. Diese Milizen erlangten in den 2000er Jahren große Bekanntheit, als mehrere kolumbianische Regionen beschlossen, ihre Reservate angesichts des langjährigen bewaffneten Konflikts im Land für neutral zu erklären. So wurden diese Brigaden zur einzigen zivilen Autorität in einigen der angestammten Gebiete.

Der Text ist im Rahmen des Klimaworkshops Green Panter Amazonia der taz Panter Stiftung entstanden. Mehr Texte der Teilnehmenden aus 8 Ländern der Amazonas-Region auf taz.de. Weitere ihrer Artikel erscheinen am 12. 9. in einer taz-Beilage, am 17. 9. gibt es einen Talk mit ihnen in der taz Kantine.
Wiederaufforstung von Waldgebieten
Die Gruppe, die in San Martín de Amacayacu entstand, war allerdings anders: Sie wollte die Natur und Umwelt schützen. Zunächst bestand sie aus den Ältesten, erzählt Guedes. „Das Erste, was sie taten, war, die Grenzen ihres Gebiets festzulegen und abzustecken.“ Im Jahr 2007 wurde eine neue Miliz gegründet. Sie konzentrierte sich darauf, das Ticuna-Stammesgebiet von Abfällen der Holzfäller zu säubern und einige geschädigte Waldgebiete wieder aufzuforsten. Einige Jahre später schloss sich Guedes mit nur elf Jahren der Umweltmiliz an. Es war eine Entscheidung, die sein Leben verändern sollte.
Denn was die Älteren der Gruppe ihn lehrten, hat seine Sicht auf die Welt verändert. „Ich bin in der Gemeinde Puerto Nariño geboren. Dort kümmern sich die Indigenen nicht mehr um ihre Wurzeln. Sie sprechen weder die Sprache der Ticuna, noch können sie fischen, jagen oder die Erde bestellen“, sagt Guedes. Ihn hatten schon als Kind die seit Generationen überlieferten Ticuna-Legenden fasziniert. Als Guedes im Jahr 2011 auf der Suche nach Nahrung durch den Dschungel zog, stieß er auf einen Fluss, der ihn nach San Martín führte. „Dort verliebte ich mich in die Kultur, die Sprache und die Menschen“, sagt er.
Traditionell lebten die Ticuna tief Regenwald, weit entfernt von Flüssen. Das ist einer der Gründe, weshalb die von den Portugiesen eingeschleppten Krankheiten sie weniger dezimierten als andere Ethnien. Doch immer noch sind in den meisten Ticuna-Gemeinden Armut und mangelnde Bildung ein großes Problem, während christliche Missionare – darunter auch erzkonservative Evangelikale – ihren Einfluss weiter ausbauen. Heute tragen die meisten Ticuna westliche Kleidung, ihre traditionellen Gewänder aus Baumrinde legen sie nur noch zu besonderen Anlässen an.
Ticuna-Anführer erzählten Guedes von ihrem Ansatz, Worte statt Waffen zur Abschreckung einzusetzen, wenn Eindringlinge auf ihr Territorium vorrücken. „Wir haben eigene Regeln, eine eigene Verfassung“, sagt Guedes. Es sei etwa genau festgelegt, wo Bäume abgeholzt werden dürfen und wo nicht. „Wir sorgen dafür, dass das eingehalten wird.“ Aber nicht durch Sanktionen, sondern durch Dialog. Und das funktioniere in den meisten Fällen erstaunlich gut.

Sandstrände an den Ufern zurückgewonnen
Es sind fast 14 Jahre vergangen, seit sich Guedes der Umweltmiliz angeschlossen hat. Mit Stolz blickt er auf das Erreichte zurück. Jahrelang seien dem Fluss Amacayacu zum Beispiel große Mengen Sand entnommen worden, um daraus Zement und Beton herzustellen. „Heute hat der Amacayacu wieder ausreichend Sand. Wir haben die Strände des Amacayacu zurückgewonnen, weil wir den Baumschlag am Flussufer und den ungebremsten Sandabbau unter Kontrolle bringen konnten.“
Immer noch schließen sich junge Indigene der Umweltmiliz von San Martín de Amacayacu an. Einer von ihnen ist der 21-jährige Henry Vázquez. Er versteht es als seine Pflicht, Natur und Umwelt zu erhalten. „Ich kann mir nicht vorstellen, darauf zu warten, dass der Staat uns dabei hilft, das Gebiet zu schützen.“
Zurzeit besteht die Miliz in San Martín aus 20 Männern und Frauen. Sie stellen sich Holzfällern, Bergleuten und Jägern entgegen und erklären ihnen, welche Regeln zum Schutz der Natur auf ihrem Gebiet gelten. Das bringt sie häufig in Gefahr. Sie agieren ohne staatliche Unterstützung, sind ständig dem Risiko ausgesetzt, von Bewaffneten angegriffen zu werden. Doch für die Indigenen gibt es keine andere Wahl, als ein Ökosystem zu erhalten, das der gesamten Menschheit Leben schenkt.
Esteban Tavera ist ein Journalist aus Kolumbien. Er arbeitet für das Netzwerk Climate Tracker América Latina.
Übersetzt aus dem Spanischen von Ole Schulz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Soziologin über AfD
„Rechte Themen zu übernehmen, funktioniert nicht“
Attentat auf Charlie Kirk
Ein Spektakel der Gewalt
Die IG Metall und das Verbrenner-Aus
Gewerkschaft gegen Klimaziele
Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen
Alles guckt nach Gelsenkirchen
Aktivistin über Autos in der Stadt
„Wir müssen Verbote aussprechen“
Humanitäre Lage in Gaza
Auch wo es Nutella gibt, hungern Menschen