Indigene Malerei in Hamburg: Bunte Kunst, extrem geheimnisvoll
Das Hamburger Ehepaar Schmidt betreibt eine auf Aborigine-Kunst spezialisierte Galerie. Den spirituellen Gehalt der abstrakten Bilder werden sie nie erfahren
Bis Ende der 1960er-Jahre hat es gedauert, bis die australische Regierung ihren Fehler gegenüber der „gestohlenen Generation“ einräumte, geraubte Kinder und konfisziertes Land zurückgab. Doch viele Aborigines leiden noch unter den alten Traumata. Therapeutische Hilfe ist rar, und so ist es folgerichtig, dass auch die Kunst verarbeiten hilft.
Nyree Ngari Reynolds‘ „No longer Flora“-Gemälde ist Teil der Aborigine-Kunst-Sammlung des Hamburgers Dieter Schmidt, und auch wenn Politik nicht in deren Zentrum steht, ist sie doch wichtige Randnotiz. Denn der pensionierte Textilkaufmann und seine Frau Lilian wissen sehr genau um diese brutalen Entführungen und deren Folgen. Die Mutter einer befreundeten Künstlerin ist dabei zu Tode gekommen, und diese Geschichte ist so schrecklich, dass sie sie nicht erzählen wollen. Wird da etwas verdrängt, oder wahrt man diskret ein Geheimnis? Vermutlich ein bisschen von beidem, sonst könnten sie sich an den Bildern nicht mehr freuen.
Zur Kunst gekommen sind die Schmidts durch Zufall: Auf einer privaten Australienreise haben sie Gloria Tamerre Petyarres Gemälde „Bush Medicine“ gesehen, ein expressionistisches Feuerwerk in Rot, Braun und Orange. „Es war ein Bauchgefühl. Wir haben das gesehen und mussten es haben“, sagt Lilian Schmidt, deren Bluse das Orange des Bildes aufnimmt. Solche Sommer- und Herbstfarben gefallen den beiden. Sie erden.
5.000 Euro haben die Schmidts dem Chef des Aboriginal Art and Culture Centers von Perth damals gezahlt, „Ich konnte überhaupt nicht beurteilen, was das wert ist und habe nur gesagt, ich will einen fairen Preis zahlen“, erinnert sich Schmidt. „Denn das ist hohe Kunst.“ Die auch etwas mit Schmidts Metier, mit Bekleidung zu tun hat, denn anfangs haben die Aborigine ihre Muster für Rituale auf ihre Körper gemalt. Und wenn Schmidt heute gelegentlich – in Absprache mit den Künstlern – Stoffe daraus macht, ist das eine Fortsetzung des Geschehens auf dekorativer Ebene.
Doch dieser vermeintlich leichte Zugang täuscht. Dies ist keine naive Malerei. Aborigines haben vielmehr Schöpfungsmythen, Geschichten über Liebe und Tod, über Wanderungen der Ahnen durch die Wüste gemalt. „Dreamings“ nennen die Aborigines diese Inhalte, die für europäisch-dualistisches Denken schwer fassbar sind. Denn ein Dreaming ist vergangen und gegenwärtig zugleich, bedeutet die Vermittlung alten Wissens samt Aktualisierung.
Da kann etwa der alte Weg zur Wasserstelle neben einem modernen „Milchstraßentraum“ und einem „Bergteufeltraum“ hängen. Gleich daneben Sandhügel und Eidechsenschuppen, vom Konkreten ins Abstrakte kippend; es geht um die Durchdringung von Idee und Materie. Landschaft wird meist von oben gemalt, Tiere von innen – im um 5.000 v. Chr. erfundenen „Röntgenstil“ mit korrekt platzierten inneren Organen. Künstlerische Autorenschaft ist dabei die des Clans und geschützt durch strenges Copyright: Jeder Clan hat ein unantastbar exklusives Farb- und Formrepertoire.
„An diesem Tabu wäre die moderne Aborigine-Kunst fast gescheitert“, erzählt Schmidt. „Als der Kunstlehrer Geoffrey Bardon 1971 Aborigines-Kinder zum Malen animieren wollte, bekam er – weiße Blätter.“ Der Grund: Die Kinder waren nicht befugt, zu malen. Aber die Eltern durften, und als Bardon das begriff, brach ein bis heute währendes Feuerwerk an Kreativität los. Zu Hunderten versammeln sich Aborigines inzwischen in besagten Art Centers und malen, was das Zeug hält. „Immer summend, immer lachend, immer auf dem Boden hockend“, sagt Schmidt. „Staffeleien gibt es nicht.“
Wofür die über das ganze Land verstreuten Art Center gut sind? Die Aborigines selbst haben diese Kooperativen gegründet, um ihre Kunst zu vermarkten und ihren Lebensunterhalt zu sichern. Es funktioniert: Inzwischen existieren in Australien Hunderte auf Aborigine-Kunst spezialisierte Galerien und bedienen einen Milliardenmarkt. Damit die Dollars nicht an den Künstlern vorbeifließen, sind die meisten Galeristen Mitglied des „Indigenous Art Code“. Er garantiert, dass die Kunst unter ethisch einwandfreien Bedingungen entsteht und angemessen bezahlt wird.
Auch Dieter Schmidt ist der Organisation beigetreten, „schließlich will ich nicht davon profitieren, dass Aborigines den Wert ihrer Kunst schwer einschätzen können“. „Natürlich ist nicht alles, was da quasi am Fließband hergestellt wird, qualitativ hochwertig“, sagt Schmidt, „aber sehr vieles.“ Und für seine Sammlung, inzwischen 160 Bilder stark, verlässt er sich auch auf das Urteil des Art Center Direktors.
Soweit es überhaupt nötig ist, denn ob ein Bild Spannung hat, spüren die Schmidts selbst. Auch, dass Formen und Farben Symbole sind, von denen sie nur die Oberfläche sehen. Und ja, er habe versucht zu verstehen, sagt Dieter Schmidt. „Darunter liegt eine Story, das Dreaming“, sagt er. „Aber um die spirituelle Botschaft zu begreifen, muss man sehr viel lesen.“
Und die Künstler? Ja, sicher habe man die gefragt. „Aber einerseits ist da das Sprachproblem“, sagt er. Denn viele Aborigines sprächen kein Englisch. „Und auch wenn man sich versteht, erzählen sie nicht viel.“ Das ist wohl kein Zufall, denn ein Geheimnis, das der Ex-Kolonisator nicht kennt, kann er einem auch nicht austreiben oder verunstalten.
Und doch passen diese verschwiegenen Bilder gut in die fast ein bisschen zu eleganten, dunkelbraun getäfelten Räume von Schmidts Roots Gallery, eine von bundesweit drei auf Aborigine-Kunst spezialisierten Galerien. Sie liegt im wohlhabenden Hamburger Stadtteil Winterhude gleich gegenüber der Privatwohnung der Schmidts, wo das riesige „Bush Medicine“-Bild das ganze Wohnzimmer samt China-Mobiliar farblich übersprüht.
Wie gut das in der Roots Gallery verkaufsmäßig funktioniert, sagt Dieter Schmidt nicht so genau. „Wir betreiben das als Hobby, und wenn wir etwas verkaufen, freuen wir uns“, sagt er und lächelt. Aber viele fänden, „dass so ein Bild gut übers Sofa passt“, sagt Lilian Schmidt. „Die fragen nicht groß nach den Geschichten dahinter.“
Das klingt nun wieder sehr kolonialistisch – aber vielleicht ist dieser vereinnahmende Zugang der erste Schritt zum ernst Nehmen dieser Kunst, die manchen immer noch als Folklore gilt. Auf der Kunstmesse Art Cologne zum Beispiel durfte nur zweimal Aborigine-Art gezeigt werden und seither nie mehr. „Und das, obwohl längst wissenschaftlich belegt ist, dass es sich um zeitgenössische Kunst handelt“, sagt Schmidt leicht gereizt.
Auch die Affordable Art Fair in Hamburg habe Aborigine-Kunst bislang stets abgelehnt. „Ich bin sicher, das lag an der Art der Kunst“, sagt Schmidt, der bis zur Rente günstig in Asien produzierte Kleidung nach Europa verkaufte, und es bei dieser Andeutung belässt.
Aber wenn er so weiter macht mit seiner Wut über die Missachtung indigener Kunst, könnte er zum späten Kämpfer wider der Arroganz des eurozentristischen Kunstbetriebs werden. Im Privaten hat er diesen Paradigmenwechsel schon vollzogen: Für die monumentale Aborigine-Kunst in seiner Wohnung hat er die ererbten abendländischen 19. Jahrhundert-Schinken abgehängt und verkauft.
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