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Independent-Filme aus NigeriaScience-Fiction statt Drama

In Kaduna in Nigeria hat eine Gruppe Filmemacher*innen gerade gewaltigen Erfolg. Und das ganz ohne teure Ausrüstung.

Victor Josiah hält die szenischen Proben fest. Teures Equipment braucht die Gruppe nicht Foto: Katrin Gänsler

Godwin Josiah klingt so routiniert, als gäbe er seit Jahren andauernd Interviews über seine Leidenschaft – das Filmen. Nur einmal hört er für einen kurzen Moment auf zu reden und denkt an das, was in den vergangenen zwei Wochen alles geschehen ist. Von einem Tag auf den anderen sind er und seine acht Freunde – sie sind alle miteinander verwandt und Cousinen, Cousins und Geschwister – auf der Filmplattform YouTube zu Stars geworden.

Die Critics Company, wie sich die Kinder und Jugendlichen zwischen 5 und 19 Jahren nennen, erhält jeden Tag tausende neue Abonnenten, und ihr bisher längster Film „Z: The Beginning“ ist von Sonntag auf Montag mehr als 25.000-mal angesehen worden. Wenn dieser Text erscheint, werden es an die 200.000 Klicks sein.

Die Kommentare darunter sind überwältigend. „Diese Jungen werden den nigerianischen Filmmarkt für immer verändern“ schreibt ein Nutzer. Ein anderer findet: „Es braucht Talent und Kreativität, um einen Film zu machen, und nicht Geld und Ausrüstung.“ Wieder jemand lobt das riesige Improvisationstalent. Alle großen nigerianischen Zeitungen haben über sie berichtet. Auch Nasir El-Rufai, Gouverneur des Bundesstaates Kaduna im Norden Nigerias, hat sie zu einem Empfang eingeladen. Das Treffen ist von Fotografen begleitet worden, was dafür gesorgt hat, dass längst Menschen, die sich weder für Science-Fiction noch für YouTube interessieren, von ihnen gehört haben.

„Es ist ziemlich aufregend, dass uns so viele Menschen da draußen kennen. Damit hatten wir nie gerechnet“, sagt Godwin, der älteste in der Critics Company. Mit den übrigen Mitgliedern sitzt er im Wohnzimmer seiner Eltern, die jungen Filmemacher erinnern den Rummel der vergangenen Tage. Godwin gibt zu: „Wir hatten wirklich schlaflose Nächte.“

Nollywood macht zu viel Drama

Dabei hatten sie anfangs vor allem ein Ziel: Nachdem sie selbst unzählige Produktionen – meist aus Hollywood – gesehen und diskutiert hatten, wollten sie Filme machen, die ihnen gefallen und die es in Nigeria noch nicht gibt: Science-Fiction mit unvorhersehbaren Wendungen, viel Action, ungewöhnlichen Einstellungen und mit am Computer ergänzten Spezialeffekten.

Filmfest

In Berlin findet noch bis inklusive Samstag das Nollywood Travel Film Festival statt. Mit Kurz- und Spielfilmen sowie Podiumsdiskussionen.

Nigerias Filmindustrie Nollywood ist längst – nach Bollywood in Indien – die zweitgrößte weltweit und ein wichtiger Zweig in Afrikas größter Volkswirtschaft. Das Unternehmen PricewaterhouseCoopers schätzt, dass im Jahr 2016 2,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts von Nollywood erwirtschaftet wurden. Mitunter ist sogar von bis zu 5 Prozent die Rede. Die Critics Company beeindruckt das jedoch nicht. „Wir müssen ein neues Genre schaffen, anstatt nur Nollywood zu kopieren“, findet der 15-jährige Victor Josiah. Seine Kritik lautet: Nollywood ist viel zu vorhersehbar „und immer nur Drama“.

Auch wenn die Produktionen seit 1992, als der erste Nollywood-Film „Living in Bondage“ erschien, viel aufwändiger, teurer und professioneller geworden sind, sind die Geschichten meist gleich geblieben. Es gibt eine böse und eine gute Figur. Letztere ist zum Schluss siegreich. Steht ein Bösewicht im Mittelpunkt, dann ist der am Ende geläutert. Gern tauchen auch Geister aller Art auf, die für mächtig Angst sorgen. Bei den Kannywood-Streifen – so heißen die Filme, die rund um die nordnigerianische Wirtschaftsmetropole Kano in der Sprache Haussa produziert werden – ist es nicht anders. „Die Zuschauer kennen das Ende schon, wenn der Film anfängt“, sagt Godwin.

Die kurzen Filme der Critics folgen keiner Regel. Gemeinsam haben sie, dass sie im Süden der Stadt Kaduna gedreht worden sind. Die Straßen sind staubige Wege, Plastiktüten liegen an den Rändern oder werden vom Wind aufgeweht. Ständig sind halbfertige Häuser aus bräunlichen oder gräulichen Steinen, ein paar Mauern und verdorrte Grasbüschel zu sehen.

Keiner braucht die Filmschule

Die Innenaufnahmen sind in Wohnzimmern und Küchen ihrer Eltern entstanden und die Requisiten das, was ohnehin dort steht. Ausgerechnet in diesen nordnigerianischen Alltagsszenen tauchen plötzlich am Computer entworfene Gebäude auf, die es vielleicht in Zukunft einmal geben wird, oder die jungen Schau­spie­ler*innen finden sich in hochmodernen Räumen wieder. Dort drücken sie auf Tasten herum und wirken angespannt und getrieben. Ohnehin wird viel gerannt und gekämpft.

Die Dialoge fallen indes spärlich aus. Doch die wenigen Worte sagen genug. In manchen Szenen reicht schon die ebenfalls spärlich eingesetzte Mimik. Die Clips bringen das auf den Bildschirm, was die Gruppe motiviert und antreibt. „Wir möchten uns ausprobieren und lernen“, sagt Godwin, „selbst wenn Dinge nicht klappen, spornt es an, es beim nächsten Mal besser zu machen.“

Gelernt hätten er und die anderen in den vergangenen sieben Jahren extrem viel. „Unsere ersten Versuche waren so schlecht, dass wir sie schnell wieder gelöscht haben“, gibt er zu. „Zuerst wollten wir Comedy machen, fanden uns aber nicht einmal selbst witzig. Es hat auch nicht funktioniert, ein witzige Drama zu drehen“, erinnert sich Victor. Als sie im vergangenen Jahr mit der Arbeit an dem gut zehnminütigen Film „Z: The Beginning“ begannen, hätten sie nicht einmal die Hälfte von dem gekonnt, was sie letztendlich umsetzen konnten.

Dafür haben sie weder eine Filmschule besucht, noch Kurse belegt. Beigebracht haben sie sich das Filmen, Produzieren, Schreiben der Drehbücher und Einfügen von Spezialeffekten mithilfe von YouTube-Tuto­rials. „Angeschaut haben wir uns diese nachts, weil dann das Datenvolumen für das Internet günstiger ist“, sagt Raymond Yusuff (17). Wenn es denn Strom gab. Zu Ausfällen kommt es jeden Tag in Nigeria, und meist weiß niemand, wie lange es braucht, bis er zurückkommt. Dieselgeneratoren können sich Millionen von Menschen nicht leisten.

Equipment ist nicht alles

Immerhin, die Akkus ihrer Kameras ziehen wenig Batterie. Für den ersten Film hat die Critics Company ein altes Nokia-Handy genutzt. Heute filmen sie mit einem Smartphone von Tecno, dessen Display längst zersprungen ist. Zugleich zeigt es: Neues und teures Equipment ist nicht alles. Als Stativ für ein Mikrofon und das Filmen von langen Einstellungen ließ sich kurzerhand ein Selfie-Stick umbauen.

„Im Internet Zubehör kaufen und es nach Kaduna schicken lassen?“ Godwin schüttelt den Kopf: „Wir haben alles selbst gebaut, weshalb wir auch keine Ausgaben hatten.“ Damit widerspricht er auch der Einstellung, die viele Gleichaltrige im Land hätten. Es gebe zwar großes Potenzial. „Junge Menschen haben aber die Vorstellung, dass sie nur mit etwas anfangen können, wenn sie hundertprozentig ausgestattet sind. Sie glauben nicht daran, dass sie schon etwas mit dem, was sie haben, schaffen werden.“

Dafür eignet sich YouTube als Vertriebsweg. Der Kanal ist allen zugänglich und macht unabhängig vom Willen und den Entscheidungen der großen Firmen. Gleichzeitig können weltweit Zuschauer*innen erreicht werden.

Es gibt so viel, was noch nicht erzählt wurde

Godwin Josiah, Filmemacher, Mitglied der Critics Company

In Nigeria, wo nach Einschätzung der Kommunikationskommission NCC heute mehr als 111 der rund 200 Millionen Einwohner das Internet nutzen, sind soziale Medien wie YouTube, Facebook und Twitter ohnehin extrem beliebt. Godwin Josiah hat an der Universität von Kaduna ein Chemiestudium aufgenommen, ist aber sicher: Er möchte sein Leben lang Filme machen – über Afrika und besonders Nigeria. „Es gibt so viel, was noch nicht erzählt wurde. Geht es um Afrika, dann denkt man immer nur an den Niedergang. Dabei lassen sich die ganzen Erfolgsgeschichten gut mit Science-Fiction erzählen.“

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