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In eigener Sache – DatenklauDer Vertrauensbruch

Ein Kollege hat Accounts von KollegInnen geknackt – und wurde erwischt. Fall erledigt? Nein. Er beeinflusst weiter die Atmosphäre unseres Hauses.

Am Donnerstag wurde Strafanzeige erstattet, der Keylogger wurde dem Berliner LKA übergeben. Bild: taz

Mögen Zeitungen wie die Welt von einem „Medienskandal“ sprechen; mag ein Blatt wie die FAZ sich ihren gehässigen Reim auf die Causa machen oder sei auf Twitter weiterhin vom #tazgate die Rede: Der Fall, der innerhalb dieser Zeitung die Kollegen und Kolleginnen beschäftigt, geht in der Tat weit über die Dimensionen von „Leaks“ oder „digitalen Einbrüchen“ hinaus.

Zunächst: Was war, was ist der Fall? Nach allem, was in dieser Redaktion gewusst werden kann, hat ein Kollege sich mittels eines technischen Geräts namens „Keylogger“ die Computer anderer KollegInnen gehackt. Es ist ein simples, im Handel erhältliches Gerät. Mit seiner Hilfe können Mails oder Passwörter gelesen und nötigenfalls genutzt werden.

Die Enthüllung dieses Falls liegt inzwischen zehn Tage zurück – unmittelbare Gefühle von Schockiertheit, von Empörung und Unglauben sind weitgehend verflogen. Geblieben ist freilich das, was als eigentlicher Schaden verstanden werden muss: die Erschütterung eines grundsätzlichen Vertrauens innerhalb der taz, ihrer Redaktion wie in allen anderen Abteilungen.

Man muss nicht allzu historisch interessiert sein, um sagen zu können, dass die taz, eine Zeitungsgründung in den späten siebziger Jahren, aus einer Zeit kommt, in der Sicherheits- und Abschottungsfragen absichtsvoll minder geschätzt wurden. Überall verschlossene Türen, Schubladen, Behältnisse – all das wollte man nicht, der Kultur der versiegelten Enge wollte man in der alternativen Szene fliehen. Die taz hat über alle Jahrzehnte ihrer Existenz diese Idee am Leben gehalten. Nicht immer bewusst, aber faktisch.

Chronologie & Kommentar

Eine Chronologie der Ereignisse finden Sie hier.

Einen Kommentar der taz-Chefredaktion können Sie hier lesen.

Wer anderswo im Büro – großräumig oder kleiner – sitzt, weiß, dass KollegInnen zur Mittagspause oder einfach nur zum Kaffeeholen ihre Schreibtische abschließen, sich aus dem Computer loggen: (Nicht nur) in deutschen Arbeitsräumen tut man viel dafür, nicht bestohlen zu werden. Eine offene Bildschirmoberfläche könnte schließlich den oder die Büronachbarin zum indiskreten Blick auf Persönliches verleiten.

Wie in einer 70er-Jahre WG

Wer schon einmal die taz besucht hat, weiß hingegen: Diese Üblichkeiten der Dauersicherung von Persönlichem gelten hier traditionell eher nur eingeschränkt. Spötter würden sagen: Mancherorts sieht es in der taz wie in einer WG der siebziger Jahre aus. Pfandflaschen stehen herum, Schreibtische, auf denen sich Papierstapel in die Höhe türmen, notorische Zettelwirtschaften und Computerbildschirme, die mit Post-its beklebt sind. Dokumente von Informanten oder brisantes Material der Recherchen werden selbstverständlich und ausnahmslos gesichert – auch papierne.

Aber in der taz wird nicht KollegInnen hinterherspioniert, schon gar nicht vergreift man sich an den Computern anderer. Es gilt das stumme Gebot: Respektier meine Grenzen. Nebenbei: Dass redaktionelle Mails verschlüsselt werden, daran halten sich die allermeisten taz-Redaktionsmitglieder – auch dies ein Instrument des Informantenschutzes und damit des Rechercheschutzes.

Klar, es wurde auch schon gestohlen. Bücher sind abhandengekommen, Zeitungen der Konkurrenzmedien werden aus den Ressorts entwendet, offen herumliegende Kekspackungen geplündert oder auch Zigarettenschachteln entnommen. Aber dieser eher lässige Umgang mit privatem Kram wird irgendwie toleriert. Vermutlich, weil alle von diesem Fehlen der Sicherheitsmanie profitieren: Man muss nicht unentwegt sich hintergangen fühlen.

Kollegiale Erschütterung

Der Fall, um den es aber hier geht, ist wohl keiner, hinter dem Monstrositäten wie die NSA stecken. Es war ein Diebstahl digitaler Art; der Verdächtige knackte Redaktionsrechner quasi aus internem Drang. Das aber war und ist eine heftige Attacke auf die Vertrauenskultur, auf die die taz – ohnehin ein offenes Haus ohne Dienstausweise – sich aus Tradition etwas zugutehielt.

Das ist der Kern der kollegialen Erschütterung, des Entsetzens darüber, dass man dem kollegial Nächsten vielleicht nicht trauen kann. Ein wenig mag man es sich so vorstellen: Auch ein Einbruch in die eigene Wohnung ist meist nicht deshalb schlimm, weil wertvolle Dinge entwendet wurden. Diese mögen durch eine entsprechende Versicherung geldlich ausgeglichen werden. Das Gefühl aber, in der eigenen Wohnung nicht unversehrt zu bleiben, dass da jemand in das Eigene sich ungebeten Zugang verschafft hat: Das ist das Empfinden, von dem Kriminologen sagen, es schmerzt am meisten und hinterlässt Unbehagen.

Die taz wird ihre Kultur des Vertrauens nicht aufgeben wollen. Dass der Spion aber im Inneren sitzt, bleibt als Schrecken, der nur Misstrauen stiftet, zurück.

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11 Kommentare

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  • Was will die taz da eigentlich kleinreden? Ihre nicht vorhandenen Sicherheitsmassnahmen oder vielleicht doch einen internen Skandal - wo vielleicht jemand etwas aufdecken wollte, was die taz nicht in der Öffentlichkeit sehen will?

    Informationen über echte Inhalte dazu bei euch gleich Null! Da erfährt man erstaunlicherweise in anderen Medien wesentlich mehr.

  • @Jan Hansen: In dem Artikel vor einigen Tagen mit der detaillierten Schilderung des Ablaufs wurde erwähnt, daß der "Verdächtige" dabei beobachtet wurde, wie er den Keylogger, der wieder zwischen Tastatur und PC zurück gesteckt wurde, an sich nahm. Er ist damit einigermassen eindeutig identifiziert, nur ist die Titulierung eben eine juristische Angelegenheit. Jemanden ohne Urteil als Täter zu bezeichenen, kann kontraproduktiv sein.

     

    "Knacken" ist da eben ein Fachbegriff, wenn man die Tastatureingaben aus dem Keylogger ausliest, ist es relativ einfach, die Login-Daten zu ermitteln - das ist so ziemlich die einfachste Form des Hackings, simpler geht es nur, wenn der PC-Nutzer sein Login auf einem Zettel unter der Schreibtischauflage hat (Wie ich es bei einer Betriebsrats-Sekretärin erleben mußte)

  • Ok. Daten von/über Informanten werden im taz internen Hochsicherheitstrakt schwerstens bewacht, während drumherum lustiger sicherheitstechnischer Anarchismus herrscht.

     

    Die Antwort an die Leser zur Datensicherheit ist immer noch unzureichend. Wurde die taz bspw. jemals von extern sicherheitstechnisch beurteilt?

  • "... mag ein Blatt wie die FAZ sich ihren gehässigen Reim auf die Causa machen..." - Ein Blatt macht sich nicht "ihren", sondern "seinen Reim".

    • @reblek:

      naja vielleicht wegen der Haufen Damen und Gleichberechtigung

  • "#tazgate [..] geht in der Tat weit über die Dimensionen von „Leaks“ oder „digitalen Einbrüchen“ hinaus. "

     

    Nö, geht es nicht. Und in der Aussage tritt dasselbe Selbstgerechtigkeits- und Überlegenheitsgefühl zu Tage, dass bei Herrn H. wohl derart übersteigert war, dass es erst zu dieser Tat gekommen ist.

  • Dokumente von Informanten oder brisantes Material der Recherchen werden selbstverständlich und ausnahmslos gesichert – auch papierne.

    Kann man das glauben?

  • Motiv "interner Drang"? Was soll das sein? Und woher ist dieses "Motiv" schon bekannt, nachdem er doch zum Gesprächstermin mit den Vorgesetzten nicht mehr erschienen war?

  • Der Fall wirft eben das grundsätzliche Problem des Privaten im Verhältnis zum Politischen auf. Ein "Überzeugungstäter", der sich als Teil einer Bewegung sieht, die die Welt verändern will, wird auf privates keine Rücksicht nehmen können, weil sein Leben, seine Freundschaften, seine Bündnisse immer kleiner sind als das große Zielt, in denen Dienst er sich voll und ganz stellt. Das kann gelegentlich auch zu Wahrnehmungsverschiebungen führen, dass man also die Frage von "Vertrauen" und dessen Missbrauch gar nicht mehr stellt und auch nicht bemerkt, wie man auf der menschlichen Ebene versagt, weil man nur noch in der politischen Ebene lebt. Eine These ist, dass genau so Diktaturen entstehen und von Menschen getragen werden, die als 100%ige jede Unmenschlichkeit mit tragen, um eine bessere Welt zu ermöglichen. Ohne zu merken, dass sie die Welt so schlechter machen....nicht besser.

  • "der Verdächtige knackte Redaktionsrechner quasi aus internem Drang."

     

    taz-interner Drang? Das ist mit Sicherheit der interessanteste Hinweis in diesem Artikel.

     

    Also definitiv kein Spitzel-Auftrag von außen oder für Informationsweitergabe nach außen bzw. zum selbst "verkaufen"?

     

    Interner Drang? Könnt Ihr das näher erläutern? Verdiente der Kollege zu wenig oder sollte er im Auftrag anderer im taz-Haus seine Kollegen bespitzeln?

     

    Nunja, warten wir ab. Schön, dass die taz ab und zu was zu dem unschönen Thema in eigener Sache sagt. Ist sicher nicht einfach! Danke dafür!!!

    • @Hanne:

      "der Verdächtige knackte Redaktionsrechner quasi aus internem Drang."

       

      mich beschäftigt ja eher die Frage, ob diese Formulierung ("der *Verdächtige*...*knackte*") philosophische Tiefe hat oder einfach nur falsch ist....

       

      schön finde ich sie auf jeden Fall, fast schon poetisch