In der Türkei inhaftierte Deutsche: Terrorvorwurf gegen kurdische PKK-Kritiker
Ein Hamburger wurde aus der Haft entlassen, ein Kölner bleibt inhaftiert. Beiden wird Unterstützung der PKK vorgeworfen – dabei stehen sie ihr kritisch gegenüber.
In der Türkei wurde am Freitagmittag ein inhaftierter deutscher Staatsbürger freigelassen. Şeref Akgül, der seit 1992 in Hamburg lebt und die doppelte Staatsbürgerschaft hat, war am 21. November im Flughafen in Diyarbakır auf dem Rückweg nach Deutschland festgenommen worden. Akgül war nach Ankara gebracht worden, wo er acht Tage in Untersuchungshaft saß. Sein Verfahren geht weiter.
Dem 54-Jährigen werde Mitgliedschaft in der PKK und PKK-Propaganda vorgeworfen, sagte sein Anwalt Neşet Bilek taz gazete. Akgül ist Mitglied bei der Sozialistischen Partei Kurdistan (PSK) und bei Komkar, einem Verband von „Vereinen aus Kurdistan in Deutschland“. Seinem Anwalt Bilek zufolge werden ihm Beiträge in den sozialen Medien und seine Vereinsarbeit bei Komkar zur Last gelegt.
Akgüls Bruder Ramazan Akgül bezeichnete den Grund für die Verhaftung seines Bruders taz gazete gegenüber als „Unsinn“. „Komkar engagiert sich seit Jahren gegen die PKK. Mein Bruder und seine Freunde wurden vielfach von der PKK bedroht“, sagt er. „Mein Bruder wird bezichtigt, PKK-Mitglied zu sein, obwohl er gegen Gewalt ist. Das ist mir völlig unverständlich.“
Die 1974 im Untergrund gegründete Sozialistische Partei Kurdistans strebt im Gegensatz zur PKK eine gewaltfreie, auf einem föderalistischen Ansatz basierende Lösung der kurdischen Frage an. In den achtziger Jahren verlegte die PSK ihr Zentrum nach Europa, 2014 wurde auf dem Parteitag die Entscheidung getroffen, in die Politik der Türkei zurückzukehren.
Dort wurde die Partei 2016 offiziell gegründet. In den regierungsnahen Medien wurde die Parteigründung mit Freude aufgenommen, da die „Kurden nun nicht mehr auf die HDP und PKK angewiesen sein werden“. Doch im Februar diesen Jahres wurde ein Parteiverbot angestrebt, da die Partei in ihrem Namen das Wort „Kurdistan“ trägt. Das Verfahren dauert noch an.
60 deutsche Staatsbürger*innen in der Türkei inhaftiert
Während Şeref Akgül freigelassen wurde, sitzt ein weiterer deutscher Staatsbürger wegen derselben Vorwürfe in Haft. Der Kölner Bekir Topgider war am 12. November in Elazığ in festgenommen worden, wo er sich für einen Familienbesuch aufhielt. Am 19. November ordnete der Haftrichter Untersuchungshaft an, da angeblich „Flucht- und Vertuschungsgefahr“ bestehe. Seitdem ist er im Hochsicherheitsgefängnis in Sincan inhaftiert. Wie Akgül besitzt auch Topgider die doppelte Staatsbürgerschaft und ist Mitglied bei der PSK und Komkar.
Die Anschuldigungen stützten sich unter anderem auf Beiträge in sozialen Netzwerken aus dem Jahr 2009, sagte Topgiders Anwalt Hasan Dağtekin taz gazete. Dağtekin kann die Begründung für die Inhaftierung nicht nachvollziehen. „Mein Mandant steht der PKK und ihren Methoden sehr kritisch gegenüber. Von der türkischen Justiz wird er jedoch mit der Begründung der Mitgliedschaft und Propaganda für die PKK und KCK festgehalten.“
In seiner Verteidigung vor Gericht wies Topgider alle Anschuldigungen zurück. Er stehe in keiner Verbindung zur PKK oder zur KCK (Union der Gemeinschaften Kurdistans). Vielmehr sei der Verband Komkar, dessen Mitglied der 60-Jährige ist, mehrfach von PKK-Anhängern angegriffen worden.
Zehra Topgider, die Frau des Inhaftierten, teilte taz gazete mit, dass das Auswärtige Amt dem Fall nachgehe, bisher jedoch ohne Erfolg. Sie selbst reiste aus Angst, selbst festgenommen zu werden, nach der Verhaftung ihres Mannes nicht in die Türkei. „Auch wenn mein Mann die PKK für ihre Fehler kritisiert hat, wird er in der Türkei mit dieser Anschuldigung vor Gericht gestellt. Die Türkei sollte diesen Irrtum sofort einsehen“, sagte sie.
Nach Aussagen des Parteivorsitzes der PSK wurden in der letzten Zeit viele im Ausland lebende Parteimitglieder in der Türkei verhaftet. Laut dem Auswärtigen Amt befinden sich in der Türkei derzeit 60 deutsche Staatsbürger*innen in Haft. 55 weitere Staatsbürger*innen dürfen die Türkei nicht verlassen, da gegen sie Ermittlungsverfahren laufen.
Aus dem Türkischen von Julia Lauenstein
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