Impfchaos auf niedersächsisch: Falsch, wieder ganz falsch
Niedersachsen wollte erst Tote impfen – und jetzt sollen kerngesunde, junge Menschen drankommen. Warum auch immer.

Niedersachsen kriegt die Impfeinladungen einfach nicht auf die Reihe Foto: Julian Stratenschulte/dpa
HANNOVER taz | Niedersachsen kommt aus dem Impf-Ärger gar nicht mehr raus. Am Anfang gab es Ärger, weil das Gesundheitsministerium auf die Adressdaten eines privaten Dienstleisters zurückgegriffen hatte, um die über 80-Jährigen für die Impfungen anzuschreiben. Man hatte darauf spekuliert, dass dies schneller ginge, als die Kommunen zu bitten, erst ihre Melderegister zu befragen und die entsprechenden Einwohner*innen dann selbst anzuschreiben.
Das ging gleich schief: Die Adressdaten waren in vielen Fällen nicht aktuell, zahlreiche Bürger*innen beschwerten sich, weil auch längst Verstorbene angeschrieben worden waren. Nun hat das Land es geschafft, das gegenteilige Malheur zu produzieren.
Dabei war der aktuelle Rundbrief doch gut gemeint: Mit Hilfe der Krankenkassen sollten all die Versicherten angeschrieben werden, die aufgrund ihrer Vorerkrankungen Anspruch auf eine Impfung innerhalb der Priorität 2 hätten. Die müssten dann nicht mehr beim Hausarzt um ein Attest bitten.
Doch auch das ging schief: Zahlreiche junge und gesunde Menschen erhielten eine entsprechende Impfberechtigung und wunderten sich, warum. Wie genau das passieren konnte, versucht man noch zu klären. Am wahrscheinlichsten erscheint es, dass für diese Versicherten irgendwann im vergangenen Jahr einmal Verdachtsdiagnosen oder falsche Diagnoseschlüssel abgerechnet worden waren, die sie nun kränker aussehen lassen, als sie sind.
Onay beklagt Impfbürokratie
Die neue Gesundheitsministerin des Landes, Daniela Behrens (SPD), bat in der vergangenen Woche eindringlich darum, dass diese irrtümlich angeschriebenen, jungen Gesunden doch bitte lieber noch zu Hause bleiben sollten.
Die Impfungen selbst werden aber ganz sicher hinreichend dokumentiert: Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) beklagte in einer Videokonferenz mit der Kanzlerin die ausufernde Impfbürokratie. Die Region hat für das Impfzentrum auf dem Messegelände Überseecontainer angemietet, um den Papierkram unterzubringen.
Bis zu acht Seiten müssen für die Impfung ausgefüllt werden. Jeden Tag fallen 50 Aktenordner an, die zehn Jahre lang aufgehoben werden müssen. Dazu kommen weitere drollige Kuriositäten wie QR-Codes, die man als Impfling zugesandt bekommt und die ausgedruckt werden müssen, damit sie dann an einer anderen Station wieder eingescannt werden können.
Leser*innenkommentare
naichweissnicht
Hoffentlich liegt man falsch mit dem Verdacht, dass diese „falschen“ Diagnoseschlüssel den Ärzten einen echten Mehrwert brachten.
Von Patienten, die irrtümlich als zu gesund diagnostiziert und darum nicht priorisiert wurden, hab ich nun aber noch nichts gehört.