Immobilienmarkt in US-Metropolen: 3 Zimmer, Küche, Gesichtserkennung
„Proptech“-Anwendungen, die Daten über Mieter*innen sammeln können, spitzen die Lage auf dem prekären US-Immobilienmarkt nachhaltig zu.
Fabian Rogers fühlt sich über-überwacht. Der 25-Jährige wohnt in Brownsville, Brooklyn, in den Atlantic Plaza Towers. Zwei Wohntürme, 24 Stockwerke, sie stehen hier seit den 1960er Jahren. Die Hausverwaltung Nelson Management wollte im Juli 2018 Gesichtserkennungssoftware an den Eingangstüren anbringen. „In jeder Ecke des Gebäudes hängt eine Kamera, die Türwächter sind Tag und Nacht im Einsatz, drehen ihre Runden im Haus. Wozu brauche ich da noch Gesichtserkennung, um ins Gebäude zu kommen“, fragt Rogers im Zoom-Call.
„StoneLock“ heißt die Firma, die diese Technologie anbietet. Wer ein Gebäude betreten möchte, stellt sich vor ein Interface, einen kleinen schwarzen Kasten mit Kamera und Nummernblock. Infrarotstrahlen scannen das Gesicht und erstellen daraus ein Wärmebild. Das suggeriert Sicherheit. Rogers und die anderen Mieter*innen sahen darin sinnlose Schikane. Sie organisierten sich, bauten ein Jahr lang medialen Druck auf, bis der Vermieter bei einem Townhall-Meeting mit lokalen Politiker*innen einen Rückzieher machte und sein Vorhaben öffentlich begrub.
Zu Tausenden drängen Start-ups wie StoneLock derzeit in die US-Immobilienwirtschaft, sie laufen weithin unter dem Label „Proptech“, also Property Technology und stehen für die Digitalisierung auf dem Immobilienmarkt. Vom automatisierten Bietverfahren für Immobilien bis hin zur Nummernschilderkennung vorbeifahrender Autos – es gibt nichts, das es nicht gibt. Unternehmen wie „CoreLogic“ oder „Naborly“ durchleuchten potenzielle Mieter*innen für Vermietergesellschaften. Waren Bewerber*innen in der Vergangenheit bei Mietzahlungen im Verzug? Haben sie Schulden oder sind sie vorbestraft?
Beide Firmen verkaufen diese Daten in Paketen. „Dabei greifen sie angeblich sogar auf Informationen aus FBI-Datenbanken zurück“, weiß Erin McElroy. McElroy forscht am AI Now Institute der New York University zu künstlicher Intelligenz und Ethik und schaut besorgt auf die Weiterentwicklung dieser Technologien während der Covid-19-Pandemie: „Firmen wie Naborly bewerben ihre Services derzeit sehr offensiv, sie nutzen die Situation aus. Da viele Menschen momentan ihre Mieten nicht regelmäßig zahlen können, rechne ich mit einer großen Zwangsräumungswelle“.
Verscherbeln oder abreißen
Mieter*innen fällt es schwer, sich gegen solche Maßnahmen zu organisieren, da sie oft gar nicht wissen, wer ihre Vermieter*innen sind. Nach der Finanzkrise 2008 kauften Investmentgesellschaften wie „Blackstone Immobilien“ zu sehr günstigen Preisen Wohneinheiten auf. Da die Eigentümer*innen ihre Hypotheken nicht mehr zurückzahlen konnten, blieben die Banken, denen viele dieser Immobilien gehörten, auf dem Geld sitzen und verscherbelten sie oder ließen sie abreißen. „Unternehmen wie Blackstone haben viele Unterfirmen, über die sie Immobilien erwerben. Bei Hunderten Einheiten in einer Stadt wird das schnell undurchsichtig“, sagt McElroy.
Deswegen hat McElroy mit anderen Freiwilligen 2013 das „Anti Eviction Mapping Project“ ins Leben gerufen. In einer Art digitalem Katalog werden Zwangsräumungen in San Francisco, Chicago und New York dokumentiert. Entwickler*innen, Datenwissenschaftler*innen und Historiker*innen bringen Licht ins Dickicht der Unterfirmen, sie finden heraus, wer genau Zwangsräumungen einleitet.
Das Projekt dient unter anderem als Recherchewerkzeug für Mieter*innenvereinigungen, die sich vor Ärger mit ihren Vermieter*innen schützen wollen. Ähnlich funktioniert auch „Landlord Tech Watch“, co-initiiert von McElroy. Auf dieser Onlinekarte können Mieter*innen selbst kennzeichnen, wenn ihre Vermieter*innen unerwünschte Technologien anbringen – wie das StoneLock-System in den Brooklyner Atlantic Plaza Towers.
„Die Hausverwaltung hat uns nie persönlich darüber informiert, dass sie irgendwelche Gesichtsscanner anbringen möchte“, erinnert sich Fabian Rogers. Das hat mit der Konstellation zu tun, in der diese Gebäude verwaltet werden: Die Mieten der Atlantic Plaza Towers sind reguliert, sie dürfen nur um einen gewissen Prozentsatz pro Jahr steigen. Rogers’ Dreizimmerapartment kostet 1.200 US-Dollar, weit weniger als der gängige New Yorker Marktpreis. Die New York State Division of Housing and Community Renewal (DHCR) überwacht, ob sich Eigentümer*innen wie Nelson Management an diese Regelung halten.
Gleichzeitig funktioniert die DHCR als Mittelsmann für die Mieter*innen, wenn Eigentümer*innen Änderungen am Haus vornehmen wollen. „Nelson bat also bei der DHCR um Erlaubnis, StoneLock bei uns zu installieren. Die haben das durchgewinkt und uns einen Wisch mit einer Bearbeitungsnummer zukommen lassen. Wir haben uns dann mühsam alle Infos zusammengesucht und waren entsetzt“, erklärt Fabian Rogers.
Testlabor Wohnhaus
StoneLock hat mit seiner Wärmebild-Technologie bisher kaum Erfahrungen im Wohnungsmarkt gesammelt. Die Firma arbeitete bisher eher mit anderen Unternehmen oder Behörden zusammen. „Sie wollten uns als Testlabor benutzen, und Nelson Management hätte daran mitverdient“, sagt Rogers, „solche Start-ups sind vollkommen unreguliert, sie können machen, was sie wollen. Wir hatten keine Ahnung, wie und wo unsere Daten gespeichert werden sollten, ob man sie an Dritte hätte weitergeben können.“
Rogers wohnt seit 15 Jahren hier, er hat die Wohnung von seinen Eltern übernommen. Er kennt die Gegend gut, ist in Brooklyn aufgewachsen. Für ihn sind solche Proptech-, oder, wie sie auch genannt werden, Landlord-Tech-Anwendungen Werkzeuge der Überwachung und der Gentrifizierung. Vermieter*innen wie Nelson Management können durch solche kosmetischen Eingriffe Schlupflöcher in der Regulierung durch die DHCR nutzen, sie können den Wert der Einheiten schleichend steigern, Gebäude in höhere Kategorien umwidmen und so Mieter*innen herausdrängen.
Rogers sagt: „Es wäre wichtiger, hier mal zu streichen oder ein paar Rohre auszutauschen. Solche Technologien sind für uns nutzlos. Zwar werten sie eine Immobilie auf, weil sie vermeintlich mehr Sicherheit garantieren. Das interessiert aber nur Mieter*innen, die sich die hohen Marktpreise in der Stadt auch leisten können. Uns hier interessiert das nicht. Es ist eher belastend.“
Die Menschen die hier leben, sind alle „black and brown“, wie Rogers sagt „die Gegend ist schon immer afroamerikanisch geprägt, all meine Nachbar*innen sind Afroamerikaner*innen, Menschen aus dem Mittleren Osten, nichtchinesische asiatischstämmige Menschen, Hispanics. Die wollen über die Runden kommen und haben eigentlich keine Zeit, sich zu engagieren.“
Praktisch aber undurchsichtig
In den letzten sechs Jahren haben sich die Investitionen in der Proptech-Branche um bis zu 27 Milliarden Dollar verneunfacht. Vermieter*innen und manchen Mieter*innen machen die neuen Proptech- oder Landlord-Tech-Anwendungen wirklich das Leben leichter. Wer seine Miete mit dem Smartphone zahlt, wird direkt elektronisch von dem*der Vermieter*in erfasst. Wer nur noch einen Chip an die Tür halten muss, um sie zu öffnen, gleitet leichter durch die Welt – und wird gleichzeitig datentechnisch registriert. Was mit diesen Daten passiert, wie, wo und wie lange sie gespeichert werden, das ist bei vielen dieser Anwendungen unklar.
Weniger wohlhabenden Menschen können diese Technologien das Leben auf den ohnehin schwierigen, prekären urbanen Wohnungsmärkten noch schwere machen, als es ohnehin schon ist – besonders im Hinblick auf die noch unabsehbaren Folgen der Pandemie.
Fabian Rogers arbeitet aufgrund seines Engagements seit einer Weile als Berater bei einer Organisation, die Menschen dabei hilft, sich gegen ungewollte Überwachung in ihren Lebensräumen zu wehren. Der Name der Organisation: Surveillance Technology Oversight Project. Das Akronym: S.T.O.P.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten