Immobilienaufwertung in Berlin: Wenn die Verdrängung klingelt
In einem Neuköllner Milieuschutzgebiet wertet ein Eigentümer sein Haus auf – ohne Genehmigung. Kein Einzelfall: Die Bewohner fühlen sich machtlos.

Seit 2022 hat das Haus eine Videogegensprechanlage. Dank derer können die Mieter nicht nur mit denen sprechen, die an der Haustür klingeln. Sie sehen auch ein Bild, das die hinter der kleinen Glasscheibe gelegene Kamera vom Hauseingang aufnimmt. Doch ob die Anlage auch dorthin gehört, darüber streitet sich der Eigentümer nicht nur mit seinen Mietern, sondern auch mit dem Bezirk.
Zu sehen, wen man ins Haus lässt, kann zweifelsohne Vorteile haben. Deshalb werden insbesondere hochpreisige Neubauten regelmäßig mit solchen Videogegensprechanlagen ausgestattet. Doch genau da liegt das Problem: Die Niemetzstraße 8 ist kein Neubau. Zudem liegt sie im Neuköllner Milieuschutzgebiet Rixdorf.
In Milieuschutzgebieten müssen Modernisierungen durch das Bezirksamt genehmigt werden. Ein Eigentümer kann nicht ohne Erlaubnis bauliche Aufwertungen an einem Haus vornehmen. Damit soll verhindert werden, dass sich infolge von Mieterhöhungen nach Modernisierungen die Zusammensetzung der Bevölkerung in den Quartieren verändert.
Mehrere Fälle
Erst im Juni hatte die taz über einen Fall im Milieuschutzgebiet Rixdorf berichtet, bei dem das Unternehmen Covivio ohne Genehmigung energetische Sanierungen durchführte. Auch der Eigentümer in der Niemetzstraße 8 hatte für den Einbau der Videosprechanlage keine Genehmigung. Den Mietern wurde der Einbau trotzdem als Modernisierungsmaßnahme angekündigt.
Erst nach Aufforderung des Bezirksamtes stellt der Eigentümer einen Antrag, den das Bezirksamt im Dezember 2022 ablehnte. Für den Bezirk ist die Modernisierung nicht mit dem Milieuschutz vereinbar. Warum die Anlage trotz fehlender Genehmigung dennoch eingebaut wurde, beantwortet der Eigentümer auf taz-Anfrage nicht. Ein Mitarbeiter will stattdessen wissen, woher die taz von der Angelegenheit erfahren hat.
Der Eigentümer Armin H. hat auch in Kreuzberg in der Oppelner Straße 20 bereits den Unmut der Nachbarschaft auf sich gezogen. Im Wrangelkiez hatte der Kinderladen „Irgendwie Anders“ lange Zeit gegen eine Mieterhöhung durch H. protestiert. Mittlerweile ist er deswegen aus dem angestammten Kiez nach Mitte gezogen.
Auch die Mieter aus der Niemetzstraße 8 sind nicht gut auf den Eigentümer und die wechselnden Hausverwaltungen zu sprechen. Die Namen der Mieter sind der taz bekannt, aus Angst vor negativen Konsequenzen wollen sie aber anonym bleiben. Die Bewohner berichten, dass den Mietparteien, die die Modernisierungsarbeiten nicht geduldet haben, über Monate hinweg Klingel, Gegensprechanlage und Türöffner abgestellt worden seien. Dadurch sei es ihnen nicht mehr möglich gewesen, Besuch über die Klingelanlage ins Haus zu lassen.
Nachgeben auf Druck hin
Manche hätten wegen des Drucks der Hausverwaltung und dem Wunsch nach einer funktionierenden Gegensprechanlage schließlich nachgegeben. Mit anderen hat sich der Eigentümer vor Gericht geeinigt. Inzwischen habe nur noch eine Mieterin im Haus den Einbau nicht akzeptiert, die sei vom Eigentümer auf Duldung des nicht genehmigten Einbaus verklagt worden. Gleichzeitig versucht er, die fehlende Genehmigung vom Bezirk einzuklagen – bisher erfolglos.
In der Begründung des Verwaltungsgerichts zur Abweisung der Klage, die der taz vorliegt, heißt es, dass solch eine Videogegensprechanlage einen teureren Weiterverkauf von Wohneinheiten und eine höherpreisige Vermietung ermöglicht. Dazu komme, wenn einmal eine solche Anlage genehmigt werde, könnten Eigentümer umliegender Häuser nachziehen – was letztlich eine Aufwertung des ganzen Quartiers nach sich ziehe.
Der Eigentümer ist gegen das Urteil in Berufung gegangen. Sollte die abgewiesen werden, muss der Eigentümer die Anlage zurückbauen. „Innerhalb des Ordnungswidrigkeitsverfahrens kann dann auch ein Bußgeld verhängt werden“, heißt es seitens des Bezirksamts. Bis dahin kann jedoch noch einige Zeit vergehen. „Es kann doch nicht sein, dass offensichtlich rechtswidriges Verhalten von Eigentümern solange nicht sanktioniert wird, bis alle Mieter resigniert haben“, zeigt sich eine Mietpartei frustriert.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Treibhausgasbilanz von Tieren
Möchtegern-Agrarminister der CSU verbreitet Klimalegende
Ägyptens Pläne für Gaza
Ägyptische Firmen bauen – Golfstaaten und EU bezahlen