Imagekampagne für Handwerksberufe: Die philosophierende Tischlerin

Das Handwerk hat ein Imageproblem. Immer mehr junge Menschen wollen lieber Kopfarbeit verrichten. Nun soll's eine Kampagne richten.

Frau mit Ohrenschützern an einer Werkbank

Je „geistiger“ ein Beruf wirkt, desto angesehener wird er wahrgenommen. Das ist Quatsch Foto: imago/Christian Vorhofer

BERLIN taz | Jimmy Pelka ist ein toller Typ. Er pendelt zwischen Bad Mergentheim und den Arabischen Emiraten hin und her, rüstet Luxusautos von Scheichs und Autofans auf und fährt selbst Porsche. Auf Instagram sieht man den gelernten KFZ-Mechaniker und Firmenchef durch die Gegend düsen, irgendwo in der Wüste, neben ihm ein arabischer Auftraggeber.

Ein aufregendes Leben führt auch Johanna Röh, Tischlerin. Sie hat nach ihrer Lehre die Welt bereist, in den USA, in Südamerika, in Asien gearbeitet. Man sieht sie in Kluft neben einem japanischen Meister, einem Sensei, sitzen. Jetzt führt sie einen ökologisch orientierten Tischlereibetrieb in Deutschland und wirbt in den sozialen Medien für das Handwerk.

HandwerkerInnen sind cool – das ist die Botschaft einer Imagekampagne des Handwerks, die schon länger läuft, aber jedes Jahr immer wieder ein bisschen aufgemöbelt wird. Pelka und Röh sind die neuesten BotschafterInnen in den sozialen Medien. Davor sah man Plakate mit einer Friseurin und dem Spruch: „Ich schneide keine Haare. Ich rette dein nächstes Date“. Oder einen Heizungstechniker mit: „Die Welt war noch nie so unfertig. Heiz ihr ein“.

„Ich halte die Imagekampagne für richtig“, sagt Joachim Gerd Ulrich, Berufswahlforscher beim Bundesinstitut für Berufsbildung (BiBB), „denn die Kampagne richtet sich nicht nur an junge Leute, sondern auch an die Allgemeinheit. Das ist klug, denn die Berufswahl findet stets auf einem ‚sozialen Resonanzboden‘ statt, wird also auch davon beeinflusst, wie Dritte über Berufe denken“.

Der soziale Resonanzboden ist hart geworden für das Handwerk, das Vielen als die mindere Lehre gilt im Vergleich zu einer intellektuellen, einer technischen, einer kaufmännischen Ausbildung. „Das Problem ist das Abitur, die meisten Schüler wollen heute das Abitur machen. Und dann heißt es: ‚Ich mache doch nicht das Abitur, um Handwerker zu werden‘“, berichtet Daniela Wilke, Berufsberaterin bei der Bundesagentur für Arbeit in Berlin, „außerdem herrschen immer noch die alten Vorurteile über das Handwerk“.

Zahl der unbesetzten Lehrstellen vervierfacht

Ackerei ohne Ende, kaputte Knie, Staub und Schmutz auf der Hose, wenig Geld und irgendwelche privaten Auftraggeber, die immer was zu mosern haben und sich toll fühlen, wenn sie dem Handwerker einen Fünf-Euro-Schein als Trinkgeld in die Hand drücken – Gewinner sehen anders aus.

Das Imageproblem hat Folgen: Die Zahl der unbesetzten Lehrstellen im Handwerk hat sich innerhalb von zehn Jahren bis zum Jahre 2018 vervierfacht, so das BiBB. Ende August 2019 seien im Handwerk noch 30.000 Ausbildungsplätze offen gewesen, heißt es beim Zentralverband des Deutschen Handwerks. 368.000 Auszubildende gab es 2018 im Handwerk. Und 2,8 Millionen Studierende.

Auch bedingt durch die Demographie hat sich der Lehrstellenmarkt gewandelt, „weg von einem Markt für die Betriebe hin zu einem Markt für die Bewerber und Bewerberinnen“, sagt Susanne Eikemeier, Sprecherin bei der Bundesagentur für Arbeit.

Was junge Leute wollen, was sie sich von einem Beruf erwarten, ist daher mehr und mehr in den Fokus der Forschung gerückt. Die Familie nehme großen Einfluss, betont Ulrich. „Eltern wollen in der Regel, dass ihr Kind einen höherwertigen oder zumindest gleichwertigen Bildungsabschluss erlangt als sie ihn selbst haben“, sagt er. Viele Eltern, die studiert haben, wollen nicht in ihrem akademischen Bekanntenkreis erklären müssen, dass ihr Nachwuchs „nur“ Handwerker lernt, während die Kinder der andern irgendwo im Ausland studieren. „Dieses Anerkennungsbedürfnis der Eltern in Hinblick auf Bildung und Beruf der Kinder ist nicht zu unterschätzen“, so Ulrich.

Gestalterin für visuelles Marketing klingt besser als Dekorateurin

Laut einer Befragung bei Neunt- und Zehntklässlern an zumeist allgemeinbildenden Schulen kam für fast die Hälfte der jungen Befragten eine spätere Arbeit im Handwerk nicht in Frage, bei Mädchen noch weniger als bei Jungen. Noch am stärksten ausgeprägt war die Neigung zum Handwerk, wenn zumindest ein Elternteil selbst eine Handwerkslehre durchlaufen hatte oder wenn es im Verwandtenkreis weitere HandwerkerInnen gab.

Aber hier sei zu differenzieren, sagt Wilke. „Wenn die Eltern glücklich und erfolgreich waren in ihrem Handwerksberuf, dann raten sie den Kindern zu. Wenn sie aber selbst Phasen der Arbeitslosigkeit, vielleicht sogar die Insolvenz eines Kleinbetriebs erlebt haben, dann werden sie abraten vom Handwerk“.

Der Verdienst schreckt manche ab

Dabei spielt der Verdienst eine große Rolle. Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung kam in einer Untersuchung zu dem Schluss, das ArbeitnehmerInnen im Handwerk im Schnitt 20 Prozent weniger verdienen als Beschäftigte in der Gesamtwirtschaft, in der AkademikerInnen die Verdienste nach oben ziehen. Auch die Tatsache, dass HandwerkerInnen meist in kleinen Betrieben arbeiten, in denen mancherorts nicht mal Tariflöhne gezahlt werden, drückt den Verdienst.

Wer mehr Geld verdienen will, muss nach dem Gesellenbrief den Meisterbrief erwerben und sich selbständig machen. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks weist in einer Erklärung daraufhin, dass Handwerker mit Meisterbrief im Berufsleben „etwa gleich viel oder sogar mehr als Bachelorabsolventen“ verdienen können.

Doch der Weg zum Meister erfordert Durchhaltevermögen. Und die Imagefrage bleibt: Nicht nur die Herkunftsfamilie, auch Gleichaltrige, potentielle PartnerInnen, entscheiden über das soziale Ansehen eines Berufes und damit auch darüber ob junge Leute eine Ausbildung im Handwerk beginnen. „Viele Frauen haben heute höhere Schul- und Studienabschlüsse, sie wollen in der Regel Männer, die einen ebenso hohen Abschluss haben, wer ein Handwerk erlernt, fürchtet dann möglicherweise um die Chancen auf dem Partnerschaftsmarkt“, sagt Ulrich.

Ulrich berichtet auch davon, dass junge Frauen in der Universitätsstadt Heidelberg, die selbst Einzelhandelskauffrau lernten, ihre berufliche Ausbildung lieber verschwiegen und sich als Studentinnen ausgaben, um für die Jungs von der Uni interessanter zu wirken.

Trennung zwischen Geist und Körper

Das Image, das ein Beruf habe, gründe oftmals noch „auf dem alten Schisma, der Trennung zwischen körperlicher und geistiger Arbeit“, sagt Ulrich. „Je ‚geistiger‘ ein Beruf wirkt, desto angesehener ist er“. Körperliches Geschick werde hingegen nicht so hoch bewertet, haben die Befragungen ergeben.

Wobei körperliches Geschick bei einigen akademischen Berufen entscheidender sein kann als Intellektualität, wie jeder weiß, der schon mal an einen ungeschickten Zahnarzt geraten ist. „Chirurgen, Zahnärzte üben letztlich handwerkliche Tätigkeiten aus, aber sie legen immer Wert darauf, dass es akademische Berufe sind“, sagt Ulrich. Umgekehrt erfordert heute das Handwerk eines Anlagenmechanikers sehr gute mathematische und technische Kenntnisse.

Die Assoziationsketten, die eine Tätigkeit auslöst, entscheiden mit über deren Image, zeigt sich auch in den Statistiken über unbesetzte Lehrstellen der Bundesagentur für Arbeit. Alles was in Richtung Schmutz, Abfall, Tod geht, ist schlechter angesehen als Tätigkeiten, die irgendwas mit Kultur, Kunst, Schönheit zu tun haben. Klempner werden nicht so wertgeschätzt wie Goldschmiede, Müllfahrer sind nicht so angesehen wie Privatchauffeure, Fleischer sind nicht so beliebt wie Konditoren. Obwohl die Gesellschaft eher zusammenbrechen würde, wenn es keine Klempner und Müllfahrer gäbe als wenn man auf Privatchauffeure und Goldschmiede verzichten müsste.

„Manchmal kann man mit einer Änderung der Berufsbezeichnung schon eine Aufwertung erreichen“, sagt Ulrich, “‚Gestalterin für visuelles Marketing‘ klingt anspruchsvoller als ‚Schaufensterdekorateur‘, obgleich es sich um den selben Beruf handelt.“ Auch Fachkraft für Kreislauf- und Abfallwirtschaft klingt besser als „Müllmann“.

Zehn Millionen Euro pro Jahr fürs Image

Das Image einer Tätigkeit wird durch die Medien mitgeprägt. Als vor Jahren im deutschen Fernsehen die US-Amerikanische Serie „Six Feet Under“ lief, über eine Bestattungsfirma und das aufregende Leben der BestatterInnen, da bekundeten plötzlich mehr junge Leute Interesse an einer Ausbildung zum Bestatter, erzählt Wilke. „Wir bräuchten mal eine richtig coole Serie, die sich um eine Handwerksbude dreht“, meint sie, „sonst sieht man doch immer nur Serien mit Ärzten, Rechtsanwälten oder einer Werbeagentur“.

Die Imagekampagne, gesteuert vom Zentralverband des Deutschen Handwerks, kostet zehn Millionen Euro im Jahr, läuft schon seit 2010 und soll auch noch über das Jahr 2020 hinaus weitergehen, heißt es beim Verband. Mit Plakaten, Werbebannern, Spots auf Youtube, Instagram und in anderen sozialen Medien wird geworben.

Am Image des Handwerks arbeitet auch Bildungsministerin Anja Maria-Antonia Karliczek (CDU). Sie will den Begriff „Bachelor Professional“ als Ergänzung für einen Handwerker mit Meistertitel einführen. Der Bundesrat ist dagegen, weil ein „Bachelor“ nun mal etwas anderes sei als ein berufserfahrener Handwerksmeister. Der Bundesrat schlug den Begriff des „Junior Professionals“ als Ergänzung für einen Meistertitel vor, was umgehend den Zentralverband auf die Barrikaden brachte, der es lächerlich findet, gestandene Handwerksmeister als „Juniors“ zu titulieren.

Wilke beobachtet aber eine Trendwende, die das Handwerk positiver dastehen lässt. Das liegt nicht nur am Fachkräftemangel im Handwerk, der vielen privaten KundInnen inzwischen unangenehm auffällt, wenn sie lange auf Termine warten müssen. „Wenn den jungen Leuten klar wird, dass sie nach einer Ausbildung im Handwerk aufsteigen, sich selbständig machen, ein Studium anschließen können, dann entscheiden sie sich vielleicht doch, nach dem Abitur erstmal eine handwerkliche Ausbildung zu beginnen“, erzählt sie.

Das Motto der Imagekampagne des Handwerks mit dem technisch ausgefuchsten Autotuner, der weitgereisten philosophierenden Tischlerin, dem futuristischen Modellbauer, lautet: „Ist das noch Handwerk?“. Es ist der Versuch, die Unterordnung der „Handarbeit“ unter die „Kopfarbeit“ ad absurdum zu führen. Und das ist gut so.

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