Im Theatermuseum München: Helden der Hinterbühne
Das Handwerk lebt! Erst mit Künsten aus vielen Händen kann eine Theaterinszenierung entstehen. Das ist zu erleben im Deutschen Theatermuseum München.

„Die im Dunkeln sieht man nicht“, ließ Bertolt Brecht in der „Dreigroschenoper“ seinen Mackie Messer singen. Und was für die Klassengesellschaft gilt, stimmt auch fürs Theater. 450 Menschen waren an der Entstehung der neuen „Romeo und Julia“-Inszenierung am Münchner Residenztheater beteiligt. Davon sind auf der Bühne zu sehen: 12 Schauspieler*innen, vier Musikerinnen und drei Live-Kameramänner. Für die braucht es allerdings schon einen genaueren Blick.
Der Rest denkt und lenkt, baut, schneidert und agiert hinter den Kulissen. Ganze 16 Gewerke hat die Ausstellung „making THEATRE“ gezählt, mit der das Deutsche Theatermuseum in München beleuchtet, wie ein Theaterereignis entsteht.
Dafür war es live bei den Proben zu „Romeo und Julia“ dabei und hat allen Beteiligten, wie Resi-Intendant Andreas Beck bei der Vorbesichtigung salopp bemerkte, „nicht nur über die Schulter, sondern in die Unterwäsche geschaut“.
Das Theater macht sich nackt
Im Mai war Premiere, im Juni wurde die Ausstellung eröffnet. Eine derartige „Live-Kuration“ ist ein Wagnis für beide Seiten. Das Kurator*innenteam muss mit Stift, Mikro und Kamera Mäuschen spielen, ohne den Prozess allzu sehr zu beeinflussen. Und das Theater macht sich nackt, indem es seine eigentlich geschützten Probenräume und Werkstätten öffnet.
Making Theatre. Wie Theater entsteht, bis 12. April 2026, Di. bis Fr., 11 bis 17 Uhr, Deutsches Theatermuseum, Galeriestraße 4a, München. www.deutschestheatermuseum.de
Chapeau der jungen Regisseurin Elsa-Sophie Jach, die sich dem freiwillig ausgesetzt hat. Und das, geht man nach den vielen Videos, die sie beim lauten Nachdenken oder in Gesprächen mit anderen zeigen, offenbar auch noch stets freundlich und entspannt.
Ohnehin geht es in dieser Ausstellung weniger um die sensible Künstlerseele als um das Theater als Organismus. Die Ausstellungsarchitektur von Sigi Colpe versinnbildlicht das durch Theaterlatten, die sich zu immer komplexeren Gebilden gruppieren, je näher es auf die Premiere zugeht. Irgendwann steht da ein verästeltes „Theaterwesen“ im Raum.
Doch schon im Eingangsbereich des Museums geht man durch einen Lattenwald, auf dem „Wir sind viele“ steht. Es bleibt nicht der einzige Wink in Richtung Politik, die oftmals keinen Schimmer hat, auf welchen Arbeitsmarkt ihre Sparvorgaben treffen.
Blick hinter die Kulissen
Darüber hinaus richtet sich die Ausstellung an Theatergänger, die gerne mal hinter die Kulissen schauen wollen, aber auch an junge Menschen auf Orientierungssuche, welcher Job für sie passt. Spezielle Führungen für Schüler wenden sich unter dem Titel „Wer macht Theater?“ explizit an alle Schulformen.
Denn was man hier sieht, sind nicht nur Leckerbissen für Spezialisten wie die „First Folio“ von 1623, eine seltene Erstausgabe von Shakespeares Werken, oder eine Timeline mit den technischen Meilensteinen in der Geschichte des Residenztheaters von 1986 bis heute, sondern vor allem Menschen bei der Arbeit.
So zeigen kurze Videos, wie die Regie mit der Dramaturgie diskutiert, die Kostümbildnerin mit den Gewandmeister*innen Stoffe aussucht oder die Maskenabteilung mit der Julia-Darstellerin Lea Ruckpaul das Volumen ihrer Perücke überprüft und bespricht, wie viel Zeit bei der Aufführung für die Kostümwechsel sein wird.
Musikprobe, Schlosserei, Schreinerei
Kuratorin Maren Richter interessierte vor allem der „mäandernde Suchprozess“ des Ausprobierens und Verwerfens, schön nachzuvollziehen am Bühnenbild, das von der Fantasie seiner Erfinderin Marlene Lockemann bis zur Fertigung durch diverse Hände geht und durch technische und handwerkliche Expertisen modifiziert wird. Es gibt eine Aufnahme von der ersten Musikprobe, Momentaufnahmen aus Schlosserei, Schreinerei und der Logistik der Transportabteilung und Geruchsproben aus dem Malersaal.

Sehr witzig sind die kolorierten Zeichnungen im Comic-Stil, in denen Lisa Frühbeis besondere Momenten festgehalten hat. Von der Schauspielerin, die bei der Hitze nicht in ihre Strumpfhose kommt über die choreografische Feinjustierung („Pujan, mehr nach rechts!“, „Thomas, kannst du nochmal …“) bis zum Bühnenmeister, der vor der Premiere nochmal die Hydraulik kontrolliert.
Den komplettesten Einblick aber bietet eine Video-Installation im letzten Raum, die auf drei Wänden einen dreistündigen Mitschnitt der Generalprobe zeigt. Man sieht allerdings nur die Hinterbühne, wo der Inspizient und die Tontechnikerin an ihren Pulten sitzen und Schauspieler*innen auf ihren Auftritt warten, und die Seitenbühnen, wo ab und zu mal jemand durchs Bild läuft oder ein Signal blinkt.
Und über all dem schwebt das beruhigende Gefühl, dass alle auf ihrem Posten sind. Nur die, die vorne im Rampenlicht stehen, sieht man ausnahmsweise nicht. Dafür muss man schon die paar Meter rüber ins Residenztheater wechseln, wo Jachs „Romeo und Julia“ sicher noch eine ganze Weile gezeigt werden wird.
Mit Abstand geschaut
In Zeiten knapper Kassen „dem Theater eine Lanze brechen“ wollte Kuratorin Richter. Und das ist ihr gelungen. Dass die Historikerin selbst keine Theater-Insiderin ist und mit Abstand auf ihren Gegenstand schaut, trägt zur Niederschwelligkeit der Ausstellung bei. Für Leute vom Fach mögen einige der Erklärtexte und Zitate an der Wand zu basal sein, dafür gibt es ein bisschen was zu jedem Bereich, von Infos zur Inklusion im Theater bis zur interaktiven Spielerei.
Und auch bestehende Hierarchien leugnet diese museale Transparenzoffensive nicht: Schaubilder zeigen, wie es um das Thema Machtmissbrauch bestellt ist, dass 28 Prozent der am Theater Beschäftigten unter 2.000 Euro verdienen und wer die längsten Arbeitszeiten hat. Spoiler: Frauen – und hier vor allem die zahlreichen Assistentinnen.
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