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Im Land der Sonderverkäufe

Die Hausfrau Junko Kaneda erwirbt das neue Auto lieber später: sie rechnet mit einer weiteren Preissenkung. Vor allem weil die Leute zu wenig kaufen, schlittert Japan in die Rezession. Das Bruttoinlandsprodukt schrumpft schon im zweiten Quartal.

aus Tokio ANDRÉ KUNZ

Der Mitsubishi-Händler bietet das Sonderangebot des Jahrzehnts an, doch Junko Kaneda schüttelt zweifelnd den Kopf. In einem letzten Anlauf senkt der Händler den Preis des Familienwagens noch mal um drei Prozent und offeriert dazu die Stereoanlage mit Minidisk-Player und einen Babysitz gratis. Jetzt ist der Neuwagen günstiger als ein vergleichbares Modell auf dem Gebrauchtwagenmarkt. Junko Kaneda telefoniert kurz mit ihrem Mann Taka und winkt dann definitiv ab. „Das ist ein Superangebot, aber es wäre ein Fehler, jetzt zu kaufen“, sagte die 31-jährige Hausfrau. „In einem halben Jahr erhalten wir denselben Wagen zehn Prozent günstiger.“

Dann erst brauchen die Kanedas einen anderen Wagen, da ihr Subaru nur mit teuren Reparaturen durch die Fahrzeugkontrolle käme. Kunden, wie die Kanedas sind nicht nur ein Albtraum für Autohändler, sondern auch für die japanische Regierung, die gerade Wege sucht, um das Land aus einer gefährlichen Deflationsspirale zu führen. Statt zu konsumieren, um damit die Konjunktur anzukurbeln, schnallen die Konsumenten ihre Gürtel noch enger. Sie sparen, suchen Sonderangebote und schieben große Anschaffungen immer länger hinaus.

Das deflationäre Umfeld in Japan hat sich auch nach dem Wechsel der Regierung in Tokio nicht geändert und dürfte auf das Reformvorhaben des neuen Ministerpräsidenten Junichiro Koizumi einen großen Einfluss haben. Wenn nämlich die japanischen Hausfrauen weiter den Konsum verweigern, dann schlittert Japan in eine lang dauernde und schwere Rezession ab und die Deflation wird sich noch verschärfen.

Junko Kaneda braucht nicht Volkswirtin zu sein, um zu wissen, dass ihr Nein beim Autohändler mithilft, die Rezession in Japan zu verschlimmern. Aber Junko, die nun seit drei Monaten schwanger ist, musste ihre Stelle als Sekretärin in einem mittleren Betrieb aufgeben, und ihr gleichaltriger Mann Taka verdient gerade genug, um die bald dreiköpfige Familie ordentlich zu ernähren.

„Wir müssen wirklich jeden Yen zweimal drehen, bevor wir ihn ausgeben“, sagt Junko und zählt in einem Atemzug fünf neue Discountgeschäfte auf, die seit kurzem zu ihren Einkaufsfavoriten gehören. Ihr Mann Taka, der in einer Agentur für Graphikdesign im Verlagsviertel Kanda arbeitet, gibt handfeste Gründe für die Sparfreude an. „Die neue Regierung sieht die Wirtschaftslage realistischer und sagt eine längere Rezession voraus. Wir sehen das anhand der Aufträge und die gehen zurück, obwohl wir inzwischen günstiger arbeiten als vor drei Jahren“, erklärt Taka. Allein im ersten Quartal 2001 hatte ihre Agentur 30 Prozent weniger Aufträge erhalten, und Taka war gezwungen, freie Aufträge im Freundeskreis zu suchen. Er rechnet sogar damit, dass er schon in einem halben Jahr das Familieneinkommen zur Hälfte mit freien Aufträgen verdienen muss.

Dabei gehören die Kanedas zu den jungen Japanern, auf die Ministerpräsident Koizumi als Anhänger zählen kann. Taka und Junko sind überzeugt, dass Japan nur aus seiner zehnjährigen Wirtschaftskrise herausfinden kann, wenn das Land sein Schuldenproblem im Finanzsektor, in der Binnenindustrie und im öffentlichen Haushalt in den Griff bekommt. Dabei blicken sie vor allem auf die öffentliche Verschuldung, die in diesem Jahr rund 130 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts (BIP) betragen wird. „Meine Eltern bangen um ihre Renten, und ich erhalte als Angestellter eines Kleinbetriebes bei einem Stellenverlust so gut wie keine Arbeitslosenunterstützung. Da gibt es nur eines: sparen und hoffen, dass diesmal die Regierungsreformen wirklich eine Verbesserung bringen.“

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