piwik no script img

Im Berliner Nahverkehr„Wollen Sie sich setzen?“

Immer häufiger werden unserer Kolumnistin Sitzplätze in S- und U-Bahnen angeboten. Dabei ist sie doch noch gar nicht so alt. Oder?

Ab welchem Alter bietet man eigentlich Menschen einen Sitzplatz an? Foto: Jürgen Ritter/imago

N eulich ist es mal wieder passiert, zum dritten Mal schon. „Wollen Sie sich setzen?“, fragte mich ein Mädchen, geschätzte 15 Jahre alt, in der Straßenbahn. Sie bot mir ihren Sitzplatz an und dabei waren Christoph und ich kerngesund an einem Samstagabend unterwegs zu einem Essen bei Freunden in Berlin-Weißensee. Kein Wackeln, keine Totenblässe auf unseren Gesichtern, und hochaltrig sind wir doch auch noch nicht. Das Mädchen sagte etwas auf Polnisch zu einer Freundin neben ihr, dann standen beide auf.

Ich lächelte tapfer, Christoph ist ohnehin cool, und so bedankten wir uns beide und setzten uns. Drei Wochen zuvor war uns in der S-Bahn Ähnliches passiert. Eine Frau, kaum jünger als ich, hatte sich neben mir auf der Sitzbank niedergelassen. Ihr Mann blieb stehen. Gegenüber hatte sich Christoph auf einen Platz gesetzt. Als neben ihm auch etwas frei wurde, gab er mir ein Zeichen. Ich wollte aufstehen und zu ihm wechseln, aber in dem Moment sprang meine Sitznachbarin auf, lud Christoph mit einer Geste ein, sich doch neben mich auf ihren Platz zu setzen, und stellte sich zu ihrem Mann an den Ausgang. Die beiden unterhielten sich in einer osteuropäischen Sprache, die ich nicht kannte.

„Was war das jetzt?“, flüsterte ich, „die sind doch auch nicht mehr jung!“ „Die wollen bestimmt bei der nächsten Station aussteigen“, sagte Christoph. Wollten sie nicht. Ich stellte mir vor, wie das wäre, wenn wir aufstehen und nun unsererseits dem älteren Paar aus Osteuropa unsere Plätze anbieten würden: „Aber bitte, setzen Sie sich doch! Wir dachten, Sie steigen gleich aus!“ Und wenn dann eine Antwort käme: „Aber nein, bleiben Sie doch sitzen, es macht uns nichts aus, zu stehen!“ Wir dann: „Es wäre uns eine Ehre, wenn Sie unser Angebot annehmen würden!“ Die beiden dann: „Die Ehre ist ganz unsererseits, wir freuen uns, dass Sie Platz genommen haben!“

Eine Fantasie der Höflichkeit

Man muss sich so was mal vorstellen, zum Beispiel in der U-Bahn am Morgen. Da drängen sich die Menschen in die Wagen, und wer sitzt, steht auf für alle, die nicht superfit aussehen: „Bitte, wollen Sie sich vielleicht setzen?“ „Ach, nehmen Sie doch Platz“. „Nein danke, das ist nett, aber nicht nötig“. Am Ende reden alle durcheinander und bieten sich gegenseitig Sitzplätze an oder lehnen diese ab. Eine Fantasie, irgendwie asiatisch.

Vor über 30 Jahren war ich hochschwanger mit sehr dickem Bauch täglich U-Bahn gefahren. Nur einmal offerierte mir jemand seinen Sitzplatz, ein junger Mann war es, wohl Pakistaner. Und neulich war es auch ein arabischstämmiger Mann, der mir anbot, meinen schweren Reisekoffer über die U-Bahn-Treppe nach oben zu schleppen, der Aufzug war ausgefallen. Meinem Bekannten S., 80 Jahre alt, überließ ein junger Mann in der U-Bahn seinen Platz, ein Ghanaer. Es entspann sich ein Gespräch zwischen den beiden über die Umgangsformen in unterschiedlichen Kulturen, erzählte mir S. Die Deutschen haben die Höflichkeit jedenfalls nicht abonniert, so viel ist zumindest sicher.

Auf der Rückfahrt von Weißensee am Samstagabend fahren wir die letzte Strecke wieder U-Bahn. An der Station gibt es einen Spiegel am Fahrerhäuschen. Ich gucke rein. Ein bisschen eitel ist man ja schon. Sehe ich wirklich schon so alt aus, dass man mir einen Sitzplatz …? Es muss an der Beleuchtung liegen, und an dieser beigen Wollmütze. Die ist vielleicht doch etwas unvorteilhaft.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • An meinem 60. Geburtstag witzelte ich noch: "Der Erste, der sich untersteht mir einen Sitzplatz anzubieten, der kriegt dermaßen eins in die Schnauze...!"



    Mittlerweile habe ich es mir anders überlegt. Allerdings nützt das jetzt auch nichts mehr.

  • Wenn das Bild der Redakteurin noch der Realität entspricht...behaupte ich steif und fest, muss sie das in einem weiteren Roman verarbeiten....für die Berliner Realität im BVG Bereich, wenig plausibel.

  • Daß jemand für mich aufstand, war der erste Schritt. Im Zweiten kamm dann die Altersdiskreminierung...



    Meine Erfahrung mit 72 J..

    • @Empetrum:

      Meine Güte!



      Diskriminierung ist ja schon schlimm genug. Aber bei "Diskreminierung" (Zit.) wirds auch mir zu grob.



      Bloß nicht unterkriegen lassen!

  • Ist mir auch schon öfter passiert. Das ist ein sicheres Zeichen, das man alt ist. Nur sehen das andere oft eher, als man selbst. Höchstens beim betrachten von alten Bildern, so 5 Jahre oder älter. Manchmal zeigen Handys das als "Service" an, wenn man entsprechende Dienste nutzt. Vielen Dank auch!



    Erfreulich ist aber, daß es aufmerksame jüngere Mitmenschen gibt und das offenbar unabhängig von der Nationalität.



    Ich nutze solche Funktionen nicht, aber von Bekannten und Verwandten bekommt man dann solche Bilder über das Smartphone zugeschickt. Das habe ich auch. Normale Handys gibt es wohl nur noch im Technikmuseum, oder sie sind genauso teuer, wie billige Smartphones.

  • bin ja mittlerweile 75+mir sieht man's an, zudem wacklig auf den beinen. in der FHH bekomme ich in knackevollen bussen sehr selten platz angeboten, die jungen und jüngsten scheinen noch nie was davon gehört zu haben, daß sie älteren + behinderten menchen ihren platz anbieten. ebenso die teenies, die jungerwachsenen, ob deutsch oder nicht.



    die busfahrer werden -um den fahrplan wohl einzuhalten?- immer ruppiger + bremsen sehr abrupt, auch wenn keine vollbremsung angesagt ist wg. dr verkehrssituation. sie bremsen weit entfernt vom höhergelegten bürgrsteig, betätigen sehr oft nicht die kippfunktion + fahren einfach schlecht. auffallend viele nichtdeutsche, ähnliche situation bei taxifahrern, die schlecht ausgebildet sind + den zielpunkt nicht finden (versch. gründe dafür).



    es finden sich wohl zu wenige für diese nicht gut bezahlten jobs. + diese wenigen haben nicht die nötige schulung.



    wir älteren haben darunter zu leiden. auch die nicht gesunden + behinderten.

  • Die Kolumne sagt wenig übers Alter. Aber sie sagt viel darüber aus, dass wir Zuwanderung brauchen. Und sei es nur, um wieder etwas Höflichkeit im ÖPNV zu erleben.

  • Ach härm! Woll

    • @Lowandorder:

      Immerhin nicht "Au huur"!

      • @Ajuga:

        …laßmer so stehn - au Banan ahl Frittezang!

  • Wie bots schon forderte: Aufstehen.



    Es ist höflich und respektvoll und eigentlich selbstverständlich.



    Mit der eigenen Sterblichkeit umzugehen muss jede und jeder dann schon selbst hinbekommen.