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Ihr Bauch, mein Baby

Christina Martens möchte ein Kind, doch auf natürlichem Weg geht es nicht. Sally Hanson ist gerne schwanger und kann das Geld gut gebrauchen.Ist das Ausbeutung? Altruismus? Die Geschichte einer Leihmutterschaft

Von Sabina Zollner (Text) und Linda Lee Wölfel (Illustrationen)

Christina Martens wusste schon immer, dass sie Mutter sein will. Sie möchte einen kleinen Menschen beim Aufwachsen begleiten, irgendwann eine eigene Familie gründen. Doch bereits als Teenagerin erfährt sie, dass sie auf natürlichem Weg nicht schwanger werden kann. Sie hat keine Gebärmutter.

Die schmale Frau mit dunkelblonden Haaren sitzt an einem Esstisch in einer Altbauwohnung, als sie ihre Geschichte erzählt. Während des Gesprächs huscht immer wieder ein Lächeln über ihr Gesicht, gleichzeitig wählt Martens ihre Worte mit Bedacht.

Ihren Kinderwunsch habe sie viele Jahre lang verdrängt, hatte mehrere Partnerschaften, ihre letzte Beziehung scheitert an der Kinderfrage. Der Ex-Partner hatte bereits Kinder und wollte keine weiteren. Als sie sich trennen, ist Martens Ende 30. Alleine kann sie kein Kind adoptieren, dafür müsste sie in einer stabilen Beziehung von mindestens drei Jahren sein.

Sie beginnt, sich mit dem Thema Leihmutterschaft zu beschäftigen, es scheint ihre letzte Option. Unter keinen Umständen aber will sie, dass eine andere Frau für sie leidet. Nach vier Jahren der Recherche findet sie einen Weg, den sie mit ihrem Gewissen vereinbaren kann. Von Juli 2023 bis April 2024 trägt eine Frau aus den USA ein Kind für sie aus und hilft Christina Martens so, eine eigene Familie zu gründen.

In Deutschland ist die Leihmutterschaft verboten, eine Legalisierung höchst umstritten. Kri­ti­ke­r:in­nen sehen in Leihmutterschaft eine Kommerzialisierung menschlichen Lebens. Der Körper einer Frau werde ausgebeutet, um einer anderen Familie den Kinderwunsch zu erfüllen. Aus einer ökonomischen Not heraus würden Frauen gezwungen, ihre reproduktiven Fähigkeiten zu verkaufen. Die Kinder von Leihmüttern könnten Identitätsprobleme entwickeln, die Leihmütter selbst psychischen Schaden davontragen.

Haben Frauen wie Christina Martens, die keine eigenen Kinder bekommen können, ein Recht darauf, Mutter zu werden?

Und wie selbstbestimmt können Frauen agieren, die für andere ein Kind auf die Welt bringen?

Christina Martens arbeitet im Nachhaltigkeitsbereich, in Wahrheit heißt sie anders, sie möchte nicht mit ihrem echten Namen und ihrem Wohnort in der Zeitung stehen. In ihrem Freun­d*in­nen­kreis und vor ihrer Familie geht sie offen mit ihrer Entscheidung um, eine Leihmutter in Anspruch genommen zu haben. Ihr Arbeitgeber weiß nichts davon. „Das Thema ist in Deutschland ideologisch total aufgeladen“, sagt sie.

Gerade aus der feministischen Ecke gäbe es eine gewisse Verteufelung, sagt Martens. Dies habe ihr das Gefühl gegeben, dass ihre natürlichen Verbündeten wegfallen. Umso dankbarer war sie für die Unterstützung aus dem nahen Umfeld. Während sie erzählt, sitzt ihr Partner neben ihr.

Christina Martens und Tobias Fuchs – sein Name ist ebenfalls geändert – sind erst vor einigen Monaten hier eingezogen. Auf einer Spieldecke neben dem Holztisch liegt Elias, er ist mittlerweile fast ein Jahr alt. Er ist etwas unruhig an diesem Abend, Martens und Fuchs müssen während des Gesprächs immer mal wieder mit ihm ins Nebenzimmer, um ihn zu beruhigen.

Die beiden haben sich vor zwei Jahren kennengelernt. Damals hatte sich Martens schon für die Leihmutterschaft entschieden. Nach ihrer letzten Beziehung wird ihr Kinderwunsch so groß, dass sie sich denkt: Zur Not mache ich das auch alleine. Die Suche nach einem Partner will sie damals trotzdem nicht aufgeben.

Kurz vor Beginn der Schwangerschaft lernt sie Tobias Fuchs über eine Dating-App kennen. Die beiden verstehen sich auf Anhieb gut, sie verlieben sich ineinander. Nach ein paar Monaten erzählt sie ihm von ihrem Vorhaben. „Er hat sich riesig für mich gefreut“, sagt Martens. Und er entscheidet, sich auf den Prozess einzulassen. Auch Fuchs hat sich schon immer ein Kind gewünscht, bei ihm scheiterte es ähnlich wie bei Martens an vergangenen Beziehungen. „Ich habe mich dann um die Vaterrolle beworben“, sagt er mit einem Augenzwinkern. Martens ist überglücklich darüber.

Wer sich in Deutschland für eine Leihmutterschaft entscheidet, muss ins Ausland gehen. Wie viele Menschen diesen Schritt unternehmen, ist nicht erfasst. Ex­per­t:in­nen gehen von 50 bis 150 Paaren im Jahr aus. Eine Leihmutterschaft ist ein aufwendiger und teurer Prozess. Sie kostet je nach Land zwischen 30.000 und 200.000 Euro. Martens konnte sich eine Leihmutterschaft nur leisten, weil ihre Familie sie finanziell unterstützte. Bei ihr waren es insgesamt etwa 150.000 Euro.

Allgemein wird zwischen einer al­truistischen (wie beispielsweise in Kanada und Großbritannien) und einer kommerziellen Leihmutterschaft unterschieden. Letztere ist erlaubt in Ländern wie den USA, Georgien und der Ukraine. Das heißt, die Leihmutter erhält eine vertraglich vereinbarte Summe für das Austragen des Kindes. Hinzu kommen Kosten für die medizinische Versorgung, eine Unterkunft oder eine Entlohnung für den Arbeitsausfall. Bei einer altruistischen Leihmutterschaft bekommt die Leihmutter kein Geld, sie erhält lediglich eine Aufwandsentschädigung, etwa einen Lohn für ihren Arbeitsausfall oder Arztbesuche.

Gerade in Ländern wie der Ukraine ist mit der Leihmutterschaft ein lukratives Geschäft entstanden. Medienberichten zufolge ist von 2.000 bis 2.500 Leihmutterschaften jährlich die Rede, etwa 80 bis 90 Prozent der Kinder sind für ausländische Paare bestimmt. Immer wieder gibt es Negativschlagzeilen.

Eine Recherche fand heraus, dass bei einer ukrainischen Agentur mehrfach Babys vertauscht wurden, die Ermittlungen wurden jedoch eingestellt. Mit dem russischen Angriffskrieg brach Chaos aus. Trotz der Luftangriffe durften Leihmütter das Land nicht verlassen, weil das so in ihren Verträgen geregelt war. Babys konnten teils wochenlang nicht abgeholt werden, da die Wunscheltern nicht problemlos einreisen konnten. Der internationale Flugverkehr war kurz nach Kriegsbeginn komplett eingestellt, eine Landreise gefährlich.

2021 erfährt Martens über queere Bekannte zum ersten Mal von Leihmutterschaften in den USA. Die Bekannten haben selbst positive Erfahrungen damit gemacht, Martens bekommt ein gutes Gefühl. Ihre Annahme: Anders als im Globalen Süden ist das Armutsgefälle dort wahrscheinlich geringer. Ihr ist wichtig, dass ihre Leihmutter fair behandelt wird. „Ich wollte es nicht unbedingt mit einer Frau machen, die sich nur aus finanziellen Gründen für eine Leihmutterschaft entscheidet“, sagt Martens. Sie möchte eine langfristige Beziehung zu ihr aufbauen. Sie will, dass ihr Kind später die Möglichkeit hat, sie kennenzulernen.

Monatelang sucht Martens nach einer passenden Agentur. Sie will wissen: Werden die finanziellen Risiken komplett auf die werdenden Eltern abgewälzt oder trägt die Agentur auch Kosten, wenn etwas nicht klappt? Wie ist das „Matching“ organisiert? Wie werden die Leihmütter angesprochen und begleitet? Eine Agentur sticht positiv hervor.

Auf der Website heißt es, dass die Schwangerschaft für die Leihmutter ein Prozess sein soll, den sie genießen können. Sie muss eine stabile, finanzielle Situation nachweisen, darf keine Straftaten begangen haben. Auch wird geprüft, ob ihr Partner den Schritt unterstützt und ob sie psychisch stabil ist. Sie muss bereits eine Schwangerschaft ohne Komplikationen hinter sich haben und vorab einen aufwändigen Gesundheitscheck durchführen lassen. Für die Leihmutterschaft bekommt sie zwischen 70.000 und 75.000 Dollar, der Großteil, etwa 100.000 Dollar, geht an die Agenturen.

Zunächst soll getestet werden, ob es zwischen den Personen mit Kinderwunsch und ihrer potenziellen Leihmutter matcht. Martens bekommt das Profil von Sally Hanson zugeschickt, bebildert mit einem Familienfoto. Zu sehen ein junges Paar und zwei Kinder, die vom Esstisch in die Kamera strahlen. Darunter beantwortet Hanson 17 Fragen über sich selbst. Es geht um Hobbys, Interessen und ihre Erwartungen an die Leihmutterschaft.

Welche Eigenschaften sollen die künftigen Eltern haben?, steht da zum Beispiel. Hansons Antwort: Geduld, Empathie, Freundlichkeit und Ehrlichkeit.

Ist sie offen dafür, wenn das Kind in Zukunft Kontakt mit ihr haben will? Sie bejaht das.

Was sie mit dem Geld machen will? Ihre Schulden abbezahlen und eine Ausbildung als Hebamme finanzieren, schreibt sie.

Auch Hanson heißt in Wirklichkeit anders; um ihre Privatsphäre zu schützen, wird sie anonymisiert. „Ich hatte erst Bedenken, dass sie nur aus finanziellen Gründen Leihmutter werden will“, sagt Martens. Gleichzeitig gefällt ihr an dem Profil, dass Hanson für einen Kontakt nach der Geburt offen ist und sich weiterbilden will.

Das erste Gespräch findet via Zoom statt. Danach hat Martens ein gutes Gefühl: „Sie wirkte so entspannt und unaufgeregt.“ Hansons Partner war bei dem Gespräch dabei, das Paar machte Witze übereinander, Martens fand das sympathisch. Im Gespräch habe Hanson Martens versichert, aus altruistischen Gründen helfen zu wollen. Sie sei der Meinung, dass jede Frau das Recht haben sollte, Mutter zu sein.

Sally Hanson ist 33 und wohnt in einer Kleinstadt in Oklahoma. Bei ihr ist es früher Nachmittag, als sie am Telefon von ihrer Leihmutterschaft erzählt. Sie sei gerade dabei, ihre Küche zu streichen, weil sie mit Mann und Töchtern bald umziehen wolle. Um näher bei den Großeltern zu sein, sagt sie.

„Die Leihmutterschaft war eine lebensverändernde Erfahrung für mich“, sagt Hanson. Sie hätte nie erwartet, wie schön es sein könne, einer anderen Frau ihren Kinderwunsch zu erfüllen. Die Entscheidung habe sie bis heute nicht bereut.

Hanson sagt, dass sie es liebe, schwanger zu sein. Sie habe das Gefühl, ihre Haut sei dann glatter, sie selbst ausgeglichener, ein besserer Mensch. Mit ihrem Mann habe sie keine Kinder mehr bekommen wollen, nach dem zweiten Kind ließ sich ihr Partner sterilisieren. Eines Abends, die beiden saßen auf der Couch, zeigte er ihr ein Tiktok-Video, in dem eine Leihmutter von ihren Erfahrungen erzählte. „Wenn es dir so Spaß macht, schwanger zu sein, solltest du es vielleicht probieren“, habe er zu ihr gesagt.

Nach dem Video fängt Hanson an zu recherchieren. Sie findet heraus, wie viele Menschen auf natürlichem Weg keine Kinder bekommen können – und ist erstaunt über die große Zahl. In Deutschland sind etwa sechs bis zehn Prozent aller Paare ungewollt kinderlos. Hanson arbeitet in einem Hospiz für pflegebedürftige, alte Menschen. Jeden Tag sehe sie, wie einsam Menschen im Alter werden können. Gerade jene ohne Kinder. Auch das habe sie zur Leihmutterschaft motiviert.

Das Geld habe für sie nur eine Nebenrolle gespielt, sagt Hanson. Mit den 70.000 Dollar machte sie am Ende doch keine Ausbildung, sondern zahlte ihr Auto ab, fuhr mit den Kindern in den Urlaub nach Florida. Sie wollten schon immer in die Universal Studios. In die Harry Potter Welt. Es sind Dinge, die sich die Familie so nicht hätte leisten können. Dinge, die sie, so Hanson, aber nicht unbedingt nötig gehabt hätte.

Was Frauen motiviert, für eine andere Frau ein Kind auszutragen, ist von Land zu Land unterschiedlich. Leihmütter in Indien gaben in mehreren Studien an, dass sie sich fast ausschließlich aus ökonomischen Gründen dafür entschieden hätten.

In den USA sieht es anders aus. Dort gaben in einer Studie aus dem Jahr 2024 ein Großteil der befragten 231 Leihmütter an, dass sie sich hauptsächlich aus altruistischen Gründen für diesen Schritt entschieden hätten. Der am häufigsten genannte Grund ist der Wunsch, kinderlosen Paaren oder Einzelpersonen zu helfen, die auf natürlichem Weg kein Kind bekommen können.

Die Befragten aus den USA haben ein überdurchschnittliches Einkommen, eine gute Ausbildung und eine Krankenversicherung. Die finanzielle Entschädigung sei eher ein zusätzlicher Anreiz. In Großbritannien, wo seit den 1980er Jahren eine altruistische Leihmutterschaft erlaubt ist, kommen Studien zu ähnlichen Ergebnissen.

„Altruistische und eigennützige Motivationen lassen sich nicht immer klar trennen“, sagt die Medizinethikerin Claudia Wiesemann. Die Ärztin war Teil der Kommission für reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzung der Ampelregierung. Diese beschäftigte sich auch mit dem Thema Leihmutterschaft. Eine Frau könne sich für eine Leihmutterschaft entscheiden, weil sie einer anderen Frau ihren Kinderwunsch erfüllen will, es aber gleichzeitig auch angemessen finden, dafür eine nicht zu spärlich bemessene Aufwandsentschädigung zu erhalten. Trotzdem müsse man die Kritik an der Kommerzialisierung ernst nehmen und die jeweiligen wirtschaftlichen Machtverhältnisse mitdenken.

Bevor Hanson das Gespräch mit Martens führte, hatte sie noch ein Gespräch mit einem anderen Paar – dem sie später absagte. Die Interessenten seien übervorsichtig gewesen. Sie wollten, dass sie während der Schwangerschaft permanent eine Schutzmaske trägt und nur Biolebensmittel isst. Das sei ihr zu viel gewesen.

Bei den Treffen von Martens und Hanson, die alle online stattfinden, geht es auch um ethische Fragen. Martens bespricht mit ihrer Leihmutter, ob Gentests zur Feststellung einer Trisomie 21 vor der Geburt gemacht werden sollen, in welchen Szenarien ein Abbruch oder ein Kaiserschnitt infrage kommt. Es ist ein Aushandeln, aber das letzte Wort hat Martens – außer die Gesundheit der Leihmutter steht auf dem Spiel. Dass Martens so viel Entscheidungsgewalt hat, findet sie richtig, denn „am Ende bin ich ja auch die Person, die das Kind großzieht.“

Ethikerin Claudia Wiesemann sieht das anders. Sie hält die Selbstbestimmung der Leihmutter für ausschlaggebend bei der Frage, ob eine Leihmutterschaft moralisch vertretbar ist. Zwar findet sie es grundsätzlich richtig, dass Wunscheltern und Leihmutter gemeinsam überlegen, wie sie sich die Schwangerschaft vorstellen. Dabei muss die wirtschaftliche Situation der Leihmutter jedoch mitgedacht werden. „Je prekärer die Lebenssituation, desto schlechter ist die Aushandlungssituation“, sagt sie.

Jeder Vertrag zwischen Wunscheltern und Leihmutter müsse zudem daraufhin geprüft werden, ob die Leihmutter zum Objekt der Wunscheltern gemacht oder ob ihre Würde berücksichtigt wird. Das sei eine zen­trale Frage. Deshalb findet sie, dass die letzte Entscheidung über die Fragen der Schwangerschaft immer bei der Leihmutter liegen sollte – was in den USA eben nicht der Fall ist.

Um eine wirklich selbstbestimmte Leihmutterschaft zu ermöglichen, sollte die Leihmutter außerdem während und nach der Schwangerschaft ein Teilrecht auf die Elternschaft haben, sagt Wiesemann. Das könnte ganz unterschiedlich ausfallen. Es könnte so ausgestaltet sein, dass die Leihmutter das Recht hat, das Kind zu behalten, falls sie das möchte. Oder es könnte ein Recht auf Kontakt sein, um die Beziehung anzuerkennen, die in der Schwangerschaft zu dem Kind entstanden ist.

70.000 Dollar gehen an die Leihmutter, der Großteil an die Agenturen

Eine Leihmutterschaft kann auf zwei Arten ablaufen. Bei der traditionellen Form, die es bereits in der Antike gab, ist die Leihmutter zugleich die genetische Mutter des Kindes. Das heißt, ihre Eizelle wird mit dem Samen des Wunschvaters befruchtet. Mit der künstlichen Befruchtung wurde diese Form sehr viel seltener, außerdem ist es bei der traditionellen Leihmutterschaft für die Wunscheltern schwieriger, ihre elterlichen Rechte durchzusetzen. Denn die genetische Abstammung ist oftmals das entscheidende Kriterium, um die Elternschaft anerkennen zu lassen.

Verbreiteter ist deshalb die nicht genetische Leihmutterschaft. Der genetischen Mutter wird dabei eine Eizelle entnommen, die mit dem Samen des Vaters befruchtet und dann der Leihmutter eingesetzt wird. Sie trägt das Kind aus, hat aber keine genetische Verbindung zu ihm.

Auch bei Martens und Hanson war es diese Form der Leihmutterschaft. In Deutschland werden Martens Eizellen entnommen, die sie dann per Post in die USA schickt. Dort werden sie im Labor befruchtet, bevor der Embryo bei Hanson in die Gebärmutter eingesetzt wird. Martens durfte den Prozess per Videoschalte mitverfolgen. „Das war total ergreifend und schön“, erinnert sie sich. Danach stieß sie mit ihrem Partner mit einem Glas Sekt an.

Martens und Hanson stehen während der gesamten Schwangerschaft in Kontakt. Alle drei Monate haben sie ein gemeinsames Gespräch mit Hansons Arzt per Video. Sie schreiben sich über Whatsapp Nachrichten. Hanson schickt Martens Fotos von ihrem Bauch, indem das Baby herumstrampelt. Sie erzählt von ihren Kindern, von Wasserschlachten, Sleepovers und Basketballspielen.

Einmal schickt Hanson ein Ultraschallbild von Elias, darunter schreibt sie: „Kostbares Baby. *Tränensmiley*“

Martens antwortet: „Oh wow, danke, unglaublich, ein Gesicht zu sehen, bevor es geboren ist.“

„Ich weiß, Technologie ist verrückt heutzutage“, schreibt Hanson.

„Es wirkt, als wäre das Baby schon ziemlich groß. Ich hoffe, es ist nicht so schwer für dich am Ende. *Herzsmiley*“, textet Martens zurück.

Für sie sei Transparenz und Vertrauen am wichtigsten gewesen, sagt Martens. Sie habe das Bedürfnis gehabt, informiert zu bleiben, darüber, wie es Sally Hanson ergehe.

Im ersten Monat der Schwangerschaft hat Hanson einen kleinen Auffahrunfall. Als Martens davon erfährt, ist sie beunruhigt. Es sei nichts passiert, beschwichtigt Hanson, sie sei schon beim Arzt gewesen. Martens fragt, ob sie nicht nochmal zum Arzt gehen wolle, um ihren Rücken checken zu lassen. Sie will auf Nummer sicher gehen, dass alles okay ist. Denn wenn der Rücken verletzt ist, könnte das während der Schwangerschaft ein Problem werden, sorgt sich Martens. Hanson winkt ab. Das brauche es nicht.

„Ich hatte nicht wirklich etwas in der Hand, denn es ging ja keine konkrete Gefahr für das Baby aus“, sagt Martens. Sie musste Hansons Entscheidung akzeptieren. Das sei eine Situation gewesen, in der die kulturellen Unterschiede zum Vorschein gekommen seien. In Deutschland sei man übervorsichtig, renne wegen jeder Kleinigkeit zum Arzt. In den USA seien die Menschen es eher gewohnt abzuwarten, weil viele ohne Krankenversicherung leben. „Ich habe mir dann gedacht, sie wird schon wissen, was das Beste für das Kind ist“, sagt Martens.

Die Schwangerschaft einer Leihmutter kann mit mehr Risiken verbunden sein als eine normale Schwangerschaft. Eine Studie der McGill Universität in Kanada zeigte etwa, dass das Risiko für schwerwiegende Komplikationen bei einer Leihmutterschaft dreimal höher ist als bei herkömmlichen Schwangerschaften.

Für die Studie wurden mehr als 860.000 Geburten analysiert, 806 wurden von Leihmüttern ausgetragen. Leihmütter hatten ein höheres Risiko für Bluthochdruckerkrankungen und postpartale Blutungen. Auf die Neugeborenen hatten diese Komplikationen meist keinen Einfluss.

„Über die unter Umständen erhöhten Risiken müssen die Leihmütter vorab aufgeklärt werden“, sagt Claudia Wiesemann. Sie sieht die Risiken zwar nicht als Hindernis für eine Legalisierung, aber sie müssten ernst genommen werden. Sally Hansen wurde über die erhöhten Risiken vorab informiert, sie änderten nichts an ihrer Entscheidung.

Hanson sehe in ihrem Job jeden Tag, wie einsam Menschen im Alter oft würden. Gerade jene ohne Kinder. Das habe sie motiviert

Hanson erzählt, dass ihr privates Umfeld sie für komplett verrückt erklärt hätte. Kaum jemand habe nachvollziehen können, warum sie Leihmutter werden wolle. Doch die ganze Schwangerschaft über sei es ihr gut gegangen, sagt sie heute. Nur in den letzten Wochen hätten ihre Beine zu zappeln begonnen, was es für sie schwierig machte, zu schlafen.

Wie es für sie war, zu wissen, dass sie das Kind in ihrem Bauch nach der Geburt abgeben wird? „Das hört sich vielleicht herzlos an, aber ich wusste von Anfang an, dass das nicht mein Kind ist“, sagt sie. Wäre sie nicht so viel mit Martens in Kontakt gewesen, wäre das vielleicht anders gewesen. So habe sie sich in erster Linie für die Frau aus Deutschland gefreut und gewusst, dass Elias in ein sicheres Zuhause komme.

Die Frage nach der Bindung zwischen austragender Frau und Kind nimmt bei der Diskussion über Leihmutterschaft viel Raum ein. Aus christlicher Sicht ist die Verbindung zwischen ihnen heilig, sie zu trennen eine Sünde. Aber auch von Psy­cho­lo­g:in­nen gibt es Kritik: Die „gespaltene Mutterschaft“, also die Idee, dass ein Kind vermeintlich mehrere Mütter hat, führe bei Kindern zu Identitätsstörungen, so die Annahme.

Die Psychotherapeutin Anne Schaub etwa gibt zu bedenken, dass das Urvertrauen des Kindes erschüttert werden könnte, da es bereits in der Schwangerschaft eine Bindung aufbaue. Dadurch könne ein Trauma entstehen. Die französische Feministin Olivia Maurel ist die wohl bekannteste Verfechterin dieser These. Sie setzt sich für ein weltweites Verbot von Leihmutterschaften ein. Die Französin wurde selbst mithilfe einer Leihmutter geboren, ihre Eltern haben ihr das jahrzehntelang verschwiegen. Maurel sagt heute, dass sie deshalb eine schwere Identitätskrise durchmachte – und eine bipolare Störung entwickelte.

Die Ethikerin Claudia Wiesemann sagt: „Es gibt keine empirischen Daten, die solche psychischen Folgen für eine breite Masse belegen.“ Eine 2023 in Großbritannien durchgeführte Studie untersuchte von Leihmüttern ausgetragene Kinder und stellte keine besondere Häufung an psychischen oder sozialen Auffälligkeiten fest.

Wichtig sei vor allem ein transparenter Umgang. Wenn Kindern schon früh erklärt werde, wie sie auf die Welt gekommen sind, hätte das einen positiven Effekt auf ihre Familienbeziehungen und ihr generelles Wohlbefinden. Viele der Kinder hätten noch Kontakt zu ihrer Leihmutter und nähmen diesen als wertvoll wahr. Aber es sei nicht für alle gleich relevant gewesen, ob sie den Kontakt halten oder pflegen wollten.

Für Martens ist klar, dass ihr Kind weiterhin Kontakt zu seiner Leihmutter haben soll. Auch deshalb habe sie zu Hanson während der Schwangerschaft eine Beziehung aufbauen wollen. Gleichzeitig habe es sich für sie surreal angefühlt, das Kind nicht im eigenen Bauch zu spüren. Um sich mental besser auf das Baby vorbereiten zu können, kauften sie und ihr Partner Kinderwagen und Babytrage.

„Meinem Arbeitgeber habe ich einfach gesagt, dass ich bald Mutter werde, ohne schwanger zu sein“, sagt Martens. Mehr erklärt sie nicht, die Personalabteilung will daraufhin einen Beleg. Martens argumentiert, dass sie ja auch von Vätern keinen Beweis fordern, wenn sie ein Kind bekommen. Das akzeptieren sie als Argument.

Im April 2024 fliegen Martens und ihr Partner zum ersten Mal in die USA, wenige Tage vor der Geburt von Elias. Sie treffen Hanson und ihren Partner in deren Haus. Dort fallen Martens gleich die vielen Familienfotos auf, der übergroße Fernseher. Typisch amerikanisch, denkt sie sich. Am Anfang stockt das Gespräch, Martens und Hanson sind etwas schüchtern, sie reden über das Wetter und die Fahrt. Für Christina Martens fühlt es sich seltsam an, dass ihr Kind im Körper einer anderen Frau ist. Dann gehen die beiden Familien zusammen auf den Spielplatz; mit der Tochter spielen sie ein Versteckspiel, die Stimmung wird lockerer. Am Ende des ersten Treffens fragt Hanson Martens, ob sie ihren Bauch anfassen will. Martens bejaht, streichelt den Bauch von Hanson, es ist ein verbindender Moment.

Am Tag der Geburt von Elias fährt Hanson um fünf Uhr morgens ins Krankenhaus. Martens und ihr Partner stoßen um sieben Uhr dazu, sind beim gesamten Prozess dabei. Es ist eine eingeleitete Geburt, darauf war Hanson bereits bei ihren ersten zwei Geburten angewiesen. Alles verläuft problemlos, Hanson bekommt eine PDA, hat deshalb kaum Schmerzen.

Am Nachmittag ist es dann so weit. Als Martens den kleinen Kopf von Elias zum ersten Mal sieht, muss sie weinen. Für sie ist es der Moment, in dem ihr klar wird, dass sie jetzt wirklich Mutter wird. „Ich habe eine wahnsinnige Dankbarkeit für Sally empfunden, dass sie für mich diese ganzen Strapazen auf sich nimmt“, sagt Martens.

Auch für Hanson sei es ein bewegender Moment gewesen. „Ich war erleichtert, dass es endlich so weit war, dass Christina ihr Baby kennenlernen durfte.“ Auf einem Foto sind Martens und Hanson und ihre beiden Partner zu sehen, Hanson liegt noch im Krankenbett, ihr Mann hat seinen Arm auf ihren Schultern. Daneben sieht man Martens, die einen Pullover mit der Aufschrift „Mom“ trägt. Alle lächeln in die Kamera.

„Ich habe eine wahnsinnige Dankbarkeit für Sally empfunden, dass sie für mich diese Strapazen auf sich nimmt“

Christina Martens

Die Wochen danach verbringen Martens und ihr Partner noch in den USA, ein paar Straßen von Hanson entfernt. Auf den Fotos wirkt der Ort wie eine typische amerikanische Kleinstadt. Saubere, breite Straßen, Einfamilienhäuser. Das deutsche Paar fällt auf, da sie viel spazieren gehen. Die meisten legen hier jede Strecke mit dem Auto zurück.

Hanson ist schon bald wieder auf den Beinen, eine Woche nach der Geburt ist sie zurück bei der Arbeit im Pflegehospiz. In den USA gibt es keinen bezahlten Mutterschutz, außerdem sagt Hanson, habe sie sich wieder fit gefühlt. Die Familien sehen sich täglich, Hanson bringt ihnen Muttermilch. Martens stillt Elias zwar selbst mit einer induzierten Laktation, aber das reicht nicht aus.

Der lange Aufenthalt in den USA hat auch rechtliche Gründe. Das Paar wartet auf die Geburtsurkunde, mit der sie den Reisepass für Elias beantragen können. Außerdem braucht Christina Martens einen Gerichtsbeschluss, der sie als Mutter von Elias anerkennt. Nur so kann ihre Elternschaft in Deutschland bestätigt werden.

Anfang Mai 2024 fliegen sie zurück nach Deutschland. Dort finden Martens und Fuchs in ihre Elternrolle, die beiden sind glücklich. Ihre Familie und Freun­d:in­nen freuen sich für die beiden, auch ihre Hebamme geht entspannt mit der Situation um. Das beruhigt sie. Das Paar will, dass Elias in Zukunft offen in der Schule oder Kita erzählen kann, dass er mithilfe einer Leihmutter auf die Welt kam. Wie die Leh­re­r:in­nen und Er­zie­he­r:in­nen darauf reagieren, das müssen sie sehen. Sie wollen sich in Zukunft auch mit anderen Paaren vernetzen. Es solle auf jeden Fall kein Versteckspiel werden.

„Die Leihmutterschaft sollte weniger medial verteufelt werden“, sagt Claudia Wiesemann. Man sollte verstehen, dass es ganz normale Menschen sind, die sich für diesen Schritt entscheiden. Nicht zu erkennen, was für ein Leid damit verbunden sein kann, keine Kinder zu bekommen, das sei empathielos.

Die Expertenkommission zur reproduktiven Selbstbestimmung spricht sich etwa einen Monat vor Elias Geburt dafür aus, dass eine altruistische Leihmutterschaft in Deutschland verboten bleiben soll. Doch eine Ausnahme könnte es geben: Wenn zwischen ­Wunscheltern und Leihmutter ein familiäres oder sehr enges freundschaftliches Verhältnis vorliegt, dann wäre eine Legalisierung denkbar. Dass die schwarz-rote Regierung das umsetzen wird, ist eher unwahrscheinlich. Paare wie Martens werden wohl weiter ins Ausland reisen müssen, um sich ihren Lebenswunsch zu erfüllen.

Ein halbes Jahr nach der Geburt bekommen Christina Martens und ihr Partner eine Nachricht von Sally Hanson. „Ich hoffe, euch geht’s gut. Ich denke darüber nach, eine zweite Leihmutterschaft zu machen. Ihr habt mir gezeigt, wie bedeutsam das sein kann. Ich sende euch eine Umarmung.“ Diese Nachricht regt Martens und ihren Partner zum Nachdenken an. Sie wollen eigentlich zwei Kinder, sind sich aber unsicher, ob sie schon bereit dafür sind. Gleichzeitig können sie sich nichts Schöneres vorstellen, als den Prozess nochmal mit Hanson zu durchleben. Eine Woche später schreiben sie Hanson, dass sie gerne noch ein Kind mit ihr bekommen wollen.

Im November 2024 treffen sich beide Familien in New York. Martens und Fuchs lernen die Schwiegereltern von Hanson kennen, die dem deutschen Paar eine selbst gestrickte Decke schenken. „Sie waren total herzlich, ich hatte das Gefühl, sie waren stolz auf ihre Schwiegertochter, dass sie Elias das Leben geschenkt hat“, sagt Martens. Sie verbringen einen gemeinsamen Tag in New York, laufen den Broadway entlang, gehen gemeinsam zum Times Square. Es fühlt sich an wie ein Familienausflug.

Wenn alles gut läuft, werden sie bald wieder hier sein – um ihr zweites Kind abzuholen.

Sabina Zollner, 30, lebt und arbeitet als freie Journalistin in Berlin. Bei der Recherche hat sie überrascht, dass Eizellen einfach so über den Atlantik geschickt werden können.

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