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Ibiza-VideoDetektiv oder Drogendealer? Julian Hessenthaler scheitert vor Gericht

Der Europäische Menschengerichtshof bestätigt die Urteile aus Österreich. Dort war der Whistleblower Hessenthaler für Kokainhandel verurteilt worden.

Er hat das Land verändert – und im Knast gesessen: Julian Hessenthaler Foto: Isabelle Ouvrard/imago

Wien taz | Ohne ihn sähe Österreich heute anders aus: Sein „Ibiza“-Video hat das Land auf den Kopf gestellt, doch diesen Donnerstag musste Julian Hessenthaler eine Niederlage hinnehmen.

Im Mai 2019 war der Schock groß, als die heimlichen Aufnahmen aus Ibiza herauskamen. Darauf zu sehen war Heinz-Christian Strache (FPÖ), damals Vizekanzler unter Sebastian Kurz. In dem Video zeigte Strache sich offen für allerlei fragwürdige bis korrupte Machenschaften. Unter anderem stand die Machtübernahme in der Kronen Zeitung mit russischem Geld inklusive Rausschmiss einiger unliebsamer Journalisten im Raum. Das war’s mit Straches Durchmarsch. Es folgten eine Regierungskrise, Neuwahlen und eine überfällige Debatte über politische Hygiene. Die Rechtsradikalen waren vorläufig gebremst.

Angestoßen wurde all das durch das Video, produziert von Julian Hessenthaler (45), der auch als „Ibiza-Detektiv“ bezeichnet wird. Der gebürtige Wiener arbeitete damals als Sicherheitsberater. Aus Frustration, dass gegen Strache trotz Hinweisen auf Korruption keine Ermittlungen eingeleitet worden waren, kam ihm die Idee der Videofalle.

Staatliche Stellen hätten „bewusst weggesehen“, wie er später sagte. Deshalb wollte Hessenthaler „für eine bildlich-objektive und unwiderlegliche Dokumentation“ sorgen. Zum Einsatz kamen dabei eine Prachtvilla, etliche Wodka-Energys, eine vermeintliche russische Oligarchennichte als Lockvogel. Gefilmt von etlichen versteckten Kameras.

Über Bande gespielt

Erst wollte Hessenthaler die Videos an die Konkurrenten der FPÖ weitergeben, damit diese sie öffentlich machen. Doch diesen waren die Aufnahmen und ihre Entstehung wohl zu heikel. Am Ende ging Hessenthaler zum Spiegel und zur Süddeutschen Zeitung – wohl wissend, dass dort mehr zu erreichen war als in der verhaberten Wiener Medienblase. Über Bande gespielt, also Deutschland, würde der Aufschrei sogar größer sein, so die Überlegung. Und so kam es auch.

Im Dezember 2020 wurde Hessenthaler in Berlin verhaftet. Vier Monate später wurde er nach Österreich überstellt, wo ihm der Prozess gemacht wurde. Nicht aber wegen der heimlichen Videoaufnahmen in Spanien, was dort nicht strafbar ist, sondern weil ihm der Handel von über einem Kilo Kokain sowie Urkundenfälschung vorgeworfen wurde. Hessenthaler, der schon in U-Haft gesessen hatte, wurde 2022 zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Dieses Urteil ist in seinen Augen politisch motiviert. Tatsächlich gab es im Prozess einige Ungereimtheiten und fragwürdige Zeugenaussagen, dennoch kam es zum Schuldspruch.

Gegen das Urteil zog Hessenthaler erst zum Obersten Gerichtshof, dann zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Dort machte er sein Recht auf ein faires Verfahren geltend. Doch auch in Straßburg blitzte er diesen Donnerstag ab. Der EGMR befindet, es gebe „keine Hinweise einer politischen Motivation in der Strafverfolgung“. Seine Verurteilung beruhe auf Straftaten, die völlig unabhängig von der Ibiza-Affäre seien. Die österreichischen Gerichte hätten ihre Entscheidungen ausreichend begründet und seine Einwände angemessen behandelt, so der EGMR.

Seine Strafe hat Hessenthaler bereits abgesessen, seit April 2023 ist er wieder frei. „Natürlich respektiere ich das Urteil, doch bleibt für mich ein bitterer Geschmack zurück. Wer in Europa auf Missstände hinweist, riskiert, dafür kriminalisiert zu werden“, sagte er dem Standard. Hessenthaler wolle weiterhin alles daransetzen, Missstände transparent zu machen und die Öffentlichkeit darüber zu informieren.

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