: ISDN-krank: Bremer Ärzte total vernetzt
■ Die digitale Patientenakte soll Geld sparen / Zwölf Arztpraxen und ein Krankenhaus in Bremen wollen künftig Patientenakten per ISDN-Leitung austauschen / Knackpunkt: der Datenschutz
Röntgenbilder und Untersuchungsberichte per Mausklick – das ist die Vision von Doktor Joachim Wewerka. Zusammen mit seinem Partner, Dr. Carl Maywald von der DC Consult GmbH, ist der Bremer Arzt unter die Unternehmer gegangen. Gemeinsam arbeiten sie am „Elektronischen Arztbrief“, dem ersten Datennetz für Mediziner im Bundesland Bremen.
Zwölf Praxen und das Krankenhaus St.Joseph-Stift wollen bei diesem Projekt ab Ende der Jahres über ISDN-Leitungen Patientendaten austauschen. „Wir denken, dass die Vernetzung den Ablauf im relativ undurchsichtigen Medizinbereich etwas transparenter machen kann,“ sagt Dr. Wewerka.
Bislang sind Arztbriefe oder Laborbefunde manchmal tagelang unterwegs, bis sie von einem Arzt zum anderen gelangen. Mit dem „Elektronischen Arztbrief“ soll sich das ändern.
Diese Multimedia-Akte soll, im Gegensatz zu den Karteikarten in den Arztpraxen, immer automatisch auf dem neusten Stand sein. Wenn jemand den Arzt wechselt, kann der neue Doktor mit ihrer Hilfe auf die gesamte Krankengeschichte zurückgreifen.
Die vernetzten Ärzte können in Sekundenschnelle abrufen, welche Blutgruppe jemand hat, ob man Penicillin verträgt oder dagegen allergisch ist. „Solch ein System ermöglicht es uns, schneller mit dem Hausarzt eine sinnvolle Weiterbehandlung der Patienten zu erarbeiten,“ erklärt eine Sprecherin der St.Jürgen-Straße.
Die Bremer Ärztekammer und die Krankenkassen stehen dem Projekt positiv gegenüber. Sie alle hoffen, daß durch die Digitalisierung in den Praxen die Kosten im Gesundheitswesen gedrückt werden. Teure Doppeluntersuchungen könnten in Zukunft vermieden werden. Selbst Röntgenbilder, die woanders gemacht wurden, kann der behandelnde Arzt bald in Echtzeit auf dem Bildschirm aufrufen.
Kosten wird der Aufbau des Arztnetzes etwa vier Millionen Mark. Der Löwenanteil kommt aus dem Topf des Multi-Media-Förderpreises media§KOMM. Wieviel die vernetzten Mediziner für diese Dienstleistung zahlen werden, ist noch völlig offen. Jeweils 40.000 Mark zahlen die Mitglieder der Betreibergesellschaft – Ärzte wie Dr. Wewerka und Softwareunternehmer. Später soll das in Bremen gewonnene Know-How bundesweit zu Geld gemacht werden.
Das Land Bremen ist über die Senatorin für Gesundheit als Kooperationspartner eingebunden. Ähnliche Projekte gibt es auch in anderen Bundesländern: Niedersachsen finanziert ein Netz als Modellversuch in Papenburg. Auch in Stuttgart, Ulm, München und Berlin vernetzen sich die Mediziner.
Doch damit sie alle funktionieren können, müssen erstmal Patientendaten gesammelt und digitalisiert werden. Und dagegen haben vor allem ältere Patienten Vorbehalte.
Der Blick auf das Berliner Ärztenetz zeigt, dass die Sorge vor dem Gläsernen Patienten bei solchen Projekten nicht ganz unbegründet ist. An der Spree kann jeder angeschlossene Netzarzt alle digitalen Patientenakten aufrufen – egal ob er den betreffenden Patienten behandelt oder nicht.
Für Gerd Wenzel, den Geschäftsführer der Bremer Ärztekammer, ist das unakzeptabel. „Oberster Maßstab für die Ärtztekammer ist:'Was kommt für den Patienten dabei raus? Welche Bedrohung entsteht für ihn?' Es ist ganz klar, dass der Patient auch wissen muss, wo seine Daten sind und wer auf sie zugreifen kann.“
Denn medizinische Daten sind ein sensibler Stoff. Größe, Alter und Gewicht verrät man zur Not auch einem Fremden. Aber ein Besuch beim Psychater oder eine Aids-Infektion? Da möchte jeder lieber selber entscheiden, wem er das erzählt.
Das Bremer Arztnetz unterscheidet sich daher erheblich von anderen Modellversuchen. „Für uns ist der Daten- und der Patientenschutz ganz wichtig,“ sagt Dr. Wewerka. Einen zentralen Server gibt es für die Bremer Daten nicht. Die Software weiß dafür automatisch, welcher Arzt wo welche Daten gespeichert hat.
Alle Daten werden asymetrisch verschlüsselt – ein Codierungsverfahren, dass als besonders sicher gilt. Vor allem aber muss sich jeder, der Informationen abruft, über ein Trust-Center als genau der Arzt identifizieren, der einen bestimmten Patienten behandelt. Der Patient behält die Kontrolle darüber, wer seine Akte liest und wer nicht.
Außerdem hat Bremens Landesdatenschutzbeauftragter Dr. Stefan Waltz zugesichert, den Multimedia-Doktoren in den nächsten zwei Jahren zur Seite zu stehen. Auch er wird dafür sorgen, dass der Gläserne Patient in Bremen nicht allzu durchsichtig wird. Lars Reppesgaard
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